Es gibt zwar Lungenfachärzte (Pulmologen oder Pneumologen), doch chronischer Husten ist häufig nicht-pulmonal – die Erkrankung der Lunge ist also nicht die eigentliche Ursache für den Husten. Sobald eine Pneumologin oder ein Pneumologe den Patienten somit erklärt, dass deren chronischer Husten nicht von der Lunge herrührt, sind sie für diese Betroffenen nicht mehr zuständig.
Chronischer Husten ist für die meisten Ärzte ein unerklärliches Rätsel, und wenn die Patientinnen und Patienten irgendwann bei mir landen, sind sie meist frustriert, verunsichert und wütend.
Die meisten meiner Hustenpatienten haben ein gutes Dutzend Facharztbesuche mit aufwändigen Tests und vergeblichen Behandlungsbemühungen hinter sich. Leider ist kaum jemand in der Lage, stillen Atemwegsreflux oder neurogenen Husten (infolge einer gestörten Vagusfunktion) zu diagnostizieren, obwohl dies die häufigsten Ursachen für chronischen Husten sind.
Als HNO-Fachärztin habe ich gelernt, Krankheiten im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich zu diagnostizieren und zu behandeln, doch 20 Prozent meiner Patientinnen und Patienten klagen über chronischen Husten. Dafür bin ich inzwischen Expertin, weil ich mich auf diese Beschwerden spezialisiert habe. Als Laryngologin (Spezialistin für Stimm- und Rachenprobleme) habe ich jahrzehntelange Erfahrung mit hartnäckigem, angeblich unheilbarem stillem Reflux und chronischem Husten.
Die Überlegungen, die ich Ihnen hier vorstelle, werden in der Medizin bisher mit Skepsis betrachtet.
Dieses Buch habe ich geschrieben, weil ich meinen Fachartikel „The Diagnosis and Management of Non-Pulmonary Chronic Cough“ 1nicht veröffentlichen konnte. In diesem Artikel konnte ich darlegen, dass 40 Prozent der Betroffenen, die bei mir vorstellig wurden, refluxinduzierten Husten hatten, bei 14 Prozent war der Husten neurogen, und 46 Prozent wiesen eine Mischform auf. 1
Der Artikel wurde rundweg abgelehnt. Einer der prüfenden Kollegen ging davon aus, dass ich pathologische Lungenveränderungen übersehen hätte, ein anderer stufte chronischen Husten als psychisches Problem im Sinne einer neurotischen Angewohnheit ein.
Das übliche Peer-Review-Verfahren war in meinem Fall möglicherweise ungünstig, weil ich einen fachgebietsübergreifenden Ansatz gewählt hatte, wodurch sich meine HNO-Kollegen dazu gedrängt fühlten, für Patienten mit nicht-pulmonalem, chronischem Husten zuständig zu sein. Im Ablehnungsschreiben des Verlags hieß es: „Der Fokus dieses Artikels ist für unsere Fachzeitschrift zu breit.“ Bei chronischem Husten wollte dieser Verlag also lieber passen.
Ich habe schon andere Patientenratgeber geschrieben für Menschen, die in der Medizin leicht durch das Raster rutschen. Auch mein Buch Dropping Acid: The Reflux Diet Cookbook & Cure2 hinterfragt viele Standardthesen zu gastroösophagealem Reflux. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte stufen Reflux zumeist als unheilbare, chronische Gesundheitsstörung ein, gegen die nur eine lebenslange Medikamenteneinnahme hilft. Aber das stimmt nicht. Mit gesunder Ernährung und Lebensstilveränderungen ist Reflux heilbar 3, und er ist die häufigste Ursache für chronischen Husten. 1Darauf gehe ich später näher ein.
Die häufigste Frage meiner Patienten lautet: „Warum hat mir das vorher noch niemand erklärt?“ Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Ich möchte frustrierte Patientinnen und Patienten dazu animieren, dem Problem selbst nachzugehen. Doch auch, wenn die Ursache klar ist, ist die passende Therapie nicht überall zu bekommen.
Und wenn Sie dann nebenbei feststellen, dass Ihr Asthma gar kein echtes Asthma ist, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Wie Sie in Kapitel 7 sehen werden, ist „Asthma“ zumindest in den USA eine verbreitete Fehldiagnose – in der Regel steckt stiller Atemwegsreflux dahinter.
