Unter der diamantharten Decke seines Selbsterhaltungstriebes war viel echte Weichheit in James. Ein Besuch bei Timothy war wie eine Stunde auf dem Schoß einer Mutter; und sein tiefes Verlangen nach Schutz unter den Fittichen der Familie wirkte darum auch auf seine Empfindungen den eigenen Kindern gegenüber zurück. Wie ein Alp bedrückte es ihn, sie mit ihrem Vermögen, ihrer Gesundheit oder ihrem Ruf dem Treiben der Welt ausgesetzt zu sehen. Als der Sohn seines alten Freundes John Street als Freiwilliger eintreten wollte, schüttelte er klagend den Kopf und wunderte sich, dass John Street seine Einwilligung dazu gab. Und als der junge Street dann, durch einen Wurfspeer der Bantu getroffen, fiel, nahm er es sich so zu Herzen, dass er überall eigens zu dem Zweck Besuche machte, seine Empörung auszusprechen und zu sagen, dass er gewusst habe, wie es hätte kommen müssen, er habe kein Verständnis dafür.
Als sein Schwiegersohn Dartie damals infolge seiner Spekulationen mit Ölaktien jene verhängnisvolle geschäftliche Krisis durchzumachen hatte, war James vor Sorge krank geworden; ihm war, als würde aller Wohlstand zu Grabe geläutet, und es kostete ihn drei Monate und eine Reise nach Baden-Baden, um sich zu erholen; in dem Gedanken, dass ohne sein Geld Darties Name vielleicht auf die Konkursliste gekommen wäre, lag etwas Furchtbares.
Da er sich einer so gesunden Konstitution erfreute, dass er, wenn er Ohrenschmerzen hatte, schon zu sterben wähnte, betrachtete er gelegentliche Unpässlichkeiten seiner Frau und Kinder als persönliche Kränkung, als besondere Eingriffe der Vorsehung, um seinen Seelenfrieden zu stören. Aber bei Leuten außerhalb seiner unmittelbaren Familie glaubte er überhaupt nicht an Krankheit und schob die Schuld in jedem Fall auf ein vernachlässigtes Leberleiden.
»Was erwarten sie denn«, pflegte er zu sagen, »mir geht’s ebenso, wenn ich nicht vorsichtig bin!«
Als er an diesem Abend zu Soames ging, fand er, dass das Leben ihm hart mitspielte. Emily lag mit ihrem kranken Zeh zu Bett, und Rachel kutschierte auf dem Lande umher; um ihn kümmerte sich keiner. Ann war krank, sie würde den Sommer wohl kaum überstehen – dreimal war er nun bei ihr gewesen, ohne dass sie ihn hatte sehen können! Und diese Idee von Soames, ein Haus zu bauen, da musste man doch aufpassen. Dann aber diese Sorge mit Irene, was sollte daraus noch werden – es konnte alles Mögliche daraus entstehen!
Er betrat das Haus am Montpellier Square Nummer 62 mit der festesten Absicht, sich unglücklich zu fühlen.
Es war schon halb acht, und Irene saß, zum Essen angekleidet, im Salon. Sie trug ihr goldfarbenes Kleid – denn nachdem sie bei einer Abendgesellschaft, einer Soiree und einem Ball damit geprunkt hatte, musste es im Hause getragen werden – und hatte das Dekolleté mit einer Kaskade von Spitze geschmückt, an denen James’ Blicke sofort haften blieben.
»Wo kaufst du deine Sachen?«, fragte er gereizt. »Rachel und Cicely sehen nie auch nur halb so gut aus. Aber diese Spitze mit dem Rosenmuster da – die ist nicht echt!«
Irene trat dicht an ihn heran, um zu beweisen, dass er sich irre.
Und wider Willen empfand James den Einfluss ihres Wesens, des leisen verführerischen Duftes, der von ihr ausströmte. Kein Forsyte, der einige Selbstachtung besitzt, ergibt sich mit einem Schlage, darum sagte er nur: Er wisse es nicht – sie müsse wohl ein schönes Stück Geld für ihre Toilette ausgeben.
Der Gong ertönte, Irene schob ihren weißen Arm in den seinen und führte ihn in den Speisesaal. Sie wies ihm Soames’ gewöhnlichen Platz an der Seite zu ihrer Linken an. Das Licht fiel nur schwach dahin, so dass das allmähliche Verlöschen des Tages ihn nicht belästigen konnte; dann fing sie an, mit ihm über ihn selbst zu sprechen.
