Er ging oft mit Irene ins Theater und wählte instinktiv moderne Gesellschaftsstücke mit modernen Eheproblemen, die glücklicherweise von den Eheproblemen im wirklichen Leben so verschieden waren. Er fand, dass sie ebenfalls immer in der gleichen Weise endeten, selbst wenn ein Liebhaber mit im Spiele war. Solange er dem Stück zuschaute, sympathisierte Soames mit dem Liebhaber; aber noch ehe er auf der Heimfahrt in der Droschke mit Irene zu Hause anlangte, sah er ein, dass es keinen Sinn hatte, und war froh, dass das Stück geendet hatte, wie er es gesehen hatte. Es war damals gerade eine neue Art von Ehemännern in Mode gekommen, der starke, ziemlich rohe, aber außerordentlich gesunde Mann, der am Ende des Stückes so merkwürdigen Erfolg hatte. Für diesen empfand Soames durchaus keine Sympathie, und wäre nicht seine eigene Stellung gewesen, so hätte er seinem Abscheu gegen den Burschen Ausdruck gegeben. Aber er war sich so wohl bewusst, wie wesentlich die Notwendigkeit für ihn war, ein erfolgreicher, gar ein ›starker‹ Ehemann zu sein, dass er niemals von seinem Widerwillen sprach, der vielleicht infolge von wunderlichen Naturprozessen aus einem geheimen Fonds von Brutalität in ihm selbst entstanden war.
Allein die Schweigsamkeit Irenes an diesem Abend war außergewöhnlich. Er hatte noch nie einen solchen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen. Und da Ungewohntes immer beunruhigt, war Soames beunruhigt. Er aß seinen Nachtisch und trieb das Mädchen an, als es die Krumen mit der silbernen Tischbürste abfegte. Als es den Raum verlassen hatte, füllte er sein Glas mit Wein und sagte:
»War heute Nachmittag irgendjemand hier?«
»June.«
»Was wollte denn die ?« Es war ein Axiom bei den Forsytes, dass man nirgendwohin ging, ohne etwas zu wollen. »Wollte sich wohl über ihren Verlobten aussprechen?«
Irene erwiderte nichts.
»Es sieht für mich so aus«, fuhr Soames fort, »als wäre sie verliebter in ihn als er in sie. Sie läuft ihm überall nach.«
Irenes Blicke gaben ihm ein unbehagliches Gefühl.
»Es kommt dir nicht zu, so etwas zu sagen!«, rief sie aus.
»Warum nicht? Jeder kann es sehen.«
»Keiner kann das. Und wenn man es könnte, ist es unerhört, es zu sagen.«
Soames verlor seine Fassung.
»Du bist mir eine nette Frau!«, sagte er. Aber im Geheimen wunderte er sich über ihre hitzige Antwort, das sah ihr gar nicht ähnlich. »Du bist ganz übertrieben mit June. Eines kann ich dir sagen, jetzt, wo sie den Bukanier am Bändel hat, macht sie sich keinen Pfifferling aus dir, du wirst schon noch dahinterkommen. Aber du wirst sie künftig nicht mehr so häufig sehen, wir ziehen aufs Land.«
Es war ihm lieb, seine Eröffnung unter dem Deckmantel dieser gereizten Auseinandersetzung machen zu können. Er hatte einen Ausruf des Entsetzens erwartet, und das Schweigen, mit dem diese Mitteilung entgegengenommen wurde, beunruhigte ihn.
»Es scheint dich nicht zu interessieren«, sah er sich genötigt hinzuzufügen.
»Ich wusste es bereits.«
Er sah sie scharf an.
»Wer hat es dir gesagt?«
»June.«
»Woher wusste sie es?«
Irene antwortete nicht. Enttäuscht und verstimmt sagte er:
»Es ist eine gute Sache für Bosinney; er wird sein Glück dabei machen. Sie hat dir wohl alles darüber erzählt?«
»Ja.«
Es entstand abermals eine Pause, dann sagte Soames:
»Du tust es wohl nicht gern?«
Irene gab keine Antwort.
»Ja, ich weiß nicht, was du willst. Du scheinst hier nie zufrieden.«
»Kommen meine Wünsche dabei irgendwie in Betracht?«
Sie nahm die Vase mit den Rosen und verließ den Raum. Soames blieb sitzen. Hatte er dafür den Kontrakt unterzeichnet? Sollte er dafür an zehntausend Pfund ausgeben? Bosinneys Ausspruch fiel ihm wieder ein: ›Frauen sind der Teufel!‹
Aber bald beruhigte er sich. Es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte aufbrausen können. Er hatte etwas mehr erwartet als dies. Ein glücklicher Zufall immerhin, dass June das Eis für ihn gebrochen hatte. Sie hatte es wohl aus Bosinney herausgelockt; das hätte er sich doch denken können.
