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Ist nach diesen Grundsätzen eine Neuerteilung gegeben, kann die Anerkennung verwehrt werden, wenn
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sich aufgrund von Angaben im EU/EWR-Führerschein – z.B. eingetragener Wohnsitz im Inland – selbst oder |
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sich aufgrund anderer vom Ausstellermitgliedstaat herrührender, unbestreitbarer Informationen |
feststellen lässt, dass das Wohnsitzerfordernis zum Zeitpunkt der Erteilung nicht erfüllt war.
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Dass im Führerschein ein inländischer Wohnsitz eingetragen ist, stellt zwischenzeitlich eine seltene Ausnahme dar, in der Regel ist dies nur (noch) bei älteren Führerscheinen festzustellen, die vor 2006 ausgestellt worden sind. Ist im ausländischen Führerschein (ausnahmsweise) ein Wohnsitz im Bundesgebiet eingetragen, findet der Betroffene mit dem Hinweis, dass das Wohnsitzerfordernis erst nach Ausstellung des Führerscheins im Ausstellungsstaat eingeführt worden ist, kein Gehör;[7] da das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland in diesen Fällen nie bestanden hat, ist auch das Rückwirkungsverbot nicht tangiert,[8] d.h. es liegt eine Strafbarkeit nach § 21 StVG vor, wenn ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt wird.
Hinweis
Wird dem Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt durch den Ausstellungsstaat ein „neuer“ Führerschein ausgestellt, der einen ausländischen Wohnsitz enthält, ist (lediglich) von einem Umtausch auszugehen, wenn im „neuen“ Führerschein das Ausstellungsdatum des ersten Führerscheins genannt wird (vgl. oben Rn. 144), so dass in diesem Fall dem Betroffenen die Anerkennung seines Führerscheins gleichwohl verwehrt bleibt.[9]
Ebenso kann dem Führerschein die Anerkennung verwehrt werden, wenn der Betroffene eine ausländische Fahrerlaubnis erwirbt – z.B. Klasse D –, die die Fahrerlaubnis einer anderen Klasse – z.B. Klasse B – zwingend voraussetzt, wenn letztere unter Verletzung des Wohnortprinzips erworben worden war. Das die zweite Fahrerlaubnis „fehlerfrei“ erteilt worden ist, d.h. einen Wohnsitz im Ausstellungsstaat ausweist, steht dem nicht entgegen, da die erste Fahrerlaubnis notwendige Grundlage für die Erteilung der zweiten ist, d.h. diese mit dem Mangel infiziert[10]; folgerichtig ist auch dann von einem fortstreitenden Mangel auszugehen, wenn eine im Ausland zunächst fehlerhaft[11] erteilte bzw. gefälschte Fahrerlaubnis[12] in einem (anderen) Mitgliedstaat der Europäischen Union umgetauscht wird.
Ist der Erteilung der Fahrerlaubnis kein Entzug vorangegangen, handelt es sich also um einen Ersterwerb, soll der im Führerschein dokumentierte Verstoß gegen das Wohnortprinzip ebenfalls die Unwirksamkeit der Fahrerlaubnis im Inland bewirken.[13] Die Ansicht ist jedenfalls in Fällen zweifelhaft, in denen ein Missbrauch des Fahrerlaubnisrechts offensichtlich nicht gegeben ist (vgl. unten Rn. 149).
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Enthält der Führerschein einen im Ausland liegenden Wohnsitz, kann diesem die Anerkennung gleichwohl verwehrt werden, wenn unbestreitbare Informationen des Ausstellungsstaates vorliegen, die die Annahme zulassen, dass ein Wohnsitz entgegen der Angaben im Führerschein zum Zeitpunkt der Erteilung nicht bestanden hat. Gefordert wird also zweierlei: Es müssen Informationen vorliegen, die vom Ausstellungsstaat herrühren, wobei diese noch im gerichtlichen Verfahren eingeholt werden können;[14] daneben müssen sie als „unbestreitbar“ einzustufen sein.
Anfänglichen Versuchen der deutschen Rechtsprechung auch Angaben des Betroffenen, die dieser im deutschen (Straf-)verfahren gemacht hat – z.B. ein Geständnis im Rahmen der Verkehrskontrolle[15] –, als „unbestreitbare Information“ einzustufen, ist der EuGH[16] in der gebotenen Deutlichkeit begegnet. Informationen müssen zwar nicht durch eine staatliche Stelle übermittelt werden, diese müssen aber von einer solchen herrühren. Es muss sich also um Informationen einer staatlichen Stelle des Ausstellungsstaates handeln,[17] so dass Ermittlungen deutscher Behörden – allein – nicht genügen. Ebenso wenig sind Mitteilungen nichtstaatlicher Stellen des Ausstellungsstaates geeignet, wie z.B. des (mutmaßlichen) ausländischen Vermieters.[18] Als ausreichend angesehen wird jedoch, dass eine staatliche Information des Ausstellungsstaates durch Dritte[19] – z.B. die deutsche Botschaft[20] – übermittelt wird. Diesen Grundsätzen folgend wurden Angaben zum inländischen Wohnsitz im Antragsformular,[21] Mitteilungen des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zusammenarbeit[22] oder der Einwohnermeldebehörden des Ausstellungsstaates[23] als vom Ausstellungsstaat herrührend eingestuft. Nach Ansicht des OLG Stuttgart[24] sollen auch Angaben eines Zeugen, die dieser im Rahmen der Rechtshilfe in einer richterlichen Vernehmung im Ausland gemacht hat, als vom Ausstellungsstaat herrührende Informationen angesehen werden dürfen. Dies erscheint trotz des Hinweises auf die Qualität der richterlichen Vernehmung zweifelhaft, belegt die Vernehmung doch nur, dass diese durchgeführt worden ist, einen Beweis für die Richtigkeit vermag sie indes nicht zu begründen. Hält man sich vor Augen, dass die Forderung bzgl. des Ursprunges der Information gerade die Richtigkeit derselben im Blick hat(te), vermag die Ansicht des OLG Stuttgart im Ergebnis nicht zu überzeugen.