Dieses Buch ist eine Ergänzung zu meinem ursprünglichen, unveröffentlichten Artikel über chronischen Husten, und es richtet sich an Betroffene. Der Artikel selbst präsentiert 50 Fallstudien (Anamnese, Befunde, Untersuchungsergebnisse und Behandlung) von Patienten mit chronischem Husten. 1Diese Auswahl vermittelt einen guten Überblick über Tausende vergleichbarer Patienten und damit über meine komplette berufliche Erfahrung als Ärztin und Wissenschaftlerin. 1-70
Ich gehe davon aus, dass dieses Buch einen neuen, wertvollen Blickwinkel auf unerklärlichen chronischen Husten bieten kann. Und ich hoffe, dass es für Sie, Ihre Angehörigen und auch für Ihren Arzt oder Ihre Ärztin von Nutzen sein wird. Denn mit der korrekten Diagnose ist chronischer Husten in den meisten Fällen heilbar.
KAPITEL 1
Nicht-pulmonaler chronischer Husten
Chronischer Husten zählt zu den häufigsten Symptomen, derentwegen ein Arztbesuch fällig wird. 71Dennoch erhält ein großer Teil der Betroffenen keine korrekte Diagnose und somit auch keine wirksame Behandlung. 1,71-76Selbst Lungenfachärzte und andere Spezialisten für Atemwegserkrankungen wie Allergologen und HNO-Ärzte stoßen bei chronischem Husten an ihre Grenzen. 72-76
Zu den gefährlichen pulmonalen Ursachen für chronischen Husten zählen beispielsweise Tuberkulose, Pneumonie (Lungenentzündung) und Lungenkarzinome. Bei chronischem Husten müssen solche Ursachen zunächst durch einen Arztbesuch und ein Röntgenbild ausgeschlossen werden. Hierzu ist auch ein Hauttest auf Tuberkulose sinnvoll.
Der erste Schritt bei chronischem Husten ist der Ausschluss einer pulmonalen Ursache. „Nicht-pulmonal“ bedeutet in diesem Buch, dass nachweislich keine primäre Lungenkrankheit vorliegt.
Ein großer Patientenanteil in meiner Praxis hat mit hartnäckigem, nicht-pulmonalem chronischem Husten zu kämpfen. In der folgenden Tabelle 1 sind die typischen Ursachen in der Reihenfolge der Prävalenz zusammengefasst. Ergänzend werden diese Diagnosen in Anhang A: Differenzialdiagnose kurz besprochen.
Bei den meisten Hustenpatienten, die von anderen Ärzten an mich verwiesen werden, soll ich einen stillen Atemwegsreflux oder laryngopharyngealen Reflux (LPR) bestätigen oder aber ausschließen. Stiller Reflux ist die bei Weitem häufigste Ursache für einen schwer zu diagnostizierenden chronischen Husten. Die zweithäufigste Ursache ist neurogener Husten. Die Diagnosen 3 bis 7 in Tabelle 1 sind weniger häufig, die Diagnosen 8 bis 13 selten.
Noch einmal: Hier geht es um die nicht-pulmonalen Ursachen von chronischem Husten. Das möchte ich wiederholen, weil pulmonale Ursachen mitunter mehr als einmal ausgeschlossen werden müssen.
Wenn beispielsweise eine Hustenpatientin zur fachärztlichen Beurteilung zu mir geschickt wird und seit Jahren keine Lungendiagnostik durchgeführt wurde, fordere ich zumindest eine Röntgenaufnahme der Brust, einen TB-Hauttest und Lungenfunktionstests an. Außerdem berate ich mich regelmäßig mit einem Pneumologen.
Lungenspezialisten wissen allerdings häufig eher wenig über nicht-pulmonalen chronischen Husten. Das American College of Chest Physicians räumt in seinen Husten-Leitlinien (Management of Cough Clinical Practice Guidelines) ein, dass Diagnose und Behandlung von chronischem Husten nach wie vor eine Herausforderung darstellen. 72
Nicht alle diagnostischen Verfahren zur Ermittlung der Ursache von Husten sind bekannt … Häufig ist eine sequenzielle und additive Therapie entscheidend, weil bei Husten vielfach mehr als eine Ursache vorliegt. Unumgänglich für den Erfolg ist eine deutliche Verbesserung oder ein Ende des Hustens. Auf dieser Basis haben sich empirische Behandlungsansätze, die systematisch häufige Ursachen von Husten angehen, als sinnvoll erwiesen und sind somit ein wichtiger Bestandteil des erfolgreichen Vorgehens bei der Diagnose und Therapie von Husten. 72
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