Ein großer Wassertropfen zerplatzt mir auf der Nase. »10 Minuten Verspätung«, leuchtet die gelbe LED-Anzeige in der Novemberdunkelheit auf. »Oh nein!«, die Frau neben mir stöhnt. »Der Typ hätte mich damals fast umgebracht!«, will ich sie anschreien. Mache ich natürlich nicht, aber weiß plötzlich: In diesem Land hält mich nichts mehr.
Ein paar Tage später trennen meine Freundin und ich uns, und die wichtigste Bezugsperson geht damit verloren. Das weiche Bett in meinem alten Kinderzimmer kann den tiefen Sturz auch nicht abfangen. Da liege ich – habe keine eigene Wohnung, kein Auto, keinen Job und jetzt auch keine Freundin mehr. Ich starre Löcher in die Luft, verfalle in eine Reisedepression, während draußen vor dem Fenster unablässig der Regen fällt. Man muss sich das vorstellen, ich hatte zwei Jahre lang am Stück nur Sommer erlebt.
Ich starre Löcher in die Luft, verfalle in eine Reisedepression .
Aber sofort flüchten will ich auch nicht. Der Grund dafür ist eine andere Frau, die mir begegnet ist. Sie ist auch gerade erst von einer langen Reise zurückgekehrt, und es stellt sich heraus, dass wir zur selben Zeit am selben Ort in Australien gearbeitet haben – für die zwei miteinander konkurrierenden Hotelketten. Hier in Deutschland sehen wir uns zum ersten Mal, kommen zusammen und sind bis heute ein Paar.
Im Grunde ist es so: Wenn du nach einer solchen Reise zurückkommst, wirst du nur nicht verrückt, wenn du dir eine Beschäftigung suchst. Du musst dich ablenken. Du hast so viel erlebt, und dein Kopf kam die ganze Zeit nicht dazu, das zu verarbeiten. Nun, da du wieder sesshaft bist, bekommt dein Hirn diese Gelegenheit und spielt verrückt. War halt alles ein bisschen viel, nicht wahr?
Dennoch wehre ich mich jetzt dagegen, als mich das Arbeitsamt wieder in meiner alten Branche vermitteln will. Diese graue Maus beim Amt versteht einfach nicht, dass das nicht mehr geht. Ich will mich selbstständig machen, aber die wollen mir dann das Geld nicht weiterzahlen. Also schreibe ich mit Absicht Scheißbewerbungen, so lädt mich wenigstens niemand zum Gespräch ein.
Nick führt heute ein Leben ganz nach seinem Geschmack. Die verregneten deutschen Winter hat er gegen Sonne und Strand eingetauscht .
Die Konsequenz: Die vom Amt verdonnern mich zur Teilnahme an einem Bewerbungstraining. Jeder von uns soll sich dort zu Beginn kurz vorstellen. Also sage ich: »Hallo, mein Name ist Nick, ich habe mir gerade meinen Lebenstraum erfüllt und war zwei Jahre auf Weltreise.« Da steht allen der Mund offen. Am zweiten Tag kommt der Chef vom Amt zu mir und meint: »Sie passen nicht in den Kurs, aber Sie tun der Gruppe gut.« Er gibt mir die Erlaubnis, mein Reisetagebuch abzutippen, während die anderen Lebensläufe verfassen. Es dauert dann nicht mehr lange, und ich gehe sowieso wieder auf Tour.
2014 komme ich erneut nach Deutschland zurück – und lande wieder in einem Kurs vom Amt. Das Thema diesmal interessiert mich schon ein bisschen mehr, denn es beschäftigt sich mit einer Frage, die mich schon lange umtreibt: »Wie mache ich mich selbstständig?« Wenn man so lange auf Reisen war, so viel gesehen hat, dann kann man nicht mehr als kleiner Angestellter im Büro arbeiten, das geht einfach nicht mehr. Wie auch immer, der Zufall will es, dass der Chef des Arbeitsamtes von damals selbst den Kurs leitet und mich wiedererkennt. »Na, womit wollen Sie sich denn selbstständig machen, Herr Martin?«, fragt er mich. »Ich möchte als Motivationstrainer arbeiten.« Er nickt, denkt kurz nach und sagt: »Okay, dann kommen Sie mal nach vorn.« Im nächsten Moment stehe ich neben ihm: »Jetzt zeigen Sie mal, was Sie können. Sprechen Sie zur Gruppe, motivieren Sie die Leute!« Er tritt zur Seite ans Fenster, verschränkt die Arme und beobachtet mich. Da stehe ich also mit dem Rücken zur Wand, gut 20 Leute vor mir. Es ist die Probe aufs Exempel. Kurz geräuspert, fange ich an, erzähle von meinen Reisen, davon, wie es mir gelungen ist, meine Pläne zu verwirklichen, Probleme zu überwinden, Zweifel zu bekämpfen. Eine Stunde lang.
