Das kleine Dienstmädchen kam zurück. Ob er die Güte haben wollte, in den Garten zu kommen?
Der alte Jolyon trat durch die Glastür hinaus. Als er die Stufen hinabstieg, fiel ihm auf, dass sie eines neuen Anstrichs bedurften.
Der junge Jolyon, seine Frau, die beiden Kinder und sein Hund Balthasar saßen alle unter einem Birnbaum.
Dieser Gang ihnen entgegen war die mutigste Tat im Leben des alten Jolyon; aber kein Muskel seines Gesichts zuckte, keine unruhige Gebärde verriet ihn. Er richtete seine tiefliegenden Augen fest auf den Feind.
In diesen zwei Minuten lieferte er einen vollkommenen Beweis für die unbewusste Vernunft, Ausgeglichenheit und innere Lebenskraft, die ihn wie viele andere seines Standes zum Kern der Nation machten. In der unostentativen Leitung ihrer eigenen Geschäfte, worüber sie alles andere vernachlässigten, waren sie das Urbild des ausgeprägten, den Briten in der natürlichen Isolation ihres Landes angeborenen Individualismus.
Der Hund Balthasar beschnupperte den Saum seiner Beinkleider; dieser zutrauliche und zynische Mischling – der Sprössling einer Liaison zwischen einem russischen Pudel und einem Foxterrier – hatte eine Nase für das Ungewöhnliche.
Als die seltsame Begrüßung vorüber war, setzte sich der alte Jolyon in einen Korbstuhl, und seine beiden Enkelkinder, jedes an einem Knie, schauten ihn schweigend an, denn sie hatten noch nie einen so alten Mann gesehen.
Als wären sie sich der ungleichen Umstände ihrer Geburt bewusst, sahen sie sich gar nicht ähnlich. Jolly, das Kind der Sünde, pausbäckig, das flachsfarbene Haar aus der Stirn gebürstet, mit einem Grübchen am Kinn, hatte die beharrliche Liebenswürdigkeit und die Augen eines Forsyte; die kleine dunkle Holly, das Kind der Ehe, war ein ernstes Seelchen mit den grauen nachdenklichen Augen der Mutter.
Nachdem der Hund Balthasar um die drei kleinen Blumenbeete herumgegangen war, um seine Verachtung im Allgemeinen kundzugeben, hatte er sich ebenfalls vor dem alten Jolyon niedergelassen, wedelte mit dem dicht über dem Rücken von Natur aus buschigen Schwanz und starrte ihn an, ohne zu blinzeln.
Sogar in diesem Garten überschlich den alten Jolyon das Gefühl, dass alles schäbig war. Der Korbstuhl knarrte unter seinem Gewicht, die Gartenbeete sahen ›ruppig‹ aus, und drüben unter den rußgefleckten Mauern hatten sich die Katzen einen Weg gebahnt.
Während er und seine Enkelkinder sich gegenseitig eigentümlich prüfend, voll Neugierde und doch mit Vertrauen anschauten, wie sehr junge und sehr alte Menschen es zu tun pflegen, beobachtete der junge Jolyon seine Frau.
Die Röte in ihrem zarten ovalen Gesicht mit den geraden Brauen und den großen grauen Augen hatte sich vertieft. Ihr Haar, in schönen kühnen Linien aus der Stirn gekämmt, begann zu ergrauen wie das seine, und dieses Grau erhöhte den peinlich rührenden Eindruck ihres plötzlichen Errötens.
Der Ausdruck ihres Gesichts verriet, was er früher niemals bemerkt, was sie immer vor ihm verborgen hatte, geheimen Groll, Sehnsucht und Furcht. Ihre Augen unter den zuckenden Brauen starrten kummervoll. Sie schwieg.
Jolly allein hielt die Unterhaltung aufrecht. Er besaß viele Schätze und wünschte sehnlichst, dass sein unbekannter Freund mit dem ungeheuren Schnurrbart und den ganz von blauen Adern bedeckten Händen, der mit übergeschlagenen Beinen dasaß wie sein eigener Vater (eine Gewohnheit, die er sich anzueignen suchte), sie kennen lernen sollte; aber als echter Forsyte, wenn auch noch keine acht Jahre alt, erwähnte er nichts von dem, was ihm augenblicklich am meisten am Herzen lag – eine Armee Soldaten in einem Schaufenster, die ihm sein Vater zu kaufen versprochen hatte. Wahrscheinlich schien es ihm zu köstlich, hieß die Vorsehung versuchen, schon davon zu sprechen.
Und die Sonnenstrahlen spielten durch die Blätter auf die kleine schweigsame Gesellschaft von drei Generationen unter dem Birnbaum, der seit langem keine Früchte mehr getragen hatte.
