1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 Wie gesagt: Es gibt in den evangelischen Kirchen keine Autorität, die festschreibt, was geglaubt werden muss. Es gibt »Bekenntnisse« (davon mehr in Kapitel 15), auf die sich Kirchen und Gemeindeglieder verpflichten – wenn ihr Gewissen es erlaubt.
Natürlich spielt das Gewissen auch bei Katholiken, Muslimen, Atheisten und allen anderen Menschen eine Rolle. Nur gibt es bei den Evangelischen vielleicht eine stärkere und bewusstere Tradition des »Sich-auf-sein-Gewissen-Berufens«. Am Fall der Berliner Mauer und des DDR-Regimes waren wohl nicht zufällig so viele evangelische Pastoren beteiligt.
Das Gewissen – ein fleißiger Gründer neuer Kirchen
Ebenso wenig ist es ein Zufall, dass es so viele verschiedene evangelische Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften gibt. Denn die Freiheit des Gewissens macht auch streitbar, und da, wo ein Gläubiger den Weg eines anderen aus Gewissensgründen nicht mitgehen kann, kann man sich nur trennen – und vielleicht sogar eine neue Kirche gründen. Luther, Zwingli und Calvin haben das ganz am Anfang der Reformation vorgemacht und es ist bis heute so geblieben.
In diesem Zusammenhang begegnen einem oft zwei Begriffe: »Konfession« und (seltener) »Denomination«. Beide Begriffe bezeichnen eine Untergruppe innerhalb einer Religion, die sich in Lehre und Praxis etwas von anderen unterscheidet. Christliche Konfessionen wären zum Beispiel die römisch-katholische Kirche und die evangelische Kirche. Diese teilt sich wieder in weitere Konfessionen, also zum Beispiel die lutherische, die reformierte, die methodistische oder die baptistische Kirche.
Dass sich dann unter dem Deckmantel des Gewissens manchmal auch einfach nur Stolz, Dickköpfigkeit, Machtstreben oder auch Dummheit verbergen – nun, das ist wohl menschlich und umso weniger zu vermeiden, je mehr Freiheit die Menschen genießen.
Noch ein weiteres Merkmal des evangelischen Glaubens wird Sie durch dieses Buch begleiten: der Glaube an die Bedeutung des »Wortes«. Das bedeutet zunächst einmal die Bibel, die nach evangelischer Sichtweise jeder Christ lesen, verstehen, auslegen und als Richtschnur für sein Leben gebrauchen können sollte. Doch der Respekt vor dem »Wort« gilt auch allen anderen Büchern, dem gesprochenen Wort ( Kapitel 9widmet sich der Predigt) und der Bildung. Schulen gründen, die Menschen lesen und schreiben lehren und Bücher drucken – das war von Anfang an eine evangelische Leidenschaft.
Zum »Mann des Jahrtausends« wurde folgerichtig auch weder Luther noch Calvin gewählt. Es war Johannes Gutenberg (eigentlich Johannes Gensfleisch, circa 1400–1468). Er erfand den modernen Buchdruck und löste damit eine Medienrevolution aus. Vorher mussten Bücher und andere Schriften handschriftlich kopiert werden. Beim Kopieren von Handschriften kam es auf extreme Genauigkeit und Sorgfältigkeit an. Wer hatte dabei schon Zeit, über das Gelesene auch noch nachzudenken? Außerdem konnte man unbequeme Texte in wenigen Exemplaren viel besser unter Kontrolle halten.
Und plötzlich die Druckerpresse: Das Kopieren besorgte eine Maschine, man brauchte nur noch zu lesen oder sich vorlesen zu lassen. Den Druck besorgte jemand anders und man hatte Zeit zum Nachdenken. Ausverkauft, verbrannt, verboten? Egal, man druckte eben nach! Martin Luthers Schriften wurden Bestseller – und er wusste, wie man schreibt und die Menschen bewegt. Der evangelische Glaube ruht auf dem »Wort« – dem der Bibel ebenso wie darauf, was Christen bis heute schreiben und lesen.
Ein auch handwerklich äußerst schön gemachtes Buch ist die Gutenberg-Biografie von Klaus-Rüdiger Mai Gutenberg: Der Mann, der die Welt veränderte (Berlin, 2016).