Das Thema beschäftigt sich mit einer Frage, die mich schon lange umtreibt: »Wie mache ich mich selbstständig?«
»Sie haben den Job«, sagt der Chef am nächsten Tag zu mir. »Welchen Job?«, frage ich. »Sie bekommen Ihren eigenen Kurs – als Leiter, als Motivationstrainer.«
Von März bis September arbeite ich nun mit Langzeitarbeitslosen zusammen. Man muss sich das mal vorstellen: In dem Kurs sitzen Leute, die teilweise seit zehn Jahren zu Hause geblieben sind. Denen hat noch nie jemand zugehört. Ich nehme mir Zeit für sie. Es geht um Inspiration und Motivation, darum, wie man erreicht, was man möchte. Wir verfassen gemeinsam Bewerbungsschreiben, stellen eine Kamera auf und filmen uns gegenseitig, während wir üben, uns beim Bewerbungsgespräch bestmöglich zu verkaufen: in die Augen schauen, auch selbst mal eine Frage stellen, gerade sitzen, deutlich sprechen … »Ja! Ja! Lächeln nicht vergessen! Das wirkt souverän und bricht das Eis!« Ich sage ihnen, wie ich es machen würde an ihrer Stelle. Einen schicke ich eines Tages spontan, mitten im Kurs, in die Stadt, damit er sich bewirbt. Oh, da gab es Ärger vom Chef!
Vor bis zu 1.300 Zuschauern spricht Nick über seine Abenteuer. Für ihn sind sie »die geilste Lücke im Lebenslauf« .
Meine Pläne für die Zukunft? Gibt es nicht. Nach meiner zweiten Weltreise war nur klar: Ich will nicht ewig in Deutschland bleiben, will aber auch nicht ewig reisen. Damals, das war 2013, war ich eigentlich nur zurückgekommen, weil ein Freund seine Hochzeit feierte.
Kurz danach bin ich ein halbes Jahr lang sogar dafür bezahlt worden, mir die Welt anzuschauen. Swiss Air suchte einen Reise-journalisten für so eine befristete Marketinggeschichte. Ein Freund machte mich darauf aufmerksam, meinte: »Bewirb dich doch mal, Nick.« Tatsächlich, der Job schien mir wie auf den Leib geschneidert. Unter 1.400 Bewerbern haben sie mich dann auch tatsächlich ausgewählt.
Danach habe ich den deutschen Sommer genossen und wieder ein bisschen an meiner Selbstständigkeit gebastelt. Mittlerweile habe ich die virtuelle »Reise-Uni« travel-echo gegründet, an der User das Reisen studieren können und den Mut finden, es auch zu tun. Ja genau, ich bin jetzt tatsächlich Motivationscoach geworden! Daneben halte ich deutschlandlandweit vor bis zu 1.300 Menschen Vorträge über meine Reisen. Außerdem habe ich das Reisekochbuch Fuck Pasta N Ketchup! geschrieben und ein Buch über meine Abenteuer: »Die geilste Lücke im Lebenslauf«.
Und diese Lücke wird immer größer: Mittlerweile bin ich gemeinsam mit meiner Freundin unterwegs. Sie hat einen Job, den sie online von überall auf der Welt aus erledigen kann. In zwei Monaten wollen wir nach Ägypten zu einem Camp für digitale Nomaden fliegen. Ist schon geil, du kannst am Strand sitzen und arbeiten. So was will ich auch machen. Meine Vorträge in Deutschland sind ganz gut gelaufen, mehr als 25.000 Zuhörer hatte ich 2019 insgesamt. Nun schwebt mir vor, mich auch im Ausland auf die Bühne zu stellen.
Dabei geht es mir immer auch darum, den Leuten Mut zu machen, aus dem Alltag auszubrechen, mal etwas zu wagen. Auf meiner Website heißt es: »Sechs Jahre Weltreisen – Die geilste Lücke im Lebenslauf«. Viele fürchten sich davor: »Oh Gott, niemand wird mich mehr einstellen, wenn ich mal länger nicht an der Karriere gebastelt habe!« Das ist Bullshit! Spreng doch mal das deutsche Sozialklischee: gute Noten, Uni, Partner, Kinder, Kredit, Haus. Du bist so viel mehr! Du verdienst so viel mehr! Reisen ist das beste Erlebnis des Lebens, und meiner Meinung nach sollten die Personalchefs das anerkennen. Da hat jemand mal über den Tellerrand geschaut, ist herausgegangen aus der eigenen Gesellschaft, dem eigenen Umfeld und hat – ganz wichtig – sich selbst in ganz neuen Situationen kennengelernt. Man reift unwahrscheinlich.
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