Mit James ging alsbald eine Veränderung vor, wie mit einer Frucht, die in der Sonne reift. Er fühlte sich wie geliebkost, gelobt und getätschelt, und all das ohne eine einzige Zärtlichkeit oder ein Wort des Lobes. Er hatte ein Gefühl, dass alles, was er aß, ihm zuträglich war; zu Hause hatte er nie diese Empfindung; er erinnerte sich nicht, dass ihm jemals ein Glas Champagner so gut geschmeckt hatte, und als er sich nach der Marke und dem Preis erkundigte, überraschte es ihn zu hören, dass es derselbe war, von dem er einen großen Vorrat besaß, jedoch zu Hause nie trinken konnte. Er beschloss, sogleich seinem Weinhändler zu melden, dass er betrogen worden war.
Von seinem Teller aufblickend bemerkte er:
»Ihr habt hier eine Menge hübscher Sachen. Was zahltet ihr zum Beispiel für diesen Zuckerstreuer? Wird wohl schweres Geld gekostet haben!«
Besonders gut gefiel ihm ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das er ihnen selbst geschenkt hatte.
»Ich hatte keine Ahnung, dass es so gut ist!«, sagte er.
Sie erhoben sich, um in den Salon zu gehen, und James folgte Irene auf dem Fuße.
»Das nenne ich ein ausgezeichnetes kleines Dinner«, murmelte er leise und atmete angenehm berührt auf ihre Schulter hinab, »nichts Schweres – und nicht zu sehr französiert. Aber zu Hause bekomme ich es nicht so. Ich zahle meiner Köchin sechzig Pfund das Jahr, aber sie kann mir kein Essen bereiten wie dieses!«
Er hatte bis jetzt noch nichts von dem Bau des Hauses erwähnt und tat es auch nicht, als Soames sich unter dem Vorwand von Geschäften nach oben in den Raum begab, wo er seine Bilder aufbewahrte.
James blieb mit seiner Schwiegertochter allein. Die Glut des Weines und eines ausgezeichneten Likörs wirkte noch in ihm nach. Er fühlte sich ihr zugeneigter. Sie war wirklich ein reizendes kleines Geschöpf, hörte einem zu und schien auch zu verstehen, was man sagte; und während der Unterhaltung betrachtete er beständig ihre Figur, von den bronzefarbenen Schuhen bis zu dem welligen Gold ihres Haares. Sie saß leicht zurückgelehnt in einem Empiresessel, die Schultern berührten den oberen Rand der Rückenlehne – ihr Körper, biegsam, gerade und ohne Unterstützung von den Hüften, wiegte sich bei jeder Bewegung, als überließe sie sich den Armen eines Geliebten. Ihre Lippen lächelten und die Augen waren halb geschlossen.
Vielleicht war es die Erkenntnis einer Gefahr in dem Zauber ihrer Erscheinung oder auch eine Verdauungsbeschwerde, die James plötzlich zum Schweigen brachte. Er erinnerte sich nicht, jemals mit Irene allein gewesen zu sein. Und als er sie anblickte, überkam ihn ein sonderbares Gefühl, als begegne ihm etwas Seltsames und Fremdes.
Woran dachte sie wohl – während sie so zurückgelehnt dasaß?
Als er wieder zu sprechen anfing, klang seine Stimme schärfer, als sei er aus einem angenehmen Traum erwacht.
»Was tust du eigentlich den ganzen Tag lang?«, sagte er. »Du kommst niemals zu uns in Park Lane!«
Sie brachte einige sehr lahme Entschuldigungen vor, und James sah sie nicht an. Er wollte nicht glauben, dass sie ihnen wirklich aus dem Wege ging – es wäre doch zu arg.
»Vermutlich hast du keine Zeit«, sagte er, »du bist ja immer mit June unterwegs, stehst ihr wohl bei, nimmst sie und ihren Verlobten unter deinen Schutz und anderes mehr. Sie soll jetzt nie zu Hause sein; dein Onkel Jolyon mag es, glaube ich, gar nicht, so viel allein gelassen zu werden. Sie soll immer um diesen jungen Bosinney sein; er kommt wohl jeden Tag hierher. Wie denkst denn du eigentlich über ihn? Glaubst du, er weiß, was er will? Mir scheint, er ist ein armseliger Tropf. Hier hat sie wohl das Regiment in Händen!«
Die Farbe in Irenes Gesicht vertiefte sich, und James beobachtete sie argwöhnisch.
»Vielleicht verstehst du Mr Bosinney nicht ganz«, sagte sie.
»Ich ihn nicht verstehen!«, fiel James hastig ein. »Warum nicht? – Man sieht doch, dass er einer von diesen Kunstfexen ist. Er soll gescheit sein – aber alle halten sich für gescheit. Doch du kennst ihn ja besser als ich«, fügte er hinzu und warf wieder einen argwöhnischen Blick auf sie.
Читать дальше