Fulcher, G. (2010): Practical Language Testing . London: Hodder Education. Insbesondere das erste Kapitel beschäftigt sich mit geschichtlichen Bedingungen und Entwicklungen des Sprachentestens. Das Abwägen unterschiedlichster Positionen und das Anführen von Pro- und Kontraargumenten beeindruckt ebenso wie die historische Einbettung in politische Rahmenbedingungen und der Verweis auf allgemeine Prüfsysteme.
Spolsky, B. (1995): Measured Words . Oxford: Oxford University Press. Spolsky erläutert die Geschichte des Sprachentestens umfassend, anschaulich und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Vorgaben und Bedingungen. Das Werk ist ein Standardwerk für jene, die sich mit der historischen Entwicklung des Testens von Sprache näher beschäftigen möchten.
2. Der GeR und die Orientierung am sprachlichen Output der Lernenden
Barbara Hinger
Kann-Beschreibungen
Ich kann
den Entstehungskontext des GeR erläutern.
die Niveaubeschreibungen des GeR und die Kritik an ihnen erklären.
die Bedeutung des GeR für das Testen und Überprüfen von fremdsprachlichen Leistungen beschreiben und kritisch betrachten.
Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) wurde vom Europarat im Jahr 2001 herausgegeben und blickt auf Vorarbeiten von mehr als 30 Jahren zurück. Er hat sich im Großen und Ganzen als Erfolgsgeschichte erwiesen. Dies zeigt sich u.a. an der stattlichen Anzahl von Übersetzungen in 40 Sprachen, darunter viele nichteuropäische Sprachen aber auch Minderheitensprachen wie etwa das Romani. Rezipiert wird der GeR in Ländern wie Japan, Korea, Ägypten, Kolumbien oder Kanada, um nur einige zu nennen, und damit weit über den europäischen Kontext hinaus. Dieser Erfolgsgeschichte als Referenzwerk für das Erlernen, das Vermitteln und das Überprüfen von Sprachen stehen auch kritische Einschätzungen gegenüber, die unten wie in weiteren Kapiteln angesprochen werden. Zunächst wird jedoch auf den Entstehungskontext und auf sprachwissenschaftliche Bezugsmodelle des GeR sowie auf eines seiner Begleitinstrumente, das Europäische Sprachenportfolio (ESP), eingegangen. Daran anschließend wird seine Bedeutung für das Prüfen und Bewerten von fremdsprachlichen Leistungen erläutert.
Mit dem EuroparatDer Europarat ist Herausgeber des GeR., der aktuell aus 47 Mitgliedsstaaten besteht, ist eine Institution Herausgeber des GeR, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 1949 der Zusammenarbeit zwischen europäischen Ländern in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie, Kultur und Bildung verpflichtet und damit explizit keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt, wie dies etwa bei der Europäischen Union der Fall ist. Sich das zu vergegenwärtigen, erscheint wesentlich, um den GeR nicht als (sprachen-)politisches Instrument der Europäischen Union misszuverstehen (vgl. u.a. Hulstijn 2014, 3; Krumm 2016, 634). Zur Umsetzung der sprachenpolitischen Ziele des Europarats bekennt sich der GeR hingegen explizit (Europarat 2001, 14ff.).
Der Europarat greift insbesondere seit der Gründung seiner sprachenpolitischen Abteilung Mitte der 1950er Jahre Fragen der Fremdsprachenvermittlung für erwachsene LernerInnen auf und veröffentlichte ab Mitte der 1970er Jahre erste Sprachkompetenzbeschreibungen, die als Vorläufer des GeRVorläufer des GeR: u.a. Threshold Level 1975 gelten ( Threshold Level 1975, Un Niveau Seuil 1976, Nivel Umbral 1979, Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache 1981, Porogovyj uroven’ 1996, vgl. u.a. Krumm 2016). Der Fokus dieser Beschreibungen lag auf dem Gebrauch von Sprache für kommunikative Zwecke außerhalb des Klassenzimmers. Begründungen dafür boten Sprachnotionen (semantische Kategorien wie Größen- und Quantitätsbezeichnungen, deiktische Bezeichnungen etc.) und sprachliche Funktionen (Sprechakte, wie Austin und Searle sie im Rahmen der pragmatischen Wende der Linguistik postulieren) (vgl. u.a. López Rama & Luque Agulló 2012, 186). Erstmals gebündelt wurden diese im sog. notional-functional syllabusErstellung eines notional-functional syllabus durch Wilkins (1976) , der von Wilkins (1976) für den Europarat erstellt wurde. Nach der erfolgreichen Definition des Threshold Level wurden dessen Autoren Van Ek & Trim vom Europarat gebeten, zwei weitere Sprachniveaus zu beschreiben, nämlich je ein darunter- ( WaystageDefinition des Threshold Level sowie des darunterliegenden Waystage und des