Schließlich sagte er unsicher:
»Das ist ja ein sehr merkwürdiges Haus!«
Die Zeichnung stellte ein rechteckiges, zweistöckiges Haus dar, das einen viereckigen Lichthof umschloss. Dieser war in der Höhe des oberen Stockwerks von einer Galerie umgeben und mit einem von acht Säulen getragenen Glasdach überdeckt, die vom Boden emporstiegen.
Für die Augen eines Forsyte war es allerdings ein merkwürdiges Haus.
»Es ist eine Menge Raum verschwendet«, fuhr Soames fort.
Bosinney fing an, auf und ab zu gehen, und Soames gefiel der Ausdruck in seinem Gesicht nicht.
»Der Hauptzweck dieses Hauses«, sagte der Architekt, »ist, Ihnen Raum zum Atmen zu schaffen – wie es sich für einen Gentleman gehört!«
Soames spreizte Zeigefinger und Daumen, wie um den Umfang der Vornehmheit zu messen, die er erlangen würde, und erwiderte:
»Jawohl; ich verstehe!«
Ein eigentümlicher Ausdruck, der seinen ganzen Enthusiasmus verriet, kam in Bosinneys Gesicht.
»Ich habe versucht, Ihnen hier den Plan eines Hauses zu zeichnen, das etwas auf sich hält. Wenn es Ihnen nicht gefällt, sagen Sie es lieber gleich. Es ist sicherlich das Letzte, was zu berücksichtigen wäre – wer verlangt schon Selbstachtung von seinem Hause, wenn irgendwo noch ein Toilettenraum hineingezwängt werden kann!« Er zeigte mit dem Finger plötzlich auf den linken Teil des mittleren Rechtecks: »Hier haben Sie Raum, sich zu bewegen. Das ist für Ihre Bilder, durch Vorhänge vom Hof getrennt; wenn man sie zurückzieht, entsteht ein Raum von einundfünfzig zu dreiundzwanzig Fuß. Dieser zweiseitige Ofen in der Mitte hier geht mit einer Seite auf den Hof und mit der anderen auf den Bildersaal; diese Wand besteht ganz aus Fenstern, durch sie fällt das Licht von Südosten, und Nordlicht kommt vom Hof her. Die übrigen Bilder können Sie oben rund um die Galerie aufhängen oder in den anderen Räumen. In der Architektur«, fuhr er fort und schien Soames nicht zu sehen, obwohl sein Blick auf ihn gerichtet war, was diesem ein unbehagliches Gefühl bereitete, »wie im Leben gibt es keine Selbstachtung ohne Regelmäßigkeit. Man wird Ihnen sagen, dass das altmodisch sei. Jedenfalls scheint es sonderbar, dass es uns niemals in den Sinn kommt, das Hauptprinzip des Lebens in unseren Bauten zu verkörpern; wir überladen unsere Häuser mit Verzierungen, Krimskrams, Erkern und allerlei, was das Auge ablenkt. Das Auge soll im Gegenteil Ruhe finden; man muss mit wenigen starken Linien eine Wirkung erzielen. Wovon alles abhängt, das ist Regelmäßigkeit – ohne die gibt es keine Selbstachtung!«
Mit unbewusstem Spott heftete Soames seinen Blick auf Bosinneys Krawatte, die durchaus nicht schnurgerade herabhing; er war auch unrasiert, und sein Anzug zeichnete sich nicht gerade durch Ordnung aus. Die Architektur schien seine ganze Regelmäßigkeit erschöpft zu haben.
»Wird es nicht wie eine Kaserne aussehen?«
Er erhielt nicht sogleich eine Antwort.
»Ich verstehe schon«, sagte Bosinney, »Sie wollen eins von Littlemasters Häusern – eins von der hübschen und geräumigen Sorte, wo die Dienstboten in Dachstuben wohnen und die Haustür tiefer liegt, so dass man gleich zu steigen hat. Gehen Sie doch zu Littlemaster, er ist ein vortrefflicher Mensch, ich kenne ihn seit langem!«
Soames erschrak. Die Pläne hatten wirklich Eindruck auf ihn gemacht und er hatte seine Befriedigung nur ganz instinktiv verheimlicht. Es war schwierig für ihn, seine Anerkennung auszusprechen. Er verachtete Leute, die freigebig mit ihrem Lobe waren.
Nun befand er sich in der peinlichen Lage, ein Kompliment aussprechen zu müssen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, etwas Vorteilhaftes zu verlieren. Bosinney war ganz der Mann dazu, die Pläne zu zerreißen und sich zu weigern, weiter für ihn zu arbeiten; er war wie ein großes Kind!