Das gefurchte Gesicht des alten Jolyon war fleckig, rot geworden, wie die Gesichter alter Leute in der Sonne werden. Er ergriff eine von Jollys Händen, und der Knabe kletterte auf sein Knie, worauf Klein-Holly, von diesem Anblick magnetisiert, ebenfalls hinaufkroch; und dazu ertönte das rhythmische Kratzen des Hundes Balthasar.
Plötzlich erhob sich die junge Mrs Jolyon und eilte ins Haus. Eine Minute darauf stotterte ihr Mann eine Entschuldigung und folgte ihr. Der alte Jolyon blieb mit seinen Enkeln allein.
Und die Natur mit ihrer wunderbaren Ironie brachte eine ihrer seltsamsten Umwandlungen in ihm hervor, indem sie die Gesetze ihres Kreislaufs tief in sein Herz hinein verfolgte. Seine Zärtlichkeit für kleine Kinder, seine Leidenschaft für die Anfänge des Lebens, die ihn einst dazu bewegt hatten, seinen Sohn zu verlassen und June zu folgen, trieben ihn jetzt dazu, June zu verlassen und diesen kleinen Wesen zu folgen. Die Jugend brannte noch immer wie eine Flamme in seiner Brust, und an der Jugend hielt er fest, an den kleinen runden Gliedern, die so sorglos und der Fürsorge so bedürftig waren, an den kleinen runden, so grundlos feierlichen oder strahlenden Gesichtchen, an den hohen Stimmchen und dem hellen kichernden Lachen, den unaufhörlich zerrenden Händchen und dem Gefühl der kleinen Körper an seinen Beinen, an allem, was jung war, jung und abermals jung. Und seine Augen wurden sanft, sanft seine Stimme, die dünnen, geäderten Hände, und sanft das Herz in ihm. Und für die kleinen Wesen wurde er alsbald eine Quelle des Vergnügens, eine Zuflucht, wo sie sicher waren, wo sie plaudern und lachen und spielen konnten, bis die höchste Fröhlichkeit dreier Herzen von seinem Platz im Korbstuhl wie Sonnenschein erstrahlte.
Anders aber stand es mit dem jungen Jolyon, der seiner Frau in ihr Zimmer nachgefolgt war.
Er fand sie auf einem Stuhl vor ihrem Toilettenspiegel sitzend, das Gesicht in den Händen geborgen.
Ihre Schultern zuckten vor Schluchzen. Diese Leidenschaftlichkeit ihres Schmerzes war ihm unbegreiflich. Er hatte diese Stimmungen schon hundertmal erlebt; wie er sie ertragen hatte, wusste er selbst nicht, denn er konnte nie glauben, dass es wirklich nur Stimmungen waren und dass die letzte Stunde seines Ehebundes noch nicht geschlagen hatte.
In der Nacht würde sie sicherlich die Arme um seinen Hals schlingen und sagen: »Oh, Jo, was musst du durch mich leiden!« Wie sie es schon hundertmal getan hatte.
Er streckte die Hand aus und ließ das Rasieretui unbemerkt in seine Tasche gleiten.
›Ich kann hier nicht länger bleiben‹, dachte er, ›ich muss wieder hinunter!‹ Er verließ das Zimmer ohne ein Wort und ging zurück in den Garten.
Sein Vater hielt Klein-Holly, die sich seiner Uhr bemächtigt hatte, auf den Knien, und Jolly, ganz rot im Gesicht, versuchte zu zeigen, dass er auf dem Kopfe stehen könne. Dem Teetisch so nahe, wie es möglich war, hielt der Hund Balthasar die Augen fest auf den Kuchen gerichtet.
Der junge Jolyon hatte ein boshaftes Verlangen, ihrem Vergnügen ein Ende zu machen.
Was musste sein Vater heute auch hierher kommen und seine Frau aus der Fassung bringen? Es erschreckte sie nach all diesen Jahren! Er hätte es wissen können, hätte sie darauf vorbereiten sollen. Aber wann hätte ein Forsyte sich je vorgestellt, dass sein Verhalten jemanden außer Fassung bringen konnte! Und in Gedanken tat er seinem Vater unrecht.
Er sprach streng zu den Kindern und wies sie, zum Tee hinaufzugehen. Sehr erstaunt, denn sie hatten ihren Vater noch niemals so streng gesehen, gingen sie Hand in Hand davon, und Klein-Holly blickte über ihre Schulter zurück.
Der junge Jolyon schenkte den Tee ein.
»Meine Frau ist heute nicht ganz auf dem Posten«, sagte er, wusste jedoch sehr wohl, dass sein Vater die Ursache ihres plötzlichen Rückzugs durchschaut hatte, und hasste den alten Mann beinah dafür, dass er so ruhig sitzen blieb.
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