Was bleibt einem Alten,
der seine Gedanken hinter sich hat
Im Alter sind auch die Gedanken nur noch Erinnerungen, eingezimmert, ausgeklammert. Die Lust zum Erwachen – auf null gesenkt. Spätsätze – Krümel; man glaubt ihm die Krümel, nimmt sie ihm ab, nicht mehr in den Mund. Die Unheimlichkeiten eines Altersheims sind nicht denkwürdig. Hier sitzen wir, im Altersheim, bei ihm, und freuen uns, wenn er ein Wort fallen lässt oder einwirft. Aus dem Irgendwo und Irgendwann seines Lebens herangedacht oder der Zigarette erzählt, die ihm zur Konzentration verhilft. Seine Gäste sind gemeint und dürfen mithören. Sie werden gehen, die Zigaretten bleiben. Er war noch keine 90, als er seine Spätsätze herausgab: Man sieht dem Buch kein Denken an. Noch ist alles kurz gesagt, doch nicht kürzer. Es fällt ihm schwer, die Silben zu zählen, die Längen zu messen. Er erzählt sich seine Sätze. Die Fragen, die er sich stellt, warten nicht auf Antwort; Warten ist die Antwort; Abwarten. Das Buch – Notizen eines altersschwachen Menschen, der poetisch anständig und fest im Leben stand, ganz im Leben: mit Weib und Wein und Bibel, die Buchstaben fest im Blick, in guter Stimmung auch sie; Prophetisches dämpfend, Gott selbst allein ist das Wunder. Was er im Altersheim denkt, ist nicht mehr wichtig, wichtig ist die – „Schlimme Entdeckung: Ich kann nicht mehr pfeifen“. Und: „Im Licht der langsam entgleitenden Abendsonne wird der Zigarettenrauch märchenhaft blau“. Sein letztes Glaubensbekenntnis:
„Ihm, JesusJesus, glaube ich Gott“. Das ist der letzte, würdige, aufrechte Marti, KurtMarti. Dazu gehört, dass er nicht Christus sagt. (Den Christus hat ihm PaulusPaulus verdorben, siehe S. 34) Seine Leser sind jenseits der Straße und wie hinterm Glas; sie hören ihn nicht, wenn er seine Zigarette raucht und nicht aus der Hand gibt. „Im Licht der langsam entgleitenden Abendsonne wird der Zigarettenrauch märchenhaft blau.“ Der blaue Zigarettenrauch spricht für ihn, das Märchenhafte ist auf keinem dieser Blätter zu finden. Es ging im Leben auf und verraucht nicht.
* Kurt Marti: Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze. Stuttgart: Radius 2010
** Friedemann Spicker, FriedemannSpicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695), S. 242f.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.