darüberliegenden Vantage ) und ein darüberliegendes ( Vantage ) Niveau. Theoretische Bedenken der Autoren gegenüber der Definition weiterer Niveaus wichen praktisch-pragmatischen Überlegungen wie z. B. der realen Unterteilung von staatlichen Schulsystemen in primäre, sekundäre und tertiäre Ausbildungsbereiche, für die Übertrittsberechtigungen von einem in den nächsten Bereich auch durch fremdsprachliche Leistungen messbar sein sollten (Trim 2012, 28, zitiert in Hulstijn 2014, 8f.). Niveaustufen schienen das besser zu vermögen als das Nachzeichnen eines kontinuierlichen und individuell verschieden verlaufenden Sprachlernprozesses, von dem Van Ek & Trim eigentlich ausgingen (ebd.). Der GeR beruht auf eben dieser Vorgangsweise, indem er die bereits existierenden drei Stufen in je zwei unterteilt und so sechs Niveaustufen von A1 bis C2 beschreibt1, welche wohl die stärkste Wirkung des gesamten Dokuments entfaltet haben.Erweiterung und Beschreibung der 6 Niveaustufen von A1 bis C2
Anerkennenswert ist insbesondere, dass es North (2000) durch seine beachtliche empirische Arbeit gelungen ist, funktionale Sprachbeschreibungen Skalen zuzuordnen, die dem GeR, wie Weir (2005b, 294) betont, als Basis für an Sprachhandlungen orientierte Kompetenzen von Sprachlernenden dienen. Auch North (2014, 229) selbst verweist immer wieder auf die HandlungsorientierungHandlungsorientierungHandlungsorientierung und Outputorientierung als wesentliche Prinzipien des GeR als zentrale Basis des GeR und sieht eine/einen Sprachlernende/n als „language user with specific needs, who needs to ACT [Hervorhebung im Original] in the language in real-world domains“. Darüber hinaus wird das Ziel des Europarates, das Lernen von Sprachen zu demokratisieren und transparent auszurichten, in den Fokus gerückt: Lernende sollen dabei unterstützt werden, ihren Lernfortschritt selbst kontrollieren und nachzeichnen zu können (Trim 1978, 1, zitiert in Little 2011, 382). Dies erscheint mit den GeR-Niveaubeschreibungen möglich. Sie sind als sog. Kann-BeschreibungenKann-Beschreibung positiv formuliert und verschriftlichen, wie Lernende in bestimmten Kontexten sprachlich handeln (können): Damit illustrieren sie den erwarteten Output von Sprachlernenden und überwinden so die lang tradierte Inputorientierung im Fremdsprachenunterricht.
In diesem Sinne ist auch die Konzipierung und Erstellung des Europäischen SprachenportfoliosEuropäisches Sprachenportfolio (ESP)Das Europäische Sprachenportfolio (ESP) fördert Lernerautonomie, u.a. durch Selbstbewertung des Lernfortschritts. zu verstehen, das dem GeR als Begleitinstrument vom Europarat zur Seite gestellt wird. Es spiegelt insofern die Demokratisierung des Sprachenlernens wider, als es die Eigenverantwortung für das Sprachenlernen durch das Instrument der Selbstbewertung ( self assessment self assessment tool ) stärkt. Mittlerweile liegen mehr als 100 Versionen des ESP, sowohl in Papierform als auch als Online-Tool, vor ( https://tinyurl.com/y92qvswf[21.09.2017]). Jedes ESP überträgt die GeR-Skalenbeschreibungen auf konkrete Sprachen und ist damit sprachspezifisch ausgerichtet. Es ermöglicht Sprachlernenden, Lernziele zu konkretisieren und ihr Sprachenlernen einzuschätzen (vgl. u.a. Little 2005, 2011; North 2014). Das ESP berücksichtigt durch seine drei Teile sowohl punktuelle als auch formative Aspekte: So demonstrieren die Einträge von Lernenden im Sprachenpass ihren Sprachstand zu einem bestimmten Zeitpunkt (punktuell); die Sprachlernbiographie gibt anhand der Selbstbewertungsraster, die für jede Fertigkeit und jede Niveaustufe als Kann-BeschreibungenKann-Beschreibung vorliegen, Auskunft über den Verlauf des Lernprozesses (formativ); die im Dossierteil gesammelten Dokumente belegen diesen (vgl. Little 2005, 235f.). Darüber hinaus können die Selbstbewertungsraster self assessment der Sprachlernbiographie, z. B. in Posterform an Klassenzimmerwänden, auch für Rückmeldungen zum Unterricht selbst herangezogen werden (s. dazu Weiskopf-Prantner 2007, 61ff.). Insgesamt erweist sich das ESP als Instrument zur Stärkung der Lernerautonomie (Little 2005, 2011), der sich der Europarat spätestens seit den 1970er Jahren verpflichtet fühlt (Holec 1979, zitiert in Little 2005, 325) und unterstützt Lernende dabei, die Verantwortung für das Erlernen einer Sprache selbst in die Hand zu nehmen.
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