2) „[…] most of the texts containing rituals are not easily dated, a fact that obviously has repercussions if one attempts the historical reconstruction of the Religion of Ancient Israel or early Christianity.“5 Während die Datierung der neutestamentlichen Tauftexte weniger ein Problem darstellt, insofern sie sich mindestens in eine wahrscheinliche relative Reihenfolge bringen lassen,6 enthält die Frage der sicheren zeitlichen Verortung des Proselytentauchbades durchaus eine Brisanz, welche sich in der Unterschiedlichkeit der daraus abgeleiteten Thesen in der Verhältnis- und ggf. Abhängigkeitsbestimmung zur christlichen Taufe widerspiegelt.
3) „[…] rituals in themselves are rather empty containers and need to be understood in their specific cultural, historical, and religious context, often requiring advanced studies and skills.“7 Um seine auf die Vorstellung hinauslaufende These „The actions that constitute a ritual do not have inherent meanings …“8 zu veranschaulichen, führt Klingbeil interessanterweise an dieser Stelle eines seiner wenigen neutestamentlichen Beispiele an: Bei dem (einen) Taufritual des NT würden erhebliche Bedeutungsunterschiede zwischen der Johannestaufe und der christlichen Taufe gemacht werden.9 Wenn seine These auch hauptsächlich auf die Warnung davor hinauszulaufen scheint, heutige Deutung in die antiken Texte einzutragen, so tritt die dahinterstehende Ritualdefinition von einer zunächst an sich „meaningless“ bzw. auch „mit Bedeutung frei zu füllenden“ Handlung deutlich hervor. Es ist bereits dargestellt worden, dass diese Auffassung keineswegs konsensfähig ist.10 Bezüglich der Taufe würde sie gegen jede symbolische Implikation des Taufvollzuges und damit auch gegen jede Erwartung einer Wirkung der Taufe sprechen, welche oft mit dem sensitiven Gedächtnis der Ritualteilnehmer in Verbindung gebracht wird. Diese hinge sodann allein an der vorherigen (!) Taufkatechese – eine Vorstellung, die modernen Ritualdefinitionen eher fremd ist und wofür m.E. in den neutestamentlichen Tauftexten auch nicht ausreichend Indizien vorhanden sind. Zu prüfen wäre vielmehr, ob die unterschiedlichen Deutungen des Taufaktes, sowohl der Johannestaufe als auch der christlichen Taufe, nicht eher auf eine (schrittweise) Veränderung bzw. Entwicklung im Taufverständnis zurückzuführen sind. Erkennt man Ritualabläufen in diesem Sinne ein Mindestmaß an inhärenter Bedeutung – neben und mit den je abhängigen Bedeutungszuschreibungen – zu, ist dies für die Interpretation der Weiterentwicklung der Johannestaufe zur christlichen Taufe zu bedenken, bei welcher der Ritualablauf trotz eines Wechsels von Ritualleiter, Zielgruppe und Funktion gleich bleibt.11
4) „[…] one has to deal with the often abbreviated nature of ritual in the Bible.“12 Klingbeil bringt dafür zwei mögliche Gründe vor: „Writing, for the professional ritual specialist, did not require all the minute details but rather focused on the larger picture. If a general audience was envisioned, it could be argued that this group also understood intuitively most basic elements […] or ritual building blocks.“13 Diese beiden Begründungen finden sich – neben der These über die allgemeine Nichtbedeutsamkeit des Ritualablaufes – gemeinhin auch für das Fehlen von Ablaufbeschreibungen für die Taufe im NT. Die folgende Untersuchung hat jedoch genau zu ergründen, ob die neutestamentlichen Tauftexte tatsächlich jeder Beschreibung eines Ritualablaufes ermangeln – v.a. angesichts der Entstehungssituation, in welche mindestens die paulinischen Texte noch zu rechnen sind und für welche im Gegensatz zu ausdifferenzierten alttestamentlichen Festritualen noch kein umfangreiches Gesamtritual mit vielfältigen Teilritualen zu erwarten ist. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die vielseitigen Deutungsmotive und Kontextualisierungen der Tauftexte nicht auch ein aussagekräftiger Hinweis bezüglich des Fokus dieser Texte sind: Strittig, mindestens diskutabel sind demnach nicht Details eines komplizierten, möglicherweise symbolischen Ritualablaufes, sondern die Funktionen und Deutungen der christlichen Taufe in ihren rituellen Relationen.
