1 ...6 7 8 10 11 12 ...28 Sie wünschen sich Näheres über den Rilke-Brief********, was könnte ich noch dazu sagen? Er betrifft – für jenen Zeitpunkt ziemlich aufrichtig – mein Verhältnis zu Rilke, Rainer MariaRilke, meint aber noch ganz besonders Emanuel von Bodman, Emanuel vonBodman, für den Clara unablässig missionierte. Von mir und meinen Gedichten angetan, wollte sie in mir auch unbedingt den spätgeborenen Freund sehen, von dem Emanuel in einem Sonett träumte*********. Ihre Versuche, mich für Emanuels Gesamtwerk zu interessieren, musste ich abwehren, sonst wäre die vielversprechende, aber doch erst aufkeimende Beziehung zwischen uns in die Brüche gegangen. Ich war innerlich zu sehr mit „meinen Juden“ befasst und poetologisch bereits so weit von jener Generation weg, dass ich mich unmöglich mit dem lyrischen Werk Emanuels hätte beschäftigen können. Es mussten einige Jahre vergehen, bis ich geduldiger wurde und einer Lyrik wie der von Bodman, Emanuel vonBodmans gerecht werden konnte. Die „Gottlieber Dichterfreunde“ waren die Freunde eines einzigen Dichters, dessen Werk sie in schmalen, aber noblen Heften in einem kleinen Kreis verbreiten wollten. Der Dichter bin ich gewesen. Die Initiative ging von C. v. B. aus, die das Geld für das erste Heft vorstreckte. Druck und Vertrieb besorgte die Gottlieber Malerin Lore Gerster, LoreGerster. Es erschienen sechs Hefte; sie sind so gut wie vergriffen, tauchen antiquarisch selten und nie vollzählig auf.
* Edith SilberSilbermann, Edithmann, die auch eine bekannte Rezitatorin war, wollte einen Abend um den Briefwechsel mit Clara von Bodman, Clara vonBodman in Düsseldorf veranstalten, woraufhin sie EB viele Fragen stellte; vgl. Olivenbäume, S. 221
** Margarete Susman, MargareteSusman (1872–1966), Essayistin, Lyrikerin; vgl. Allerwegsdahin, S. 99–105, 180f.; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 33, 55; Vielzeitig, S. 273 et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 49, 62, 101–106, 182, 306f., 359–361 mit Anmerkungen
*** Clara von Bodman, Clara vonBodman: Solange wie das eingehaltene Licht, S. 56–57; vgl. Allerwegsdahin, S. 124–126; vgl. Das Mehr gespalten, S. 198f.
**** Annette Kolb, AnnetteKolb: Die Schaukel. Roman. Mit einem Nachwort von Joseph Breitbach, JosephBreitbach. Berlin: S. Fischer 1977, S. 160: „Vom Tage an, da die Juden im geistigen Leben an Einfluss gelangten, machten sich in der gefährdeten Existenz des Künstlers gewisse Chancen fühlbar, dass er nicht mit einer Mühsal wie bisher […] sich durchzuringen hatte. […] Wie dem auch sei, wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar von Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewusst bleibt. (Dieser Roman entstand 1934 in der Emigration.)“
***** EB: Annette Kolb, AnnetteKolb und Israel, S. 29–32
****** FritzMauthner, Fritz Mauthner (1849–1923), Philosoph, Schriftsteller, Publizist. In Meersburg am Bodensee entstand die von Martin Buber, MartinBuber angeregte und Gustav Landauer, GustavLandauer gewidmete Monographie „Die Sprache“ (1907).
******* Robert Wieler, RobertWieler, geboren 1912, war Mitbegründer der jüdischen Gemeinde in Kreuzlingen und ist 2012 in Jerusalem gestorben.
******** Solange wie das eingehaltene Licht, S. 39–42, vgl. „Vielzeitig“, S. 168
********* „Du fremder Freund, den ich nicht sah, noch kenne / Du bist mir nah in manchen späten Stunden, / Wenn ich die Tagesarbeit überwunden / Und wach im Kreise meiner Lampe brenne” […]. (Bodman, Emanuel vonBodman: Der unbekannte Freund. In: Die gesamten Werke 3, S. 159)
An Ulrich Sonnemann, 21. Januar 1992 Nr. 28
Lieber Ulrich, Dein Geburtstag rückt näher, schon steht er bevor, die vielen kleinen Wörter ballen sich zu einem großen Wort zusammen, wie soll es lauten, soll es heißen. Du hast so viel erlebt, erreicht, bewirkt, und wurdest von keinem guten Geist verlassen. Deine Rückkehr nach Deutschland, das kann man schon sagen, gehört zur Geschichte des neuen Deutschlands.* Und nun steht auch Dein Wort wieder an einem Anfang: poe th isch, deutschbekümmert, europa-würdig. Dein Rückblick mit 80 wird nicht mehr nur Trümmer sehen. Ich freue mich Deines Rückblicks, bin froh, Dein Werk solange begleitet haben zu dürfen und danke Gott, dass ich mich, ohne Verdienst, doch reinen Herzens Dein und Brigittes Freund nennen darf.
