Spreng doch mal das deutsche Sozialklischee: gute Noten, Uni, Partner, Kinder, Kredit, Haus. Du bist so viel mehr!
Und wie habe ich mir das alles finanziert? Die Antwort lautet: manchmal so richtig ranklotzen. Gegen Ende meiner Zeit als IT-Kaufmann arbeitete ich nachts parallel als Barmann. Auf meiner Reise gab es eine Phase, da hatte ich fünf Jobs gleichzeitig. Das war in Perth, Australien. Ich restaurierte Boote, war Barkeeper in einer afrikanischen Bar, schob Nachtschichten an einer Hotelrezeption, mixte als VIP-Barkeeper Cocktails auf einer Yacht und verkaufte Tacos auf dem Wochenmarkt.
Ich bin 2010 mit 9.000 € losgefahren und danach mit 12.000 € in der Tasche zurückgekommen. Siehst du? Es geht! Ich kann dir nur raten: Überleg dir, auf welchem Gaul du gerade sitzt, ob es der richtige ist, ob du glücklich bist. Es ist nie zu spät, etwas zu ändern. Ich meine, was hast du zu verlieren? Wir Deutschen machen uns immer viel zu viele Sorgen. Doch eigentlich ist es doch so: You are born with nothing, you’re going with nothing. What do you lose? Nothing.
Jetzt erzähle ich noch die Geschichte zu Ende, wie das damals war, angeschossen zu werden. Um ein Haar wäre ich gestorben. Ich musste stundenlang auf Hilfe warten. Die kam schließlich in Gestalt eines Fischers herangeschlendert, der mich zu einer löchrigen Nussschale mit Außenborder brachte – seinem Boot. Bötchen. ’Ner Nussschale halt. Er hatte den Auftrag, mich zum Medical Centre auf der Nachbarinsel zu bringen. Das entpuppte sich leider als ärmliche Hütte mit so ’ner Art Hexe drin, der Krankenschwester. Mit fleckiger Schürze stand die da und rührte in einem Topf. Ich hatte ja schon einiges gesehen, aber das ging gar nicht. Hier wollte ich nicht sterben. Noch nicht ganz ins Halbdunkel eingetreten, drehte ich mich wieder um und dem Licht entgegen, das schon stark abgenommen hatte. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und noch immer lief ich mit einem blutigen Loch in der Brust herum. Trotz der einsetzenden Kühle schwitzte ich. Ich war wie betäubt, wusste nicht, wohin mit mir. Instinktiv lief ich in die Richtung, aus der ich gekommen war, zurück zum Bootssteg, immer dem staubigen Weg nach, den Blick fest darauf geheftet.
»Nick!« Zuerst hörte ich sie gar nicht, die Stimme, die da meinen Namen rief. Doch dann: »Nick!« Und wieder: »Nick!« Mir fiel ein, dass das mein Name ist. Der Name, den mir meine Eltern vor knapp 30 Jahren gegeben haben. Wenn die wüssten … Ich kapierte nicht, warum den hier jemand kannte, hier mitten in der Fremde, auf einer Insel, auf der eine Hexe in einem Topf rührte. Waren das einsetzende Halluzinationen? War ich meinem Ende schon so nah? Die Stimme klang nach einem jungen Mann – mein Alter, mit irgendeinem Akzent. Auf jeden Fall kein Fidschianer. Plötzlich stand er vor mir, noch etwas außer Atem. Shorts, nackter Oberkörper, so Mitte 20, Lockenkopf. Er sah aus, als wäre er auf dem Weg zum nächsten Beachvolleyball-Turnier, doch seine ernste Miene passte irgendwie nicht dazu. Sie passte mehr zu mir, zu meiner Stimmung, zu meiner Scheißsituation. Himmel! Mir hatte sich mitten im Paradies ein Pfeil in die Brust gebohrt, keine Eva in Sicht, wahrscheinlich würde ich sterben, und jetzt stand auch noch dieser Typ vor mir! Was wollte er denn? »Nein, ich kann heute nicht mitspielen«, wollte ich schon sagen, da übernahm er das Reden: »Ich hab dich überall gesucht, ich bin gelernter Krankenpfleger.«
Michael untersuchte die klaffende Wunde, kam zu dem Schluss, dass die Organe wohl nichts abbekommen hatten, weil ich noch am Leben war, öffnete einen kleinen Verbandskasten und vernähte den Krater ohne Betäubung.
