Sehr deutlich kommt dabei zum Ausdruck, dass tragfähige soziale Beziehungen und Netzwerke generell wichtige Faktoren für ein gelingendes Leben im Alter sind. Vernetzung ist also auch in analoger, unmittelbarer Form wichtig für ein gelingendes Altern. Durch den gezielten Einsatz digitaler Medien, Technologien und Assistenzsysteme erweitern sich unsere individuellen Möglichkeiten und ihre Reichweite jedoch nochmals erheblich. Denn durch den Einsatz digitaler Technik werden vorhandene Ressourcen im Alter besser nutzbar gemacht und erweitert. So kann das individuelle Erleben von Autonomie positiv beeinflusst werden.
Vor diesem Hintergrund werden im dritten Teil des Buches Denkanstöße mit Blick in die Zukunft skizziert und zusammenfassende Überlegungen formuliert (
Kap. 3). Ein zentraler und leitender Gedanke ist dabei, digitale Technikunterstützung grundsätzlich für alle älteren und alten Menschen zugänglich zu machen und damit mögliche Risiken und Verluste, die im Prozess des Alterns entstehen können, zu verhindern, zu verzögern oder auszugleichen.
Indem relevante Alltagsfähigkeiten unterstützt werden, kann ein möglichst langes Leben in Selbständigkeit für viele Menschen Realität werden. Dazu braucht es ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Selbstorganisation und angemessener Unterstützung durch die soziale Umwelt als Befähigung und Ermöglichung. Das bedeutet, dass auch neue professionelle Aufgabenfelder und Beratungsangebote entstehen müssen – wir brauchen digitale Mittlerinnen und Mittler in der Funktion als Digital Coach oder Brückenbauer und es müssen verstärkt spezialisiert Angebote zur Technikberatung für ältere Menschen und ihre Angehörigen entwickelt werden. Und die Vermittlung digitaler Kompetenzen gehört ebenso dazu wie der Zugang zu technischen Assistenzsystemen, unabhängig von der ökonomischen Situation ihrer Nutzergruppen – beides entscheidende Faktoren für die Vermeidung von Nutzerbarrieren und Problemen bei der Akzeptanz im Kontext des Einsatzes digitaler Technik.
Dieses Buch ist im Rahmen diverser Einschränkungen des sozialen Lebens, von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen in der Zeit der Corona-Pandemie entstanden, verbunden mit tiefen Einschnitten in unsere bisherigen Gewohnheiten. Diese Situation führt uns sehr deutlich vor Augen, welche Möglichkeiten und Chancen in der digitalen Vernetzung liegen, wenn direkte Begegnungen und Kontakte nur sehr begrenzt möglich sind. Denn hier wird sehr schnell spürbar, welche Auswirkungen es hat, wenn wir digital abgehängt sind. Dies gilt für den Privathaushalt ohne Internetzugang gleichermaßen wie für Pflegeheime, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern kein W-LAN anbieten können und deren überfordertes Personal auch nicht die Rolle der digitalen Mittler übernehmen kann, obwohl die wichtigen Besuche von Angehörigen und nahestehenden Menschen fehlen und eine entsprechende Substitution dringend notwendig wäre. Das führt zum Erleben von Isolation und zur schmerzlichen Erfahrung, sich abgehängt zu fühlen.
Vor diesem Hintergrund will das Buch keine Anleitungen zum Umgang mit technischen Produkten und Systemen vermitteln. Dieses Technikwissen und die damit verbundenen Kompetenzen werden in besserer Weise über Produktanleitungen und über geschulte Technikberaterinnen und -berater in speziellen Beratungsstellen für ältere Menschen, Seniorenbüros sowie bei kommerziellen IT-Anbietern vermittelt. Vielmehr will es aufzeigen, wo bereits einerseits Handlungsoptionen bestehen, sich andererseits jedoch Handlungsbedarf auftut, dringend nachzusteuern – auf der gesellschaftlichen und persönlichen Ebene. Dort, wo wir in unserem persönlichen Umfeld Einfluss haben, sollten wir diesen auch wahrnehmen. Dies gilt sowohl im professionellen Kontext, beispielsweise im sozialen, pflegerischen und gerontologischen Bereich, als auch im privaten Umfeld, in der Familie, in der Nachbarschaft.
»Gut vernetzt oder abgehängt« muss zum persönlichen Motto werden, das unser Handeln bestimmt, für uns selbst gute Voraussetzungen für ein gelingendes Altern zu schaffen. Hier haben wir die Möglichkeit, aktiv zu werden, uns zu kümmern und uns fit für die digitale Gegenwart und Zukunft zu machen.
