Daher wirkt es zunächst merkwürdig, wenn sich Ada in der Folge zweimal selbst als „ruhig“ beschreibt (NS 110, 121). Verständlich wird dies erst mit Blick auf ihren Tod. Dieser ist ein Zitat; KotzebueKotzebue, August von gestaltet Ada als Nachfolgerin Emilia Galottis. Ihr Tod, so Ada, sei das einzige „Mittel, meine Unschuld zu retten“ (NS 123). Gegenüber Zameo präzisiert sie:
Ada. Ich habe dir ewige Treue geschworen, ich habe meinen Schwur gehalten, aber wer steht mir für die Zukunft? wer schuͤtzt mich vor GewaltGewalt? wer vor den sanfteren Regungen des MitleidsMitleid, wenn die Gefaͤhrten unsers Elends um mich her knieen, und mit blutigen Thraͤnen das Opfer meiner Unschuld heischen? – Wessen Arm soll ich auffodern, wenn der deinige mich zuruͤckstoͤßt? […] (NS 129)17
Aufschlussreich ist genau der Punkt, an dem Ada von Emilia abweicht: Sie hat keine Angst vor der eigenen SexualitätSexualität, Sex, vor den Wallungen des eigenen Blutes, die ihre Unschuld kompromittieren könnten, sondern vor den „Regungen des MitleidsMitleid“ für ihre Leidensgenossen. Da sie diese nicht verbannen kann, ohne ihre eigene Würde zu gefährden, will sie sterben. Ihr Todeswunsch, wenn auch pathetisch formuliert, ist keine Kurzschlussreaktion, keine Affekthandlung, sondern wird im Stück mehrfach vorweggenommen. In diesem Sinne ist Ada „ruhig“; sie ist „Herr[in] [ihres] Schicksals“ (NS 110). Ihr Tod ist die autonomeAutonomie Entscheidung einer zwar leidenschaftlichen, aber doch der Reflexion fähigen Figur.
*
Doch KotzebueKotzebue, August von gestaltet die Sklavenfiguren nicht nur als dem Rezipienten emotional-affektiv gleiche Menschen. In einem Dialog über die Qualen ihrer Existenz führen die Sklaven die anatomisch-physiologische Gleichheit zwischen Europäern und Afrikanern als Beweis für die Unrechtmäßigkeit von Ausbeutung und EntwürdigungEntwürdigung an:
Truro. So geht man mit uns um, weil wir schwarz sind.
Lilli. Und doch war die Muttermilch, welche wir gesogen, auch weiß.
Ada. Und unser Blut ist auch warm und roth. (NS 48)
Hatte John im Rededuell mit William die Menschlichkeit der Sklaven auf basale physiologische Prozesse reduziert und auch das Berufen aufs Herz entmetaphorisiert, so drehen die Sklaven diese Denkfigur hier um. Die Farbmotivik verbindet sich mit der Opposition innen vs. außen: Äußerlich sind die Sklaven anders, innerlich nicht. Gerade das Körperlich-Kreatürliche untermauert die grundsätzliche IdentitätIdentität aller Menschen und den Anspruch auf AchtungAchtung ihrer Würde.
Schließlich betont KotzebueKotzebue, August von die moralische Gleichheit, wenn nicht sogar Überlegenheit, der Sklaven, die er bereits im Vorbericht mit „zwey wahre[n] Anecdoten“ zu belegen versucht (vgl. NS 4–6). Im Stück soll der Zuschauer zum einen Adas Treue und TugendhaftigkeitTugend bewundern, zum anderen die spontane, vorreflexive MoralitätMoral, Moralität des Zameo. Kurz nachdem ihn der Meisterknecht misshandelt hat, rettet er diesen vor einem tödlichen Schlangenbiss; eine Belohnung lehnt er ab. William preist den „edle[n] Juͤngling“ (NS 83): „Mensch! ich glaubte immer, GottGott habe aus Einem Stoffe uns geformt; ich irrte mich, er schuf euch besser!“ (NS 84).18 Die Benennung oder „Anrufung“19 Zameos als „Mensch“, die, als Sprechakt gedeutet, diesen durch Sprache als solchen konstituiert, ist ein direkter Verweis auf die Apostrophierung des Meisterknechts als „Unmensch“ (NS 81; vgl. NS 110). Dies weist auf die Ambiguität der Apostrophen und der Metaphern hin, die sich auf die Sklaven und ihre Herren beziehen. Während die Sklaven in der sprachlichen Benennung durch ihre Peiniger, aber auch in der Versprachlichung ihrer eigenen Erfahrungen immer wieder in die Nähe von Tieren gerückt werden, passiert ganz Ähnliches mit den Sklavenhaltern. Ada nennt John spielerisch „Affe“ (NS 21); den Meisterknecht fleht sie an: „Tyger! du hast ein menschlich Antlitz! Erbarme dich!“ (NS 102). Diese Klimax ist signifikant: Spricht Ada dem Meisterknecht zunächst jede Menschlichkeit ab, indem sie ihn theriomorphisiertTier, Vertierlichung, Theriomorphisierung, weist sie sodann auf sein „menschlich Antlitz“ hin, eine Formulierung, die ihn mit ihren religiösen Konnotationen daran erinnern soll, dass er als würdiges EbenbildGottebenbildlichkeit Gottes geschaffen wurde. Ihr abschließender Appell ist die Forderung, sich der menschlichen Würde würdig zu erweisen – indem er MitleidMitleid zeigt.
