Hinten sollte er irgendwo ein Schlafzimmer haben.
Sein Einkommen bestand, soviel die Familie Sicheres darüber erfahren konnte, aus je zwanzig Pfund im Jahr, die ihm zwei Anstellungen als Sachverständiger einbrachten, aus einem gelegentlichen Extrahonorar und ferner – was wertvoller war – aus einer jährlichen Leibrente von hundertfünfzig Pfund, die ihm im Testament seines Vaters ausgesetzt war.
Was dabei in Bezug auf diesen Vater ruchbar geworden war, klang nicht gerade beruhigend. Er war anscheinend Landarzt in Lincolnshire gewesen, eine auffallende Erscheinung, mit Byron’schen21 Neigungen – in seiner Gegend eine allbekannte Persönlichkeit. Bosinneys angeheirateter Onkel Baynes, von der Firma Baynes and Bildeboy, ein Forsyte in seinen Instinkten, wenn auch nicht dem Namen nach, wusste nur wenig Gutes von seinem Schwager zu berichten.
»Ein sonderbarer Mensch!«, erzählte er wohl. »Von seinen drei ältesten Söhnen sagte er immer, sie seien ›gute Jungen, aber so dumm‹, dabei bewährten sich alle ausgezeichnet als Beamte in den Indischen Kolonien! Philip war der Einzige, den er liebte. Ich hörte ihn die sonderbarsten Reden führen; einmal sagte er zu mir: ›Lieber Freund, lass deine arme Frau nie wissen, was du vorhast!‹ Aber ich, ich folgte seinem Rat natürlich nicht! Ein exzentrischer Mensch! Er pflegte zu Phil zu sagen: ›Einerlei, ob du als Gentleman lebst oder nicht, mein Junge, jedenfalls aber sieh zu, dass du als solcher stirbst!‹ und sich selbst ließ er im Gesellschaftsanzug mit seidener Krawatte und einer Diamantnadel einbalsamieren. Oh, er war wirklich ein Original, das kann ich Ihnen sagen!«
Von Bosinney selbst sprach Baynes mit Wärme und einem gewissen Mitleid: »Er hat etwas von der Byron-Natur seines Vaters. Bedenken Sie, welche Aussichten er aufgab, als er mein Büro verließ; ging da mit einem Ranzen einfach auf sechs Monate weg, und wozu? – um die Architektur des Auslands zu studieren – des Auslandes! Ich bitte Sie! Was hatte er davon? Nun sitzt er da – ein so gescheiter junger Kerl – und verdient keine hundert Pfund im Jahr. Diese Verlobung jetzt ist wirklich das Beste, was ihm passieren konnte – das wird ihn zur Vernunft bringen; er gehört zu denen, die am Tage schlafen und nachts aufsitzen, nur weil sie keine Methode haben; aber sonst ist kein Makel an ihm – nicht der leiseste Makel. Der alte Forsyte ist ein reicher Mann!«
Mr Baynes war sehr liebenswürdig gegen June, die in dieser Zeit sein Haus am Lowndes Square häufig besuchte.
»Dieses Haus von Mr Soames – übrigens ein ausgezeichneter Geschäftsmann – ist gerade das richtige für Philip«, pflegte er zu ihr zu sagen. »Sie dürfen nicht erwarten, jetzt viel von ihm zu sehen, mein liebes Fräulein. Ein guter Grund – ein guter Grund! Der junge Mann muss seinen Weg machen. Als ich in seinem Alter war, arbeitete ich Tag und Nacht. Meine liebe Frau pflegte zu sagen: ›Bobby, arbeite nicht so viel, denke an deine Gesundheit‹; aber ich schonte mich nie!«
June hatte sich darüber beklagt, dass ihr Verlobter gar keine Zeit fände, nach Stanhope Gate zu kommen.
Als er zum ersten Mal wieder kam, waren sie kaum eine Viertelstunde zusammen gewesen, als durch einen jener Zufälle, die charakteristisch für sie waren, Mrs Small erschien. Bosinney stand auf und verbarg sich, wie vorher verabredet war, in dem kleinen Kabinett, um ihr Fortgehen abzuwarten.
»Liebes«, sagte Tante Juley, »wie mager er ist! Ich habe das öfter bei Verlobten beobachtet; aber du darfst es nicht so weitergehen lassen. Gib ihm doch Barlows Fleischextrakt; es hat deinem Onkel Swithin außerordentlich gut getan!«
Junes kleine Gestalt stand aufrecht vor dem Kamin, ihr zartes Gesichtchen zuckte verdrießlich, denn sie betrachtete den ungelegenen Besuch der Tante als persönliche Beleidigung. Sie erwiderte verächtlich:
»Es kommt daher, dass er etwas tut; wer etwas tut, das der Mühe wert ist, wird niemals dick!«
Tante Juley war gekränkt. Sie selbst war immer mager gewesen, aber das einzige Vergnügen dabei lag für sie in der Sehnsucht, fülliger zu werden.
