Lateinische VersionenDie griechischen Texte bilden wiederum die Grundlage für die lateinischen Versionen.
Vetus LatinaDie Vetus Latina, von der bislang keine kritische Edition vorliegt, setzt G IIals Vorlage voraus 16und spielt deshalb für die Rekonstruktion von G IIeine bedeutende Rolle. Wichtige alte Handschriften sind u. a. Codex Regius 3564, die Alcalà-Bibel und Codex Reginensis 7. 17
VulgataAls weitere lateinische Übersetzung ist die Vulgata des Hieronymus aus dem Jahre 404 zu nennen. Nach seinem eigenen Zeugnis, das er in der dazugehörenden Vorrede gibt, entstand diese Übersetzung an einem einzigen Tag. Ein Dolmetscher übertrug den Text vom Aramäischen ins Hebräische, aus welchem Hieronymus dann ins Lateinische übersetzte. Diese Schilderung erklärt den paraphrastischen Charakter des Textes, der sowohl zu den aramäischen Texten aus Qumran als auch zu den griechischen Versionen häufig große Differenzen aufweist. Wenn die Vulgata aber oft eine große Nähe zu der Vetus Latina zeigt, so wird deutlich, dass sich Hieronymus bei seiner Arbeit auch dieser als Vorlage bediente. 18
Weitere antike ÜbersetzungenNeben den griechischen und lateinischen Übersetzungen liegt noch eine Reihe weiterer alter Übersetzungen ins Syrische, Koptische, Äthiopische, Armenische, Georgische und Arabische vor. Die syrische Version ist ein Mischtext aus allen drei griechischen Versionen mit z. T. ganz eigenständigen Traditionen. 19Für die anderen Überlieferungen spielt G Ials Vorlage eine wichtige Rolle, aber auch andere Lesarten (G IIIund auch G II) konnten einfließen. 20
Die nach-antiken jüdischen ÜberlieferungenSchließlich existieren noch mehrere nach-antike hebräische sowie eine aramäische Version der Erzählung aus mittelalterlicher bzw. noch späterer Zeit, nämlich „Hebraeus Münster“ (1542; basierend auf Ms. Konstantinopel 1516), „Hebraeus Fagius“ (1542; nach Ms. Konstantinopel 1519), „Hebraeus Londini“ (ed. Gaster 1897; nach dem Ms. der British Library, Add. 11639, 13. Jh.); „Hebrew Gaster“ (ed. Gaster 1897, nach einem verloren gegangenen Manuskript aus dem 15. Jh. von Gaster selbst erstellt [Codex Or. Gaster 28]) und Ozar ha-Qodesch (Druck Lemberg 1851, Manuskript unbekannt) sowie einer aramäischen Version (ed. Neubauer 1878; nach Bodleian Hebrew Ms. 2339). 21Diese Texte, die keine direkten Fortführungen der alten semitischsprachigen Tradition darstellen, sondern vielmehr freie Rückübersetzungen aus dem Griechischen bzw. Lateinischen sind, zeigen sowohl midraschähnliche Erweiterungen als auch paraphrastische Verkürzungen und Auslassungen. 22
Synchrone Aspekte der Tobiterzählung
Gliederung und Struktur der Erzählung
Vor dem Hintergrund, dass der Langtext G IIdie älteste uns vorliegende und fast vollständige Fassung der Erzählung bietet, wird diese die Basis für die vorliegende Kommentierung bilden. Die Geschichte lässt sich in Buchüberschrift, Exposition, Hauptteil und Epilog gliedern:
1,1–2 Die Buchüberschrift: Tobits Herkunft und seine Exilierung
1,3–3,17 Die Exposition: Tobits und Saras Leid, ihre Gebete und die Entsendung des Engels
1,3–3,6 Der Lebensweg des frommen Tobit, seine Verzweiflung und sein Gebet
1,3 Tobits Lebensmotto: Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
1,4–9 Tobits toratreues Leben im Land
1,10–2,1a Tobits Barmherzigkeitstaten im Exil und seine Verfolgung
2,1b–10 Die Bestattung eines Landsmanns und Tobits Erblindung
2,11–14 Der Streit mit Hanna
3,1–6 Tobits Verzweiflung und sein Gebet
3,7–15 Saras Schicksal und ihr Gebet
3,7–10 Saras Leben: Vom Dämon heimgesucht und von einer ihrer Mägde verspottet
3,11–15 Saras Verzweiflung und ihr Gebet
3,16–17 Die Rettung naht: Die Entsendung des Engels Rafaël
4,1–14,1a Der Hauptteil: Die Reise mit dem Engel und die Heilungen
