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Die Anerkennung kann weiter auch dann verwehrt werden, soweit die EU/EWR-Fahrerlaubnis während einer strafrechtlichen Sperrfrist oder eines Fahrverbots erteilt worden ist, sofern die Sperrfrist im Fahreignungsregister eingetragen und noch nicht getilgt ist.[37]
An diesen bereits seit längerem anerkannten Grundsatz anknüpfend hat der EuGH seine Rechtsprechung in den letzten Jahren wie folgt präzisiert:
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wird die Fahrerlaubnis im Ausland nach Ablauf der inländischen Sperre erworben, muss diese im Inland auch dann anerkannt werden, wenn die Sperrfrist im Fahreignungsregister noch nicht getilgt ist, sofern im Führerschein ein ausländischer Wohnsitz eingetragen ist[38]; ob die Fahrerlaubnis vor oder nach Inkrafttreten der 3. Führerscheinrichtlinie am 19.01.2009 erworben worden ist, spielt entgegen früherer Ansicht[39] keine Rolle[40]. Hinweis Ist unter Hinweis auf das Inkrafttreten der 3. Führerscheinrichtlinie eine rechtskräftige Verurteilung ergangen, berechtigt die geänderte Rechtslage zwar nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens; in geeigneten Fällen sollte jedoch ein Gnadengesuch geprüft werden.[41] |
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einer durch das deutsche Gericht verhängten Sperrfrist steht die isolierte Sperre nach § 69a StGB gleich, d.h. der in diesem Zeitraum erteilten Fahrerlaubnis kann die Anerkennung verweigert werden[42]. |
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wird die ausländische Fahrerlaubnis nach einem verwaltungsrechtlichen Entzug in Deutschland ohne Anordnung einer Sperrfrist erteilt, darf dem Führerschein die Anerkennung nicht versagt werden;[43] ob dies auch dann gilt, wenn die Fahrerlaubnis wegen des Erreichens der Punktegrenze entzogen wird und Kraft Gesetzes eine Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis gilt (vgl. § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG) ist immer noch ungeklärt;[44] die Entwicklung der Rechtsprechung lässt indes vermuten, dass der EuGH auch in diesem Falle der innerhalb der Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis die Anerkennung verweigern wird. |
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die Fahrerlaubnis ist auch dann nicht anzuerkennen, wenn die deutsche Fahrerlaubnis zwar nicht entzogen, der ausländische Führerschein jedoch während der Dauer eines Fahrverbotes ausgestellt worden ist. |
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gleiches gilt, wenn die Fahrerlaubnis erteilt worden ist, während der deutsche Führerschein gemäß § 94 StPO[45] beschlagnahmt oder vorläufig entzogen (§ 111a StPO)[46] war und die Fahrerlaubnis später aufgrund des der Beschlagnahme zugrunde liegenden Sachverhalts entzogen worden ist. |
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ebenso bleibt dem Führerschein die Anerkennung versagt, wenn der Verkehrsverstoß nach Anordnung der Sperrfrist begangen wurde, das Urteil aber erst nach Erteilung der Fahrerlaubnis rechtskräftig geworden ist.[47] |
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wird die Fahrerlaubnis nach einem Verzicht[48] oder einer bestandskräftigen Versagung[49] erteilt, steht dies der Anerkennung dagegen nicht entgegen. |
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die ebenfalls umstrittene Rechtsfrage, ob bei fehlender Anerkennung der EU/EWR-Fahrerlaubnis die Strafbarkeit gemäß § 21 StVG automatisch eintritt oder es zuvor eines gesonderten „Aberkennungsaktes“ in Form eines Verbotsvermerks im ausländischen Führerschein bedarf, ist zwischenzeitlich ebenfalls abschließend geklärt; die Rechtsprechung[50] folgt der bislang vorherrschende Ansicht[51], die die erstgenannte Auffassung vertritt; ein an den Fahrerlaubnisinhaber gerichtetes Verbot, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, hat somit rein deklaratorischen Charakter,[52] wird aber in Streitfällen als sinnvolle Klärungsmöglichkeit empfohlen.[53] Obwohl zwischenzeitlich seitens des EuGH (vgl. oben Rn. 146) Stellung bezogen worden ist, verbleibt es bei der bisherigen Kritik. Der propagierte Automatismus vermag allenfalls in den sog. „Missbrauchsfällen“ zu überzeugen. Weshalb z.B. die Strafbarkeit automatisch eintreten soll, wenn ein in Deutschland lebender Franzose – aufgrund nicht vorhandener Deutschkenntnisse – im grenznahen Ausland – Frankreich – die Fahrerlaubnis (redlich) erwirbt, ist insbesondere vor dem Hintergrund der in Europa geltenden Dienstleistungsfreiheit kaum begründbar.[54] Da auch der (vermeidbare) Verbotsirrtum allenfalls eingeschränkt Hilfe liefert (vgl. hierzu unten), ist im Ergebnis – auch weiterhin – der Gesetzgeber gefordert. |
