Dummerweise war Albrecht von Mainz einer der Architekten des neuen Ablasssystems. »Lasset uns das Papsttum genießen, da Gott es uns verliehen hat«, soll Papst Leo X. (Papst von 1513 bis 1521) einmal seinem Bruder gesagt haben. Als er Papst wurde, war er 37 Jahre alt und hatte eigentlich nur gute Unterhaltung im Sinn. Theologie und ernsthafte Geschäfte langweilten ihn. Sein Steckenpferd war der Neubau des Petersdoms – und dafür brauchte er Geld, viel Geld. Und da fand er in Albrecht von Mainz den richtigen Partner.
Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, ab 1518 Kardinal, und wie Papst Leo X. war auch er habgierig und machthungrig. Die politischen Manöver und Einzelheiten erspare ich Ihnen (auch ein großes Bankhaus spielt eine Rolle – wie aktuell ist das denn alles?!). Jedenfalls wurde Albrecht päpstlicher Ablasskommissar (hatte also den gesamten Ablasshandel unter sich) und später Kurfürst (im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wählten jeweils sieben Kurfürsten den Kaiser). Eigentlich konnten alle glücklich sein: Die Gläubigen fanden gegen ein Entgelt Trost im Ablass, die Bank bekam ihren Kredit mit Zinsen zurück, Albrecht wurde reich und der Petersdom fertig.
Wenn es denn nicht noch einen Dominikanermönch namens Johann Tetzel gegeben hätte, der alles übertreiben musste und den cholerischen Martin Luther mit dem empfindlichen Gewissen zur Weißglut brachte.
Tetzel war einer der einflussreichsten unter den Ablasspredigern. Martin Luther beschrieb, wie Tetzel und seine Leute vorgingen: Zunächst zogen sie mit großem Aufwand in einen Ort ein und versammelten die Bevölkerung. Dann predigte Tetzel und verstieg sich zu immer waghalsigeren Aussagen. Er habe vom Papst einen so mächtigen Ablass zu vermitteln, dass selbst der Heilige Petrus weniger Leute in den Himmel gebracht habe als er, Tetzel. Der Ablass sei die Gnade, durch die der Mensch erlöst werde. Und: Selbst wenn jemand die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes, vergewaltigt und geschwängert hätte, würde der Ablass ihn von dieser Sünde befreien – alles eine Frage des Preises. Ob das geflügelte Wort wirklich so gesprochen wurde oder nicht, aber das »sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt« versprach den Hinterbliebenen sofortige Erlösung ihrer verstorbenen Lieben aus dem Fegefeuer. Und wer wollte da nicht zahlen?
Theologisch gesehen war der Gipfel des Missbrauchs aber, dass der Ablass nicht mehr nur die Strafen für Sünden minderte, sondern tatsächlich zur Vergebung der Sünden verkauft wurde.
Nach allem, was Sie bis hierher schon über Martin Luthers Temperament und sein Gewissen gelesen haben, können Sie sich vorstellen, dass sein Zorn wuchs. Und was tun Theologen, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind? Sie schreiben erst mal. Vorteil: Schreiben räumt den Verstand auf. Und wer schreibt, der bleibt.
Nicht nur Albrecht bekam Luthers 95 Thesen. Da sie öffentlicher Diskussionsgegenstand waren, nagelte Luther sie an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. Dort wurde alles angeschlagen, was ein Theologe mit seinen Kollegen debattieren wollte (und das ist bei Theologen immer eine Menge; ein Wunder, dass an dieser Tür überhaupt noch Platz für Luthers Liste war).
Luther schien seinen Finger in eine offene Wunde gelegt zu haben. Er schien nicht der Einzige zu sein, der beim Ablass ein schlechtes Gefühl hatte. Seine Thesen wurden gleich ins Deutsche übersetzt, gedruckt und verbreiteten sich schnell.
Was ist nun der Inhalt von Luthers Thesen? Im Wesentlichen richten sie sich gegen den Handel mit dem Ablass. Das »Gerechtfertigtsein allein aus Glauben« finden wir hier noch nicht, Luther war noch nicht so weit, er kämpfte selbst noch. Aber dass Geld keine Sünden vergibt, das war ihm jetzt schon klar. Hier eine kleine Auswahl aus den Thesen:
49. Man soll die Christen lehren, dass des Papstes Ablass nützlich ist, wenn man auf ihn nicht sein Vertrauen setzt, dass er aber mehr als schädlich ist, wenn man seinetwegen aufhört, Gott zu fürchten.
50. Man soll die Christen lehren: Wenn der Papst wüsste, wie die Ablassprediger das Geld erpressen, würde er die Peterskirche lieber zu Asche verbrennen, als sie mit Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe aufzubauen.
