Spätestens im Verhör mit Cajetan musste Luther feststellen, dass Rom keinerlei Interesse daran hatte, sich mit ihm theologisch auseinanderzusetzen. Er sollte sich der Autorität des Papstes unterordnen und den Frieden nicht stören.
Die sogenannte Leipziger Disputation von 1519 lief für Luther nicht gut. Mittlerweile hatte er Mitstreiter, die ihn begleiteten: Philipp Melanchthon (1497–1560; er wurde später der herausragende Theologe der Reformation) und Andreas Bodenstein, genannt »Karlstadt« (er sollte Martin Luther noch einigen Ärger bereiten).Gegner der Wittenberger war Johannes Eck (1486–1543). Der Doktor der Theologie war von 1510 bis zu seinem Tode Theologieprofessor in Ingolstadt. Er wurde zum erbitterten Gegner der Reformation.Zunächst trat Karlstadt gegen Eck an. Gegen Ecks Rednerkünste blieb Karlstadt allerdings ohne Chance. Mit Luther hatte Eck nicht so leichtes Spiel, trotzdem ließ sich Eck nach der Disputation als Sieger feiern. Erst später, nachdem die Abschriften des Streitgesprächs erscheinen waren, wurde deutlich, dass Eck auch ein Blender war, der seine Gegner weniger mit Argumenten als mit rednerischen Tricks und Kniffen in die Ecke drängte. So brachte er Luther dazu, sich auf die Seite des verurteilten Ketzers Jan Hus zu stellen. Außerdem bestritt Luther die absolute Autorität des Papstes und die Autorität und Irrtumslosigkeit der Konzilien (Kirchenversammlungen, siehe Kapitel 1).
Wichtig in dieser Zeit war für Luther die Hilfe seines Landesfürsten, des Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen (genannt »der Weise«, 1463–1525). Dieser war eigentlich tief im Katholizismus verwurzelt und hatte eine eindrucksvolle Sammlung von Reliquien. Interessanterweise wurde er auch nie ein wirklicher Freund der Reformation. Es schien eher, dass er sich durch eine Stärkung Luthers und der evangelischen Bewegung eine Schwächung der Macht des Papstes und der des Kaisers erhoffte. Jedenfalls erkannte er das im Dezember 1518 ausgesprochene Ketzerurteil über Martin Luther nicht an und beschützte ihn auch im besonders kritischen Jahr 1521.
Mehr und mehr, schneller und schneller brachen in Luthers Denken, Reden und Schreiben jetzt alle Dämme: Er kritisierte Papst und Kirche, stellte das Wort Gottes über das des Papstes und die Tradition der Kirche und ließ als für das Heil notwendig nur noch das gelten, was Gott für den Menschen tut. Es formten sich die Grundsätze des evangelischen Glaubens:
sola gratia , allein die Gnade: Allein durch die Gnade Gottes kann der Mensch das ewige Leben erlangen.
sola fide , allein der Glaube: Bezeichnet das Vertrauen des Menschen in die Gnade Gottes.
sola scriptura , allein die Schrift: Nur das Wort Gottes, die Bibel, kann dem Menschen sagen, wie er errettet wird und wie er leben soll, keine menschliche Autorität oder kirchliche Tradition.
solus Christus , allein durch Jesus Christus findet der Mensch Errettung von seinen Sünden.
Martin Luther, der treue, ernsthafte Augustinermönch, hatte endgültig mit der Kirche Roms gebrochen. In Worms musste er 1521 noch einen schweren Kampf ausfechten, aber bis dahin predigte, lehrte und schrieb er unermüdlich.
Der Medienstar: Martin Luther schreibt
Es ist nicht vorstellbar, dass es ohne die Druckerpresse eine Reformation gegeben hätte. Luther wurde zum Star, dessen Schriften jeder lesen oder vorgelesen haben wollte. Er regte die Menschen zum Nachdenken an und fand Worte für ihre Fragen und Nöte. Wichtig ist, dass all seine Schriften schnell aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen wurden, später schrieb Luther sogar nur noch auf Deutsch.