Er zündete sich eine Zigarette an. Schließlich hatte Irene doch keine Szene gemacht! Sie würde nachgeben – das war das Beste an ihr; sie war zwar kalt, aber nicht trotzig. Er paffte einen Marienkäfer auf dem blanken Tisch an und versank in Gedanken über sein Haus. Es hatte keinen Zweck, sich zu ärgern; er wollte sofort zu ihr und alles wiedergutmachen. Sie saß wahrscheinlich im Dunkeln draußen unter dem japanischen Sonnenschirm und strickte. Die Nacht war warm und schön …
Tatsächlich war June am Nachmittag mit leuchtenden Augen gekommen und hatte gesagt: »Soames ist ein guter Kerl! Eine famose Sache für Phil – genau, was er braucht!«
Da Irenes Gesicht verständnislos und verblüfft blieb, fuhr sie fort:
»Euer neues Haus in Robin Hill nämlich. Wie? Weißt du nichts davon?«
Irene wusste nichts.
»Oh, dann hätte ich es dir wohl nicht sagen dürfen!« Und mit einem ungeduldigen Blick auf die Freundin hatte sie ausgerufen: »Du siehst aus, als liege dir nichts daran. Siehst du denn nicht, dass es gerade das ist, wofür ich immer gebetet habe – genau die Gelegenheit, die er braucht. Jetzt wirst du sehen, was er kann.« Und dann gab sie die ganze Geschichte zum Besten.
Seit ihrer eigenen Verlobung schien sie kein großes Interesse an der Lage der Freundin zu nehmen; die Stunden, die sie bei Irene zubrachte, waren ihren eigenen vertraulichen Mitteilungen gewidmet. Und zuweilen war es ihr trotz ihres liebevollen Mitgefühls unmöglich, einen Anflug verächtlichen Mitleids mit der Frau zu unterdrücken, die einen solchen Fehler im Leben begangen hatte – solch einen unbesonnenen, lächerlichen Fehler.
»Er soll auch die Inneneinrichtung machen – er hat völlig freie Hand. Es ist prächtig –« Sie lachte fröhlich auf, ihre kleine Gestalt bebte vor Vergnügen; sie hob die Hand und schlug nach einem Musselinvorhang. »Weißt du, ich bat sogar Onkel James –« Aber in einer plötzlichen Unlust, von dem Vorfall zu sprechen, hielt sie inne und ging, da sie ihre Freundin so einsilbig fand, dann plötzlich fort. Auf der Straße blickte sie noch einmal zurück, Irene stand noch in der Haustür. Ihren Abschiedsgruß erwidernd, winkte sie mit der Hand, wandte sich langsam um und schloss die Tür …
Soames ging in den Salon und spähte durchs Fenster nach ihr.
Draußen im Schatten des japanischen Sonnenschirmes saß sie ganz still, die Spitze auf ihren weißen Schultern bewegte sich, wie sich der Busen leise hob und senkte.
Aber die schweigsame Gestalt, die so regungslos dort im Dunkeln saß, schien eine Wärme, eine heimliche Glut zu durchzittern, als wäre ihr ganzes Wesen aufgewühlt und ein Wandel in ihrem tiefsten Innern eingetreten.
Er stahl sich unbemerkt in den Speisesaal zurück.
Sechstes Kapitel
Es währte nicht lange, bis sich Soames’ Entschluss zu bauen in der Familie herumgesprochen hatte und eine Unruhe verursachte, wie jede Entscheidung, die mit Vermögensangelegenheiten in Beziehung stand, sie unter den Forsytes hervorgerufen hätte.
Es war nicht seine Schuld, denn er war entschlossen gewesen, niemanden etwas davon wissen zu lassen. June hatte es in der Überfülle ihres Herzens Mrs Small erzählt und ihr erlaubt, es nur Tante Ann zu sagen – sie dachte, es würde die gute alte Seele erfreuen, denn Tante Ann musste seit vielen Tagen das Zimmer hüten.
Mrs Small erzählte es sogleich Tante Ann, die, in ihren Kissen liegend, lächelnd mit ihrer deutlichen, alten zittrigen Stimme sagte:
»Wie schön für die liebe June; aber ich hoffe, sie werden sorgsam sein – es ist doch ziemlich gewagt!«
Als sie wieder allein war, überflog ein Schatten gleich einer Wolke, die einen Regentag ankündigt, ihr Gesicht.
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