54. Man beleidigt das Wort Gottes, wenn in einer Predigt dem Ablass die gleiche oder noch mehr Zeit eingeräumt wird als ihm.
65. Darum ist der Schatz des Evangeliums das Netz, mit dem man einst Menschen fing, die Reichtümer besaßen.
66. Der Schatz des Ablasses aber ist das Netz, mit dem man heute die Reichtümer der Menschen fängt.
84. Seit wann gilt es bei Gott und dem Papst für fromm, einem Gottlosen und Feinde (Gottes) die Erlösung einer frommen und von Gott geliebten Seele um des Geldes willen zu gestatten, diese fromme und geliebte Seele aber nicht um ihrer Not willen aus Liebe umsonst zu erlösen?
Luther stand unter ständigem Druck, sowohl von außen als auch in seinem Denken. Eine weitere Thesensammlung aus dem Frühjahr 1518 klang schon ganz anders:
8. Die Erlassung der Schuld gründet sich nicht auf die Reue des Sünders noch auf das Amt und die Gewalt des Priesters.
9. Sie gründet sich vielmehr auf den Glauben, der sich an das Wort Christi hält (Matthäusevangelium Kap. 16, 19).
15. Darum ist's also gewiss: Die Sünden sind vergeben, wenn du glaubst, dass sie vergeben sind. Denn die Verheißung Christi, des Heilands, ist gewiss.
( Disputation zur Erforschung der Wahrheit und zum Trost der erschrockenen Gewissen , 1518)
Nach dem Thesenanschlag 1517 wurde Luther bekannt – und zum öffentlichen Ärgernis.
Papst und Kaiser fühlen sich bedroht: Diskussionen und Debatten
Luthers Thesen wurden in ihrer Druckversion zum Tagesgespräch der gebildeten wie der einfachen Leute. Denn der Ablass betraf jeden. Und wer weiß: Vielleicht hatten auch viele der einfachen Menschen schon langsam ein mulmiges Gefühl. Martin Luther aber geriet langsam in Schwierigkeiten.
Bis zum Reichstag in Worms im Jahre 1521 nahm der Druck auf Luther ständig zu. Um das hier nicht allzu sehr in die Länge zu ziehen, hier die Jahre 1518 bis 1521 im Schnelldurchlauf:
Natürlich war Erzbischof Albrecht von Mainz wütend darüber, dass da jemand Sand ins Getriebe streute. Er verklagte Luther in Rom.
Im Mai 1518 verfasste Luther die »Resolutionen«, eine Erläuterung seiner 95 Thesen. Da er damit den Rahmen der gelehrten Diskussion an der Universität verließ, fragte er noch seinen Bischof um Erlaubnis zur Veröffentlichung. Der riet zum Aufschub, Luther stimmte zu. Diese Demut wiederum beeindruckte den Bischof so, dass er die Veröffentlichung doch erlaubte.
Die »Resolutionen« enthielten als Vorwort einen Brief an Papst Leo X. Immer noch lesen wir von Luther Worte der Demut: »Deine Stimme werde ich als Stimme Christi anerkennen, der in Dir regiert und redet. Wenn ich den Tod verdient habe, so werde ich mich nicht weigern zu sterben.« Doch hätte Papst Leo schon ahnen können, dass es so einfach nicht wird. Denn an anderer Stelle im Brief hieß es: »Widerrufen kann ich nicht, obwohl ich sehe, dass durch diese Veröffentlichung ein außerordentlicher Hass gegen mich entfacht ist.«
Im April 1518 kam es zur »Heidelberger Disputation«, zu einem Streitgespräch zwischen Gelehrten. Dieses Streitgespräch fand innerhalb des Augustinerordens statt. Für Luther ging es hier schon nicht mehr wirklich um den Ablass, sondern um die Macht der Gnade Gottes, die Menschen rettet. Unter den Zuhörern waren einige bedeutende spätere Reformatoren wie zum Beispiel Martin Bucer. Das Heidelberger Treffen trug langfristig mehr zur Ausbreitung der Reformation bei als zur Eindämmung.
Es kam zum ersten Verhör während des Reichstags in Augsburg (1518). Zwar hatte Kardinal Cajetan sich auf die Diskussion mit Luther gut vorbereitet. Aber letztendlich forderte er von Luther doch nur, dass er seine Thesen widerrufen sollte. Das Beispiel von Jan Hus vor Augen (siehe Kapitel 1) riet man Luther, Augsburg zu verlassen, weil man ihn vielleicht verhaften könnte. Luther verließ die Stadt bei Nacht und Nebel.
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