Meiner guten Leistungen wegen trugen andere Vereine Angebote an mich heran, in denen ich das Fünffache verdient hätte. Mein Fokus verlagerte sich langsam, aber sicher weg vom Fußballspielen und hin zum Geldverdienen. Was zur Folge hatte, dass ich immer mehr Stress aufbaute, weil ichmeinen Blick auf eine Nebensächlichkeit richtete, die mich davon abhielt, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren – den Fußball. Das wirkte sich dann direkt auf meine Leistungen aus, die immer schlechter wurden, was wiederum zur Folge hatte, dass sich noch mehr Stress und Unzufriedenheit in mir ausbreiteten.
Die Präsidentschaft hatte ein Jahr nach meiner Vertragsunterzeichnung beim GCZ gewechselt und der neue Präsident, Dr. Thomas Preiss, wusste natürlich nichts von meinen mündlichen Abmachungen mit Karl Oberholzer.
Die Wichtigkeit, die ich plötzlich meinem Verdienst beimaß, führte schließlich zu einer regelrechten Schlammschlacht meinerseits in Richtung des Grasshopper Clubs Zürich. Ich fühlte mich durch meine eigene Wahl, wie ich die Gegebenheiten sehen wollte, ungerecht behandelt, und die Tatsache, dass ich den Vertrag selbst unterschrieben hatte, geriet bei mir vollkommen in Vergessenheit. Ich übernahm nicht mehr die Verantwortung dafür.
Nach einem sechsmonatigen Streit mit dem Grasshopper Club Zürich erpresste ich mir quasi meinen Wechsel zu den Berner Young Boys, indem ich dem GCZ drohte, mit dem Fußballspielen aufzuhören, falls sie mich nicht ziehen ließen. Schließlich kam ein zweijähriges Leihgeschäft zustande.
Mein Abstecher nach Bern und seine Folgen
Der Abstecher nach Bern war kurz und lehrreich. Mittlerweile war ich neunzehn Jahre alt. Zwei Monate vor Saisonende wurde ich fristlos entlassen. Im Nachhinein betrachtet waren die zehn Monate bei den Berner Young Boys für mich ein schönes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man sich für stark hält, obwohl man schwach ist, die falschen Prioritäten im Leben setzt, sich selbst und seine Taten zu wichtig nimmt und die Verantwortung für das eigene Leben nicht übernimmt – als »Ausgleich« dafür aber allem und jedem die Schuld in die Schuhe schiebt und alle mit dem, was sie vermeintlich falsch machen, konfrontiert.
Zum Glück ließ mich der Grasshopper Club Zürich, dem immer noch die Rechte an mir gehörten, nicht fallen. Der Umstand, dass ich innerhalb von zehn Monaten vom Nationalspieler zum Arbeitslosen wurde und ich, auf Knien bettelnd, vom neuen Führungsduo Vogel/Hitzfeld eine neue Chance erhielt, bewegte mich dazu, über mich und mein Verhalten gründlich und ehrlich nachzudenken.
Da in einem persönlichen Umfeld immer eine große emotionale Bindung vorhanden ist, nimmt die subjektive Betrachtungsweise der Geschehnisse dort immer noch stark zu. So bliesen auch bei mir alle ins gleiche Horn, nämlich dass die Schuld bei den anderen und den Umständen liege. Das »Schöne« bei dieser Sache ist, dass man überall genügend Fehler findet, die die anderen machen und diese einem natürlich immer recht geben für das eigene Denken und Handeln. Mit dieser Sicht der Dinge konnte ich mich aber nicht mehr länger zufriedengeben. Zwar war es ein Leichtes, weiterhin mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie verantwortlich zu machen für meine Situation. Doch ich realisierte, dass sich mit dieser Einstellung meine Situation und mein Befinden nie ändern würden und das Gefühl der Hilfund Machtlosigkeit nur noch größer würde. Allmählich wurde mir bewusst, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich auf äußere Umstände reagiere und was ich daraus mache.
Damals gab es noch keine Mentaltrainer. Auch Sportpsychologen waren kein wirkliches Thema. Weit und breit war also niemand, der mir entsprechende Impulse hätte geben können.