In Evangelisch für Dummies werden Sie von mancher ernsthaften Gewissensentscheidung lesen, die viel Gutes gebracht hat. Aber auch manche evangelische Engstirnigkeit und Umwege werde ich Ihnen nicht verschweigen. Aber wie heißt es so schön: »In Gottes Garten blühen viele Blümchen …«
Kapitel 2
Martin Luther, das Gewitter und die Gnade Gottes
IN DIESEM KAPITEL
Martin Luther sucht nach Gott
Lebensgefährliche Kritik
Einer gegen alle
Erfolge und Krisen der Reformation
Als die katholische Kirche die Krise mit dem Papstsitz in Avignon und den Doppel- und Dreifachpäpsten hinter sich hatte (siehe Kapitel 1), muss Rom ein ziemlich verwahrloster Ort gewesen sein. Die alte Pracht war dahin, die mittelalterliche Machtfülle der Päpste vorerst ebenso. Doch schon bald arbeiteten die Päpste daran, ihre alte Macht wiederherzustellen. Äußeres Zeichen für die neue Macht sollte der Petersdom in Rom werden.
Um das Jahr 324 hatte Kaiser Konstantin über dem vermuteten Petrusgrab in Rom eine Kirche (Basilika) errichten lassen. Nach einer wechselhaften Geschichte wurde dieser erste »Petersdom« ab 1451 noch einmal gründlich renoviert. Papst Julius II. (Papst von 1503 bis 1513) schien die alte Kirche nicht groß und prächtig genug für sein eigenes Grabmal. So beschloss er den Abriss der alten Basilika und einen Neubau: den Petersdom, wie wir ihn heute kennen. Mit dem Bau dieses riesigen Doms wurde 1506 begonnen.
Doch wie dieses gewaltige Projekt finanzieren? Damals wie heute explodierten die Kosten von solchen Mammutprojekten schnell. Doch mit etwas Geschick ließen sich vorhandene Einnahmequellen noch ein wenig ausbauen. Ein Glücksfall war der Fund von Alaun auf päpstlichem Gebiet. Das für das Färben von Textilien und für die Gerberei wichtige Salz warf enorme Gewinne ab. Aber auch der Verkauf von kirchlichen Ämtern an den Meistbietenden und der Ablasshandel (siehe Kapitel 1) spülten Geld in die Kasse der Kirche.
»Sobald das Geld im Kasten klingt …« – der Ablass
In der Theologie des 13. Jahrhunderts hatte sich die Lehre vom »Gnadenschatz« der Kirche ausgebildet. Man nahm an, dass Christus und die Heiligen so viele gute Taten getan hatten, dass es nun einen Überschuss an guten Werken gab. Dieser angesammelte »Schatz« der Verdienste wurde vom Papst verwaltet und konnte den gewöhnlichen Gläubigen zugutekommen, um sie von Strafen für ihre Sünden zu befreien. Zunächst galten Ablässe hauptsächlich für Kreuzfahrer. Wer also für die Befreiung Jerusalems ins Heilige Land zog, hatte sich das Fegefeuer schon so gut wie erspart, er konnte damit rechnen, gleich in den Himmel zu kommen.
Der Ablass wurde zunächst nicht nur gegen Geld abgegeben. Grundsätzlich war es so, dass eine Geldspende der Dank für die erlassene Sündenstrafe sein sollte, die Armen sollten beten und fasten.
Doch die »Theologie« des Ablasses und sein Wert als Einnahmequelle entwickelten sich. Ab dem Jahre 1476 konnten Ablassbriefe auch für Verstorbene erworben werden. Zu Martin Luthers Lebzeiten war es dann so weit, dass man sogar Ablässe für zukünftige Sünden erwerben konnte. Theologisch korrekt müsste man sagen, dass der Ablass nie die Vergebung der Sünden vermitteln sollte, sondern immer nur einen Erlass der Strafen für die Sünden bewirkte. Der einfache Gläubige aber verstand den Kauf eines Ablassbriefs mit der Zeit immer mehr als »Sündenvergebung« an sich und wurde von den päpstlichen Ablasshändlern auch gern in dem Glauben gelassen – auch wenn darauf hingewiesen wurde, dass die Beichte trotzdem noch abgelegt werden müsse.
Das Ablasssystem rief auch schon vor Luther Kritiker auf den Plan. Bei ihm aber kam vieles zusammen: sein persönlicher Kampf um die Vergebung seiner Sünden, sein cholerisches Temperament und ein Gewissen, das sich nur Gott und keinem Menschen verpflichtet wusste.
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