»Ich finde«, sagte sie grämlich, »du dürftest ihn nicht ›Bukanier‹ nennen lassen; jetzt, wo er das Haus für Soames bauen soll, könnten die Leute es sonderbar finden. Ich hoffe, er wird sich Mühe geben, es ist so wichtig für ihn; Soames hat einen so guten Geschmack!«
»Geschmack!«, rief June aufbrausend. »Ich gebe keinen Pfifferling für seinen Geschmack oder den irgendeines anderen aus der Familie!«
Mrs Small blickte sie überrascht an.
»Dein Onkel Swithin«, sagte sie, »hatte immer einen sehr guten Geschmack! Und Soames’ kleines Haus ist reizend; das ist doch wohl auch deine Ansicht!«
»Hm!«, sagte June. »Das ist alles Irenes Verdienst!«
Tante Juley versuchte nun etwas Angenehmes zu sagen:
»Und wird es der lieben Irene gefallen, auf dem Lande zu leben?«
June starrte sie gespannt, mit einem Blick an, als käme ihr plötzlich eine Erkenntnis; er wurde aber von einem noch gespannteren Starren abgelöst, das diese Erkenntnis wieder ins Wanken zu bringen schien. Sie erwiderte überlegen:
»Natürlich wird es ihr gefallen; warum auch nicht?«
Mrs Small wurde verlegen.
»Ich weiß nicht«, sagte sie, »ich dachte, sie würde sich nicht gern von ihren Freunden trennen. Dein Onkel James sagt, sie sei zu gleichgültig gegen alles. Wir – das heißt Timothy meint, sie sollte mehr ausgehen. Dir wird sie gewiss sehr fehlen!«
June verschränkte die Hände hinten im Nacken.
»Ich wollte«, rief sie, »Onkel Timothy redete nicht über Dinge, die ihn nichts angehen!«
Tante Juley erhob sich zur vollen Höhe ihrer langen Gestalt.
»Er spricht niemals über Dinge, die ihn nichts angehen«, sagte sie.
June bereute gleich ihre Worte; sie lief zu ihrer Tante hin und küsste sie.
»Verzeih mir, Tantchen, es tut mir leid, aber ich wünschte, sie ließen Irene in Frieden.«
Und Juley, der nichts einfiel, was sie über die Sache noch hätte sagen können, schwieg und rüstete sich zum Aufbruch, indem sie ihren schwarzseidenen Umhang über der Brust zuhakte und ihren grünen Pompadour nahm:
»Und wie geht es deinem Großvater?«, fragte sie im Vorraum, »er ist jetzt wohl sehr einsam, wo deine ganze Zeit von Mr Bosinney in Anspruch genommen ist?« Sie bückte sich, küsste ihre Nichte inbrünstig und ging mit kleinen trippelnden Schritten davon.
Junes Augen füllten sich mit Tränen; sie lief in das kleine Kabinett, wo Bosinney am Tisch saß und Vögel auf die Rückseite eines Kuverts zeichnete, sank an seiner Seite nieder und schluchzte:
»Oh Phil, es ist alles so grässlich!« Ihr Herz war so warm wie die Farbe ihres Haares.
Am folgenden Sonntagmorgen, während Soames sich rasierte, wurde ihm gemeldet, dass Mr Bosinney unten sei und ihn zu sprechen wünsche. Er öffnete die Tür zum Zimmer seiner Frau und sagte:
»Bosinney ist unten. Geh doch hinunter zu ihm, bis ich fertig bin. Ich komme in einem Augenblick. Er ist wahrscheinlich wegen der Pläne hier.«
Irene sah ihn an, ohne etwas zu erwidern, beendete ihre Toilette und ging hinunter.
Er konnte nicht dahinterkommen, wie sie über dieses Haus dachte. Sie hatte nichts dagegen gesagt und schien, soweit es Bosinney betraf, sogar sehr freundlich gestimmt.
Vom Fenster seines Ankleidezimmers aus konnte er die beiden unten in dem kleinen Hof miteinander plaudern sehen.
Er beeilte sich mit dem Rasieren und schnitt sich dabei zweimal am Kinn. Er hörte sie lachen und dachte im Stillen: ›Na, sie verstehen sich jedenfalls ganz gut!‹
Wie er erwartet hatte, war Bosinney gekommen, um ihn zur Besichtigung der Pläne abzuholen.
Er nahm seinen Hut und ging mit hinüber.
Die Pläne lagen ausgebreitet auf dem Eichentisch in Bosinneys Büro, und Soames stand blass, gelassen und forschend lange über sie gebeugt, ohne zu sprechen.
Читать дальше