4,1–21 Planung der Reise und Tobits Lebenslehre
4,1–2 Tobit erinnert sich an das Silber bei Gabaël
4,3–21 Tobits Lebenslehre
5,1–6,1 Suche nach einem Reisebegleiter, Vereinbarungen und Abschied
5,1–17a Suche nach einem Reisebegleiter und Vereinbarungen
5,17b–6,1 Die Verabschiedung und Hannas Schmerz
6,2–18 Von Ninive nach Ekbatana: ein bedeutsamer Fischfang und die Vorbereitung auf die Begegnung mit Sara
6,2–9 Am Tigris: ein bedeutsamer Fischfang
6,10–18 Das Gespräch über die Begegnung mit Sara: Heirat und Dämonenvertreibung
7,1–17 Der Empfang bei Saras Familie in Ekbatana und die Vorbereitungen für die Heirat
7,1–9a Ankunft und Empfang bei Saras Familie
7,9b–17 Vorbereitungen für eine außergewöhnliche Eheschließung
8,1–21 Die Vertreibung des Dämons und eine glückliche Hochzeit
8,1–18 Die Hochzeitsnacht mit der Vertreibung des Dämons
8,19–21 Das Antrauungsmahl
9,1–6 Rafaël holt das Silber bei Gabaël in Rages
10,1–13 Die Heimreise naht …
10,1–7a In Ninive: Tobits und Hannas Sorge um Tobias
10,7b–13 In Ekbatana: Die Verabschiedung von Tobias und Sara
11,1–18 Die Heimkehr: Die Heilung Tobits und die Ankunft Saras
11,1–15 Tobias’ Wiedersehen mit den Eltern und die Heilung Tobits
11,16–18 Der Empfang Saras und die Hochzeitsfeier
12,1–22 Die Verabschiedung Rafaëls: Entlohnung, Mahnungen und Selbstoffenbarung
12,1–5 Die Entlohnung des Reisebegleiters
12,6–22 Rafaëls Abschiedsrede und seine Offenbarung
13,1–14,1a Tobits Lobgesang: Gottes Erbarmen und das neue Jerusalem
13,1–8 Lobpreis des Erbarmens Gottes unter den Völkern
13,9–14,1a Der Jubel im Neuen Jerusalem und Schluss
14,1b–15 Der Epilog: Tobits Vermächtnis und seine Lebenserfüllung
14,1b–11 Tobits Abschiedsrede, Tod und Begräbnis
14,12–15 Bis zum Tod des Tobias: Das Ende des Exils naht!
In ihrem Hauptteil weist die Erzählung eine konzentrische Struktur 23auf:
Überschrift |
1,1–2 |
Buch der Geschichte …; Genealogie Tobits |
Exposition |
1,3–3,17 |
Tobits und Saras Not und der Heilsplan Gottes |
|
A |
4,1–21 |
Lebenslehre Tobits für Tobias als Abschiedsrede vor seiner Reise, um das Geld bei Gabaël zu holen |
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|
B |
5,1–6,1 |
Suche eines Reisebegleiters, Lohnvereinbarungen und Verabschiedung |
|
|
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C |
6,2–8,17 |
Auf dem Weg von Ninive nach Ekbatana, Fischfang, Vertreibung des Dämons und Antrauungsmahl mit Sara |
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D |
9,1–6 |
Rafaël holt das Geld bei Gabaël |
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C' |
10,1–11,19 |
Gespräche über die Heimkehr,Rückreise von Ekbatana nach Ninive, Heilung Tobits und Hochzeitsfeier |
|
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B' |
12,1–22 |
Das Entlohnungsangebot für den Reisebegleiter und die Selbstvorstellung des Engels |
|
A' |
13,1–14,1a |
Tobits Lobgesang |
Epilog |
14,1b–15 |
Lebenserfüllung und Vermächtnis |
Die Geschichte kann als eine romanhafte Lehrerzählung mit stark didaktischer Tendenz 24bezeichnet werden. Sie weist im Kernteil Tob 2–12 zahlreiche volkstümliche, humoristische Elemente auf; 25durch die Rahmung in Tob 1; 13 und 14 wird der Ton dann aber weitaus ernster. Die kunstvolle Verschränkung der Handlungsstränge sowie das Motiv der Zusammenführung der beiden Liebenden erinnert an die Gattung des hellenistischen Romans. Allerdings ist die Erzählung im Gegensatz zu den klassischen Beispielen dieser Gattung sehr zurückhaltend im Hinblick auf die Darstellung der Sexualität. Auch das Thema der Zusammenführung der Liebenden ist hier abgewandelt, denn für den hellenistischen Roman ist es typisch, dass die Liebenden getrennt werden, um dann nach vielen Abenteuern und Gefahren wieder zusammenzufinden. 26
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