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Umstände, die nach Erteilung der Fahrerlaubnis verwirklicht werden, dürfen stets berücksichtigt werden,[55] d.h. auch dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber seinen Wohnsitz unstreitig im Austellungsstaat hat;[56] die oben genannten Grundsätze gelten somit nicht, weshalb es den deutschen Behörden nicht verwehrt ist, der Fahrerlaubnis die Anerkennung zu verweigern, wenn dem Betroffenen – nach (!) Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis – das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland aberkannt wird; den deutschen Behörden ist es in diesem Fall somit auch gestattet, die Neuerteilung des Rechts, im Inland von der Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, auch dann von einer erfolgreichen MPU abhängig zu machen, wenn die Sperrfrist im Inland abgelaufen ist. Weigert sich der Betroffene eine MPU durchzuführen bzw. fällt diese negativ aus, ist er grundsätzlich erst nach Tilgung der Sperre im Fahreignungsregister (wieder) befugt, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen; eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Tilgungsfristen unverhältnismäßig lang sind, wobei der EuGH[57] eine solche von 5 Jahren ausdrücklich gebilligt hat. |
Hinweis
Ist den vorgenannten Grundsätzen folgend der Tatbestand des § 21 StVG erfüllt, gilt es schließlich zu beachten, dass die Flut von Entscheidungen des EuGH zu einer ständig wechselnden Rechtsprechung der Instanzgerichte geführt hat, weshalb deutsche Gerichte[58] in der Vergangenheit häufig einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ angenommen haben; nach der inzwischen erfolgten Klarstellung durch den EuGH und dem damit korrespondierenden Veröffentlichungen in der Tagespresse dürfte dies allerdings nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen.[59]
Ist eine entscheidungserhebliche Frage des Unionsrechts bislang nicht entschieden, gilt es zu beachten, dass dem Betroffenen der gesetzliche Richter entzogen wird, wenn es das Instanzgericht – unvertretbar – unterlässt eine Vorabentscheidung des EuGH herbeizuführen, so dass in diesen Fällen eine Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg verspricht.[60]
Wird die Fahreignung durch Umstände nach Erteilung der Fahrerlaubnis in Zweifel gezogen, ist die Frage der Zuständigkeit für die Anordnung eines Gutachtens nach deutschem Recht zu entscheiden; da der Anerkennungsgrundsatz in diesem Fall nicht tangiert ist, liegt im Ergebnis keine europarechtlich zu beantwortende Fragestellung vor.[61]
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Wird die Fahrerlaubnis eines Drittstaates umgetauscht, gelten die vorgenannten Überlegungen im Ergebnis entsprechend. Zwar ist die Führerscheinrichtlinie in diesem Fall nicht direkt anwendbar; der deutsche Verordnungsgeber geht jedoch in der FeV von der Gleichbehandlung aus, so dass die oben genannte Rechtsprechung des EuGH entsprechend gilt.
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Die Wirksamkeit anderer Fahrerlaubnisse ist dagegen auch weiterhin auf die Dauer von sechs Monaten – in Ausnahmefällen 12 Monate (§ 29 Abs. 1 Satz 3, 4 FeV) – begrenzt.
Die Frist beginnt mit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes. Da insoweit u.a. auch auf die subjektiven Vorstellungen des Fahrzeugführers abzustellen ist, kann die Bestimmung dieses Zeitpunkts in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten[62]. Unterhält der Fahrerlaubnisinhaber einen in- und ausländischen Wohnsitz, unterliegt er der 6-Monats-Frist;[63] vorübergehende Auslandsaufenthalte unterbrechen die laufende Frist nur dann, wenn die Ausreise von dem Willen getragen ist, den Inlandswohnsitz für längere Zeit – mind. 185 Tage – oder für immer aufzugeben;[64] bei Personen, die abwechselnd im In- und Ausland wohnen, ist gemäß § 7 Abs. 1, 2 Satz 2 FeV entscheidend, ob der Inlandswohnsitz mind. 185 Tage besteht.[65]
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