In diesem Sinne – viel Spaß bei der Lektüre dieses Buches. Sie entdecken hoffentlich viele Hinweise, die zur kritischen Reflexion ihrer eigenen Erfahrungen im Kontext der Digitalisierung und vielleicht auch zu aktiven Veränderungen anregen.
Freiburg i. Br., im Sommer 2021
Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff
1Cornelia Kricheldorff, aus einem Interview mit der »Active Aging Agentur Freiburg« v. 24.11.2020, abrufbar über www.youtube.com(Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff, 8. Altersbericht. Interview)
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Leben im Alter – vielfältig, bunt und herausfordernd
✓ Vielfalt des Lebens im Alter – neue Lebensentwürfe und Altersbilder
✓ Gelingendes Altern – eine individuelle Gestaltungaufgabe
✓ Altern digital – Megatrend Digitalisierung beeinflusst den Prozess des Alterns
1.1 Altern heute verlangt nach Gestaltung und braucht soziale Bezüge
Altern heute ist ein dynamischer und spannender Prozess, der geprägt ist von großen individuellen Unterschieden, als Ergebnis von lebenslangen biografischen Einflüssen und Faktoren, die unsere persönliche Entwicklung maßgeblich bestimmen. Diese für unser Leben so bestimmenden Rahmenbedingungen sowie die bisher im eigenen Leben verpassten Chancen und Optionen sind ganz maßgeblich für unser Leben im Alter von hoher Relevanz. Trotzdem sind wir als Individuen auch dann, wenn wir die Phase beruflicher und familiärer Verpflichtungen hinter uns gelassen haben, durchaus in der Lage, unser Leben neu auszurichten, uns neu zu positionieren und Korrekturen vorzunehmen (vgl. Pinter, Weiss, Papousek & Fink, 2014)
Im Sinne einer Differenzierung und als Antwort auf die wachsende Zeitspanne nach Beruf und Familienzeit dominiert heute das Bild vom gestalteten Leben im Alter, das möglichst sinnvoll gefüllt werden kann und soll. Diese Orientierung auf Fragen der Sinnfindung im Alter stellt die Lebensgestaltung als Ergebnis von Reflexion und als begreifbares Kontinuum im Leben in den Mittelpunkt. Dabei wird der alternde Mensch vor dem Hintergrund seiner unter biografischen Bedingungen erworbenen Ressourcen und Kompetenzen als Gestalter seiner Umwelt gesehen. Altern kann damit zur Herausforderung und zur neuen Chance werden (Kricheldorff, 2020b, 2019; Kocka & Staudinger, 2011).
Die Frage, wie wir uns in der Gesellschaft des langen Lebens verorten, wie offen wir auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren und damit auf der »Höhe der Zeit« bleiben wollen, ist eine ganz persönliche Entscheidung. Sie fällt sicher manchen Menschen mit guten Startbedingungen in die nachberufliche Phase leichter als denen, die dafür weniger günstige Voraussetzungen mitbringen. Aber wichtig und lohnend darüber nachzudenken, wie dieser lange Lebensabschnitt sinnvoll gestaltet werden kann, ist es bei aller Unterschiedlichkeit der individuellen Bedingungen allemal. Und dies gilt für alle Menschen, die die kollektive Erfahrung von Veränderungen im Prozess des Alterns für sich möglichst gut bewältigen wollen. Einfach abzuwarten, was da so kommen mag, ist wenig konstruktiv und kann in die Sackgasse von Frustration führen, die wiederum ein guter Nährboden für Krankheit ist und den Weg in Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit ebnet.
Dieser Entscheidungsprozess ist auch ein Ergebnis von Reflexion, möglichst im Dialog mit anderen Menschen – das macht es einfacher und verschafft neue Sichtweisen. Der interpersonelle Austausch, auch mit Menschen anderer Generationen, kann für die Gestaltung des eigenen Lebens im Alter wertvolle Impulse liefern, weil die eigene Positionierung durch die unter Umständen differierenden Perspektiven sowie durch die dadurch mögliche Abwägung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden leichter fällt. Diese sind ein typischer Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und Bedingungen in der jeweiligen Zeit. Insofern haben diese sozialen Bezüge eine hohe Relevanz, weil Menschen gleicher Geburtsjahrgänge durchaus vergleichbare kollektive Erfahrungen gemacht haben.
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