Den Rezipienten fordert dieses Oszillieren zwischen Mensch und Un-/Nicht-Mensch sowohl in Bezug auf die Sklaven als auch auf die Sklavenhalter nachdrücklich zur Beurteilung der Frage auf, wer hier eigentlich keine Würde hat: der EntwürdigteEntwürdigung oder der Entwürdigende, den das Erniedrigen Anderer zum amoralischen TierTier, Vertierlichung, Theriomorphisierung degradiert.20 Das Oszillieren zeigt sich auch in der Figurenkonstellation: Im Drama stehen sich nicht die weißen Kolonialherren auf der einen und die schwarzen Sklaven auf der anderen Seite entgegen. Vielmehr steht der schwarze Meisterknecht dem weißen Sklavenhalter John in Bezug auf Menschenverachtung, Sadismus und Brutalität in nichts nach; William hingegen solidarisiert sich mit den Sklaven und wird von diesen akzeptiert und geschätzt. Menschlichkeit und Menschenwürde haben demnach nichts mit Herkunft, „Race“ oder äußerlichen Merkmalen zu tun.
III.4. MenschenwürdeverletzungenMenschenwürdeverletzung und MenschenrechteMenschenrechte
MenschenwürdeverletzungenMenschenwürdeverletzung in Form von extremer, sadistischer GewaltGewalt und Erniedrigung werden in Die Negersklaven – zumindest im Text des Druckes – keineswegs ausgeklammert oder nur angedeutet. Mit bisweilen expliziter, schockierender Drastik werden sie zum einen in der Figurenrede beschrieben oder narrativ erinnert, zum anderen in konkreten Szenen auf der Bühne dramatisiert. So erzählt z.B. John, wie er ein „wildes Maͤdchen“ durch sadistische Folter dazu brachte, sich ihm hinzugeben: „Ich ließ ihr den ganzen Leib mit Stecknadeln sanft zerprickeln. Dann wurde ihr in Oel getauchte Baumwolle um die Finger gewickelt, und angezuͤndet“ (NS 20). Nur wenig später berichtet der Meisterknecht, der John an Brutalität sogar noch übertrifft, wie er einem alten Sklaven, der seine Arbeit nicht zufriedenstellend verrichtete, den Rücken „auf[ge]hauen [hat], und Salz und spanischen Pfeffer hinein streuen“ ließ (NS 25). Es folgt ein kurzer, menschenverachtender Dialog:
John. […] warum befahlst du nicht ihn aufzuwinden, so haͤtte er es besser gefuͤhlt.
M. Kn. War nicht noͤthig. Die Feuerglut, bey welcher er ewig schwitzt, hat ihn so ausgedoͤrrt, daß bey jedem Hiebe die Haut sich von den Knochen loͤst, wie die Schaale von einer Kaffeebohne. […]
John. Er wird schon zu alt, man muß ihn nach und nach ruhig sterben lassen. […] Ich lasse ihn weniger arbeiten, und gebe ihm weniger zu essen, so verlischt er endlich wie ein Licht. (NS 25–26)
GewaltGewalt und Folter sind alles andere als abstrakte Vorgänge. Mit technokratischer Detailversessenheit werden genüsslich Folterpraktiken diskutiert. Das onomatopoetische Verb „zerprickeln“, die Nennung von Körperteilen und körperlichenKörper Phänomenen, entmenschlichende Vergleiche, schließlich Verben und Nomina der Gewalt evozieren ein frappierendes Bild des Schreckens, angesichts dessen das Publikum vielleicht sogar zunächst eine Art voyeuristische Faszination für das Ekelhaft-Abstoßende verspürt. Die Sklaven erscheinen in diesen Beschreibungen nicht als Personen oder Subjekte, sondern werden zu reinen ObjektenObjekt, Objektifizierung, Ding, Verdinglichung, Dinghaftigkeit sadistischer Lust- und Machtphantasien degradiert, auf ihre KreatürlichkeitKreatürlichkeit reduziert oder, wenn z.B. kurz darauf vom „Negerleder“ (NS 27) die Rede ist, verdinglicht. John verfügt über seinen materiellen Besitz – die Sklaven – nach Belieben und quasi spielerisch. Einen ‚Wert‘ hat ein Sklave perverserweise nur, wenn er verdinglicht wird: als Arbeitskraft und als Lustobjekt – sei es sexuelleSexualität, Sex Lust1 (Ada) oder der Genuss, den John aus Misshandlung und Qual zieht.
Читать дальше