Später am Abend rettete ich dann meinem Angreifer, Knox, das Leben. Der Hotelbesitzer fragte mich, welcher der Angestellten auf mich geschossen hatte, nur dann würde er mir die Hotelkosten erlassen. Ich entschied mich, die Rechnung zu bezahlen. Später erfuhr ich, dass sie ihn verbannt hätten. Er hätte nicht mehr arbeiten dürfen, nie wieder seine Familie sehen … Yeah, ich habe mich für nur 60 US-$ anschießen lassen. Wäre mir das in Amerika passiert, hätte ich den Typen verklagt, und die Insel, auf der es geschehen ist, würde heute mir gehören.
Nick Martin
• heute 35, Deutschland, gelernter IT-Kaufmann
• seit 2010 auf Weltreise
• Bücher:
• Fuck Pasta N Ketchup! – Das Kochbuch für Backpacker
• Die geilste Lücke im Lebenslauf: 6 Jahre Weltreisen, Conbook Verlag
• www.travel-echo.com
Das Hostel am Ende der Welt
Die Geschichte von Ivan Kitson
Wenn ich aus den Fenstern in meinen Garten sehe, sehe ich Bananenstauden, Orangen- und Zitronenbäume. Ich weiß, dass es nicht weit ist zu den Cashewbüschen, zu den Avocados und den Mangobäumen. Ich muss nur den Hang hinuntergehen. Vor der Küche steht ein Kava-Kava. Seine Blätter haben eine heilende Wirkung, sagen die Maoris. Man kann sie zum Beispiel als Tee trinken.
Dieser Ort, das Bioshelter , das ist mein Kaitiaki. Kaitiaki, das heißt, ich bin nicht der Besitzer dieses Stück Lands – obwohl es per Gesetz mir gehört. Ein Maori-Wort sagt manchmal mehr als 1.000 Worte: Das Grundstück gehört mir nicht, ich habe nur das Privileg, hier zu wohnen, darauf aufzupassen, solange ich lebe. Dafür ernährt es mich. Als ich es zum ersten Mal betrat, wusste ich, dass es der Platz ist, an dem ich bleiben möchte. Hier fühle ich mich mit der Erde verbunden.
Es gibt einen Wasserlauf und den Wald, in dem ich wohne. Ich habe kaum etwas verändert, nur ein paar Obst- und Nussbäume hineingepflanzt – so wie es die Stämme im Amazonas tun, so wie ich es bei ihnen gelernt habe. Sie beziehen ihre Nahrung ausschließlich aus den Wäldern.
Hier also ist mein Kaitiaki, hier ist meine Basis – auch wenn man immer Reisender sein wird, hat man erst einmal damit angefangen. Aber meine Partnerin und ich wollten nach unseren Jahren in Südamerika zurück in unsere Heimat, zurück nach Neuseeland – dorthin, wo wir geboren und aufgewachsen sind. Sie war schwanger und das Kind sollte in Sicherheit und den stabilen Verhältnissen der Heimat aufwachsen, nicht in einem von den Militärs besetzten Guatemala oder dem Bolivien der 70er-Jahre. Neben der Sicherheit bot uns unsere Heimat zudem etwas, das wir in Südamerika lieben gelernt hatten: den Regenwald.
Kurzum: Durch die Reise fingen wir an, zu schätzen, was wir in der eigenen Heimat hatten, und wollten im Grunde nur noch eines: Unsere eigene wundervolle Natur beschützen und etwas gegen den Klimawandel tun. Wir hatten so viel Verschmutzung in der Welt gesehen – dreckige Meere, vermüllte Landschaften, wir waren schockiert. Zugleich hatten wir von den Völkern im Amazonas gelernt, welchen Reichtum man genießt, wenn man im Regenwald lebt – sei es in Südamerika oder eben auf unserer Seite der Welt.
Wir hatten so viel Verschmutzung in der Welt gesehen – dreckige Meere, vermüllte Landschaften, wir waren schockiert .
Aufgewachsen in Palmerston North, war ich viele Jahre vor der Reise in den Norden nach Auckland gezogen, um Architekt zu werden. An diese Karriere wollte ich nun anknüpfen, doch die Bewerbungsgespräche liefen schlecht. Die Branche hatte ein Problem damit, dass ich so lange weg gewesen war, und ich wiederum wollte raus in die Natur. Die Vorstellung, die nächsten 40 Jahre in einem Büro zu sitzen, gefiel mir nicht.
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