Dieses Wesen eines großen Kindes, dem gegenüber er sich so überlegen fühlte, übte auf Soames eine merkwürdige, beinahe magnetische Wirkung aus, denn er hatte niemals etwas Ähnliches in sich gefühlt.
»Ja«, stotterte er endlich, »es ist – es ist jedenfalls originell!«
Er empfand ein geheimes Misstrauen, ja, sogar eine solche Abneigung gegen das Wort ›originell‹, dass er das Gefühl hatte, sich mit dieser Bemerkung eigentlich nicht zu verraten.
Bosinney schien erfreut. So etwas musste einen Menschen wie ihn natürlich freuen! Und Soames ermutigte dieser Erfolg.
»Es ist – ein großes Haus«, sagte er.
»Raum, Licht und Luft«, hörte er Bosinney murmeln, »in Littlemasters Häusern kann man nicht wie ein Gentleman leben – er baut für Fabrikanten.«
Soames machte eine abbittende Bewegung; er war mit einem Gentleman auf eine Stufe gestellt worden; um keinen Preis hätte er sich jetzt noch zu den Fabrikanten rechnen lassen mögen. Doch sein angeborenes Misstrauen gegen allgemeine Prinzipien erwachte aufs Neue. Was zum Teufel hatte es für einen Zweck, über Regelmäßigkeit und Selbstachtung zu reden? Er hatte den Eindruck, als würde das Haus kalt sein.
»Irene verträgt keine Kälte!«, sagte er.
»So!«, sagte Bosinney sarkastisch. »Ihre Frau? Sie liebt die Kälte nicht? Das lassen Sie meine Sorge sein; sie wird nicht frieren. Sehen Sie hier!«, er wies auf vier Zeichen in regelmäßigen Abständen an den Wänden des Hofes. »Ich habe hier Wasserheizung in Aluminiumkörpern vorgesehen; man bekommt sie in sehr hübschen Formen.«
Misstrauisch betrachtete Soames diese Zeichen.
»Das ist alles sehr gut und schön«, sagte er, »aber was wird es kosten?«
Der Architekt zog einen Bogen Papier aus der Tasche.
»Das Haus müsste eigentlich ganz in Stein gebaut werden, da ich aber annahm, dass es Ihnen zu teuer sein würde, habe ich mich für eine Verkleidung entschlossen. Es sollte ein kupfernes Dach haben, aber ich habe stattdessen grünen Schiefer genommen. Im Ganzen, einschließlich der Metallarbeiten, wird es Sie achttausendfünfhundert Pfund kosten.«
»Achttausendfünfhundert?«, sagte Soames. »Aber ich habe Ihnen doch achttausend als äußerste Grenze genannt!«
»Unmöglich für einen Penny weniger«, erwiderte Bosinney kühl. »Sie müssen sich dazu entschließen oder es ganz aufgeben!«
Dies war vielleicht die einzige Art, in der man Soames einen solchen Vorschlag machen konnte. Er war in die Enge getrieben. Eine innere Stimme riet ihm, die ganze Sache fallen zu lassen. Aber die Zeichnung war gut, das wusste er – und es lag eine gewisse Würde über allem, nichts fehlte; selbst die Räume für die Dienstboten waren ausgezeichnet. Sein Ansehen würde steigen, wenn er in einem Hause wohnte, das ein so eigenartiges Aussehen hatte und doch so vorzüglich eingerichtet war.
Er vertiefte sich wieder in die Pläne, während Bosinney in sein Schlafzimmer ging, um sich zu rasieren und anzukleiden.
Schweigend gingen die beiden zurück zum Montpellier Square, wobei Soames ihn mit einem Seitenblick beobachtete.
›Der Bukanier ist eigentlich ein hübscher Mensch‹, dachte er, w›enn er anständig angezogen ist.‹
Irene stand über ihre Blumen gebeugt, als die beiden Herren eintraten.
Sie sprach davon, nach June über den Park zu schicken.
»Nein, nein«, sagte Soames, »wir haben noch Geschäftliches zu besprechen.«
Beim Mittag war er fast herzlich und nötigte Bosinney fortwährend zum Essen. Er freute sich, ihn in so guter Laune zu sehen, und ließ ihn den Nachmittag über mit Irene allein, während er, seiner sonntäglichen Gewohnheit nach, seinen Bildern verstohlen einen Besuch abstattete. Zur Teezeit ging er in den Salon hinunter und fand sie in einer Unterhaltung, die, wie er es ausdrückte, vom Hundertsten ins Tausendste ging.
Er stand unbemerkt in der Tür und beglückwünschte sich dazu, dass alles ins richtige Geleis gekommen war. Ein Glück, dass sie und Bosinney gut miteinander standen; sie schien anzufangen, sich mit der Idee des neuen Hauses anzufreunden.
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