5) „[…] comparative material is generally helpful and beneficial […]“14 Der methodische Ansatz Klingbeils, den Herausforderungen zu begegnen, sieht eine vergleichende Arbeitsweise vor, bei welcher er schriftlichen Texten grundsätzlich den Vorzug vor anderen Quellen gibt und dabei sowohl „historical comparison“15 als auch „typological comparison“16 grundsätzlich für potentiell aussagekräftig hält. Mit Blick auf die Taufe wären demnach Wasser-Ritual(text)e im Allgemeinen und solche mit einem ähnlichen geographischen und zeitlichen Hintergrund im Besonderen vergleichend heranzuziehen und diesen jederzeit den Vorzug gegenüber sämtlichen sonstigen Quellen,17 aber auch modernen Ritualinterpretationsmodellen18 zu geben.19
In welcher Weise den gerade beschriebenen Herausforderungen und Rahmenbedingungen in dieser Arbeit methodisch begegnet werden soll, ist im Folgenden zu bedenken.
2.2 Ritologische Methodik der Untersuchung
2.2.1 Ritualfokussierte (klassische) Exegese
Dafür, dass theologische Studien „have been slow to attend to nonverbal, nontextual phenomena“1 sieht Grimes den Hauptgrund in deren Textzentrierung. Ritualwissenschaften hingegen versteht er als „a movement away from the dominance of these verbally oriented conceptions of religion“.2 Dennoch stellen die neutestamentlichen Texte die Primär- und zugleich Hauptquellen für die christliche Taufe und ihre Entstehung dar und keine ritologische Arbeit kann an einer eingehenden Textexegese vorbei. Eine Berücksichtigung sowohl diachroner als auch synchroner Aspekte legt dabei nicht nur die spezifische Kontextualisierung und Argumentation mit und zur Taufe offen, sondern bildet in der Zusammenschau mehrerer Texte auch die unverzichtbare Grundlage für eine Erfassung in ihren rituellen Spezifika.
2.2.2 Beschreibung nach vergleichbaren Ritualaspekten
Die Vielfalt und Vielheit von Ritualen bedarf vor jeder Interpretation einer einheitlichen Analyse- und Darstellungsmethode. Grimes verspricht sich von einer so umfangreich wie möglichen Beschreibung folgende vier Aspekte: 1) „[to] enable ritual to speak most fully for itself“,1 2) „ [to] aid interpreters in discerning the continuities and discontinuities between their symbols and those of participants in a ritual“,2 3) „[to] generate helpful theories of ritual “3 und 4) „[to] precipitate a sense of the living quality of ritual in written accounts of them“.4
Neben der umfangreichen Erfassung jedes einzelnen Rituals bildet eine einheitliche Beschreibung zugleich die Grundlage für eine Vergleichbarkeit und damit Verhältnisbestimmung von Ritualen unterschiedlichen Vollzuges und Bedeutung in Ritualeinzelaspekten.5 Will man die christliche Taufe in sämtlichen ihrer rituellen Relationen erfassen, bedarf es Beschreibungs- und Argumentationsmuster, welche neben der Taufe etwa auch auf die Beschneidung anwendbar sind.
Grimes bietet dazu einen sehr breit angelegten Fragenkatalog, an Hand dessen Rituale nach fünf Aspekten, welche typisch und aussagekräftig für nahezu alle Rituale sind, analysiert und beschrieben werden können: Ritual Space, Ritual Objects, Ritual Time, Ritual Sound and Language, Ritual Identity, Ritual Action.6 Im Sinne von Grimes ist der Katalog nicht als Frage-Antwort-Quiz zu verwenden, sondern themen- und quellenbezogen zu erweitern und anzupassen.7 Für eine Beschreibung der christlichen Taufe auf der Grundlage der biblischen Quellen sowie für eine Erfassung sämtlicher mit der Taufe in Relation stehenden Rituale erweisen sich m.E. die folgenden sieben Ritualaspekte als aussagekräftig: 1) die Ritualbezeichnung, 2) der Ritualursprung, 3) der Ritualleiter, 4) die Ritualteilnehmer, 5) der Ritualort und die Ritualzeit, 6) der Ritualablauf und schließlich 7) die Ritualfunktion und –deutung. Sie seien in ihrem Umfang und den für die Taufe zu erwartenden Fragen kurz expliziert.
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