Luthers wichtigste Schriften dieser ersten Jahre sind folgende:
Sermon (also Predigt, M.K.) von den guten Werken (1520). Hier schrieb er noch einmal über das Verhältnis von guten Taten, Gnade und Erlösung.
An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) verfasste Luther auf Deutsch. Luther zählte hier die Missstände in der Kirche auf und bestritt deren absolute Autorität. Das kirchliche Leben in den Gemeinden sollte neu gestaltet werden. Er kritisierte aber auch den Reichtum und die Eigensucht des Adels. Das Wort Gottes galt eben nicht nur dem kleinen Mann, sondern auch den Reichen und Mächtigen. Im Grunde fasste Luther in dieser Schrift die Kirchenkritik der vergangenen Jahrhunderte zusammen.
Es folgte Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche (1520), eine Schrift, die Luther auf Lateinisch verfasste und die für seine Theologenkollegen gedacht war. So wie die Juden einmal in Babylon gefangen waren, werden nun die wahren Christen von der Kirche ihrer Freiheit beraubt. Statt der sieben Sakramente der katholischen Kirche ließ Luther nur noch drei gelten: Taufe, Buße und Abendmahl. Nur noch Taufe und Abendmahl würden bleiben.
Die dritte Hauptschrift von 1520 war Von der Freiheit eines Christenmenschen . Hier machte Luther deutlich, dass ein Christ zwar kirchliche Bräuche und Traditionen befolgen kann, aber es nicht muss. Gleichzeitig aber sollte jeder Christ ein Auge auf seinen Mitchristen haben, der vielleicht die christliche Freiheit noch nicht so verstanden hatte. Diesen sollte man durch das Ausleben seiner Freiheiten nicht unnötig verwirren und beschweren. In diesem Fall hätte ein Christ auch die Freiheit, auf seine Freiheit zu verzichten.
Martin Luthers Schriften gibt es in verschiedenen Ausgaben für Wissenschaftler und für »normale« Leser. Eine schöne, handliche Ausgabe wurde von Thomas Kaufmann herausgegeben: Martin Luther Schriften I: Aufbruch der Reformation, Schriften II: Reformation der Frömmigkeit und Bibelauslegung (beide Berlin, 2014), Schriften III: Kirche und Schule, Schriften IV: Christ und Welt (beide Berlin, 2015). Interessant an dieser Ausgabe ist, dass die Schriften nach Themen geordnet sind.
Wer es ganz modern möchte und vielleicht sogar für Jugendliche interessant, der sollte einen Blick in Martin Reloaded: Luthers Schriften für alle von Martin Dreyer werfen (Wuppertal, 2015). Zum Beispiel wird Luthers Schrift Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei bei Dreyer zu Ein Aufsatz über die Polizei, die Richter und den Staat und wann man tun muss, was sie einem sagen . Das ist nicht nur amüsant, sondern oft auch erhellend zu lesen.
Später wurde Philipp Melanchthon der systematische und logische Denker der evangelischen Theologie. Luther hatte nie ein geschlossenes System seiner Theologie entworfen. Er legte zwar in seinen Vorlesungen systematisch Bibeltexte aus. Aber er schrieb und predigte immer für die jeweilige Situation, sprach aktuelle Probleme an und beantwortete drängende Fragen. Eine »Theologie Martin Luthers« muss man sich aus seinen Schriften, Predigten, Briefen und Tischreden zusammensuchen und in etwas Kleinarbeit erschließen.
Nach diesem Schnelldurchgang wird es Zeit für ein paar Buchempfehlungen:
Eine wichtige Biografie ist Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs von Heinz Schilling (München, 2012). Auf über 700 Seiten erfährt man viel über Martin Luther und seine Zeit.
Eher auf die Persönlichkeit Martin Luthers konzentriert sich Heiko A. Oberman mit Luther: Mensch zwischen Gott und Teufel (Berlin, 1982; vergriffen, aber unter www.zvab.com
in verschiedenen Auflagen gebunden und als Taschenbuch zu finden). Oberman interessiert das Innenleben Luthers als Mensch seiner Zeit. Sehr interessant und oft überraschend. Ebenfalls mit Luthers Charakter setzt sich die Historikerin Lyndal Roper auseinander: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie (Frankfurt am Main, 2016).
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