* Sonnemann, 1940 in Brüssel verhaftet und im Lager Gurs interniert, konnte 1941 von dort aus in die USA flüchten. Er kehrte 1955 nach Deutschland zurück. Vgl. EB: Logorhythmen. In: Sabotage des Schicksals. Für Ulrich Sonnemann. Hg. von Gottfried Heinemann und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik. Tübingen: Gehrke 1982, S. 367–371; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. In: Spontaneität und Prozess. Zur Gegenwärtigkeit kritischer Theorie. Hg. v. Sabine Gürtler. Ulrich Sonnemann zum 80. Geburtstag. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992, S. 251–263; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein; Grubitz: Dasein ist hiersinnig, S. 69–80
An Anemone Bekemeier, AnemoneBekemeier, 14. Mai 1992 Nr. 29
Nimm zum Beispiel Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa. Es ist recht bescheiden, was in diesem hübschen Heft* abgedruckt ist, schaust Du aber genau hin, findest Du meine ganze Intention, und es fragt sich, warum sie Dir so viel zu schaffen machen soll. Auf S. 22 steht: „Verse immerzu, ich vertreibe sie, wie immer, bis ich eine wirkliche Zeile höre.“ Und: „Aber ‚Michal‘ gelingt noch nicht, das heißt, da schwirrt etwas Zweitrangiges“. Also: eine wirkliche Zeile – und nichts Zweitrangiges.
* Anna Achmatowa, AnnaAchmatowa: Vor den Fenstern Frost. Gedichte und Prosa. Übersetzt von Barbara Honigmann und Fritz Mierau. Berlin: Friedenauer Presse 1988, S. 22
An Christoph Grubitz, ChristophGrubitz, 17. Februar 1993 Nr. 30
Freut mich, dass Du endlich Sonnemanns Festschrift bekommen hast. Mein Büchlein darin* – samt Untertitel – müsstest Du unbedingt in der neuen Fassung Deines Buches** berücksichtigen. Für meinen leidenden Freund bete ich täglich. Übrigens sagte er mir, dass er „Was nicht zündet …“ ganz anders las und erlebte als alle meine anderen Bücher. Es erschien ihm als etwas „ganz Ganzes“, ganz Menschliches, schon ganz Verklärtes, und er betonte das mit dem Wort: universell. Er sprach davon sichtlich gerührt. Gern wollte er ein Nachwort zur geplanten, erweiterten Ausgabe schreiben, „wenn man ihm dazu Zeit lässt“. Aber er ist zum Schreiben nicht mehr fähig, ist schwach und verunsichert. Ich wollte Dir eben eine schöne Widmung von ihm mitteilen***, die auf den Unterschied zwischen mir und Kraus, KarlKraus**** abzielt, aber nach einem halbstündigen Suchen finde ich das Buch noch immer nicht!
* Siehe Anmerkung zum Brief Nr. 28
** Christoph Grubitz, ChristophGrubitz: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz.Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8)
*** Sie lautet: Dem Freund und Sprach-Hauptmitbewohner. Zu Paul Schick, PaulSchick
**** zu Karl Kraus, KarlKraus vgl. Olivenbäume, S. 15 et pass; vgl. Aberwenndig, S. 37
An Matthias Hermann, MatthiasHermann, 22. Februar 1993 Nr. 31
Du bist ein guter, ernster Leser. Ich kann Dich jetzt, anhand Deines Briefes, gut dabei beobachten. Du gefällst mir in Deiner Strenge. So muss es sein, unter Dichtern, die Dichtung betreffend. Und doch ist die Verantwortung des „aphoristischen Dichters“ eine weitere oder jedenfalls eine andere, was zur Folge hat, dass Poetik und Rhetorik mitunter auseinandergehen, bzw. in Widerspruch zueinander geraten. Ich muss an vielerlei Menschen denken, auch an solche, die mit Poesie nichts zu tun haben. Die vielen Menschen, die bestimmte Zeit, die Herausforderung eines Augenblicks, die Reizbarkeit eines Nervs, die Art und Intention eines Büchleins – sie alle spielen eine Rolle, machen Strategien nötig. Freilich ist auch dies ohne Selbstbetrug weder denkbar noch zu machen. Das hast auch Du zwischendurch gemerkt, so z.B. wenn Du zum Folgenden – „Was du nicht verhinderst, das hast du geschehen lassen“ – schreibst: „Auch nicht neu, doch aus aktuellem politischen Anlass würde ich es stehen lassen.“
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