Hinweis
Unabhängig von der Frage, ob man der hier vertretenen Auffassung folgt, bleibt festzustellen, dass die neuere Rechtsprechung im Bereich der „unbestreitbaren Informationen“ einen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma des Führerscheintourismus sieht. Es steht also zu befürchten, dass die Rechtsprechung auch zukünftig versuchen wird, Informationen aus dem Ausland als „vom Ausstellungsstaat herrührend“ einzustufen, was es insbesondere im Bereich der Präventivberatung zu beachten gilt. Konsultiert der Betroffene einen Rechtsanwalt, hat dieser ferner zu bedenken, dass der Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes zur Gültigkeit der Fahrerlaubnis möglich ist, d.h. der Betroffene bei der zuständigen Behörde einen Antrag stellen kann, seine Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen festzustellen.[25]
Als ordentlicher Wohnsitz gilt der Ort, an dem der Führerscheininhaber aufgrund persönlicher und beruflicher Bindungen gewöhnlich, d.h. an mindestens 185 Kalendertagen, wohnt; umstritten[26] ist, ob die Aufenthaltsdauer bei Erteilung des Führerscheins bereits erfüllt sein muss oder ob die Prognose genügt, die notwendige Aufenthaltsdauer wird voraussichtlich erfüllt werden. Folgt man der letzten Auffassung bleibt aber zu berücksichtigen, dass in diesem Falle Probleme auftauchen können, wenn z.B. eine Meldebescheinigung vorgelegt wird, die eine lediglich kurze Aufenthaltsdauer bescheinigt und damit Argwohn der inländischen Behörden weckt.
Soweit § 7 Abs. 2 FeV Ausnahmen vom Wohnsitzerfordernis normiert, wenn der Führerscheinerwerber eine (Hoch-)schule besucht, steht dem die Ableistung eines Praktikums im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht gleich; die gesetzliche Sonderregelung ist abschließend und einer Analogie nicht zugänglich[27].
Fehlen im Strafurteil notwendige Feststellungen zum Wohnsitz des Angeklagten[28] oder Eintragungen einer Sperrfrist im Fahreignungsregister,[29] ist dieses lückenhaft, wenn ohne entsprechende Feststellungen dem Revisionsgericht eine Prüfung der Wirksamkeit der Fahrerlaubnis im Inland verwehrt ist.
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Sind die Informationen als vom Ausstellungsstaat herrührend einzustufen, bedarf es schließlich der zusätzlichen Prüfung, ob diese als „unbestreitbar“ anzusehen sind. Nachdem die Rechtsprechung des EuGH in der Vergangenheit mehrfach den deutschen Gerichten die Grenzen aufgezeigt hatte, sieht die neuere (obergerichtliche) Rechtsprechung insbesondere in diesem Bereich einen wirksamen Angriffspunkt dem ungeliebten Führerscheintourismus einen Riegel vorzuschieben; insofern verdient nämlich die Tatsache Beachtung, dass der EuGH[30] die Prüfung der Frage, ob die vom Ausstellungsstaat herrührende Informationen als „unbestreitbar“ einzustufen sind, ausdrücklich der Rechtsprechung des Anerkennungsstaates überlassen hat. Liegen Informationen des Ausstellungsstaates vor, hat es also die deutsche Rechtsprechung zu klären, ob diese im Ergebnis der Anerkennung entgegenstehen, wobei Erkenntnisse aus Deutschland – z.B. die Beibehaltung eines deutschen Wohnsitzes[31] – „lückenfüllend“ herangezogen werden dürfen.[32] „Unbestreitbar“ ist eine Information, wenn das Fehlen des Wohnsitzes so sehr wahrscheinlich ist, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt.[33] Angenommen wird dies beispielsweise, wenn der im Führerschein angegebene Wohnsitz typischerweise als Scheinwohnsitz zum Zwecke des Führerscheintourismus verwendet wird oder die Meldeanschrift ein Hotel[34] oder eine Unterkunft für Obdachlose[35] darstellt, d.h. bereits dem äußeren Anschein nach Zweifel an einem dauerhaften Aufenthalt bestehen. Stuft das deutsche Gericht die Information dem folgend als „unbestreitbar“ ein, ist dem Betroffenen der Gegenbeweis jedoch nicht verwehrt;[36] gefordert wird in diesen Fällen jedoch ein „substantiierter Beweisantritt“, d.h. die bloße Behauptung des Gegenteils genügt nicht.
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