Ich begann, erste Schritte zu machen, um mir selbst zu helfen. Dazu verschlang ich zunächst jede Menge Bücher mit dem Thema, wie der Mensch am besten sein Potenzial entfalten kann. Alles, was mir daraus für mein Leben geeignet schien, setzte ich um. Doch all die Bücher waren wie Schall und Rauch im Gegensatz zum größten Lehrmeister, den ich in dieser Zeit zu entdecken begann: das Leben. Sofern wir bereit sind, ganz und gar in der Gegenwart zu leben, ist das Leben selbst mit all den Erfahrungen, die wir machen, der beste Lehrmeister für uns. So war ich langsam in der Lage, meine Ängste und Sorgen, meine Stärken und Schwächen, meinen Glauben und meine tiefsten Überzeugungen wahrzunehmen. Mehr und mehr wurden mir so die Beweggründe meines Verhaltens bewusst.
Zu diesem Prozess trug auch wesentlich meine früh beendete Fußballkarriere bei, indem ich bereits mit 30 Jahren aus dem Hamsterrad des Erfolgreich-sein-Müssens ausgestiegen bin. In der Anonymität von Miami wurde mir schnell klar, dass Alain Sutter, der Fußballstar, nicht wirklich wichtig ist. Von diesem Zeitpunkt an konnte ich mich nicht mehr auf die bis dahin lebenslange Krücke Fußball mit all meinen Erfolgen und dem daraus entstehendem Prestige stützen – was mir bislang ein Gefühl der Sicherheit und Wichtigkeit gab, aus dem heraus ich mein Selbstvertrauen und meinen Selbstwert schöpfte. Das war verdammt hart, aber im Nachhinein das Beste, was mir passieren konnte.
Es war in dieser Zeit meines Lebens für mich unglaublich schwierig zu verstehen und zu akzeptieren, weshalb ich jetzt, wo ich doch scheinbar alles hatte, was »man« sich nur wünschen konnte, nicht glücklich und zufrieden war. Im Gegenteil, es war eine Zeit, in der ich mich vollkommen hilfund orientierungslos fühlte. Mir stand die ganze Welt offen, ich hatte finanziell keine Nöte, war gesund, konnte tun und lassen, was ich wollte, und lebte in einer intakten Beziehung. Dafür nahm in dieser Zeit ein Schreckgespenst langsam Form an: Ist das Beste in meinem Leben schon vorbei? Was fange ich bloß mit dem hoffentlich langen Rest meines Lebens an? Für was empfinde ich Freude, Enthusiasmus und Begeisterung? Diese und ähnliche Fragen jagten mich bald täglich.
Doch eine Antwort war weit entfernt, denn in mir herrschten Verwirrung, Chaos, Unklarheit und Orientierungslosigkeit. Zu meinem Entsetzen wurde mir bewusst, dass ich während der ersten 30 Jahre meines Lebens den Kontakt zu mir selbst verloren hatte, ohne es zu bemerken. So entschied ich mich, die Herausforderung anzunehmen, die Verwirrung zu entwirren und den Kontakt zu mir selbst wieder herzustellen. Ich begab mich auf die innere Reise, zu meinen Stärken und Schwächen, meinen Sorgen und Ängsten, meinen tiefsten Sehnsüchten und Wünschen, sprich: auf die Suche danach, wer ich wirklich bin.
Ich stürzte mich ins Leben und übte mich in Achtsamkeit, in jeder Situation bewusst zu spüren, was für mich stimmig ist und was nicht. Wo sind meine Freuden, meine Ängste, meine Sorgen und wie fühle und verhalte ich mich in welchen Situationen …
Das alles trug dazu bei, mir meiner selbst wieder bewusst zu werden und gab mir die Möglichkeit, bestimmte Verhaltensweisen weiterzuführen oder sie abzulegen. Ich übte michauch im bewussten Umgang mit meinen Gedanken. Was denke ich wann und in welcher Situation und welchen Ein- fluss hat das auf mein Empfinden und mein Leben? So konnte ich allmählich sehen: Mein Leben war und ist ein Abbild meiner tiefsten Überzeugungen.
Da ich mit einer offenen Haltung durchs Leben ging, erhielt ich jede Menge Impulse, aus denen ich das für mich Geeignete herausfilterte und viele neue Erfahrungen machen konnte.
Doch genauso wurde mir im Laufe der Zeit klar: Solange ich dem Erfolg mit seinen süßen Begleiterscheinungen – Aufmerksamkeit, Bestätigung, Lob und Anerkennung von anderen – nachjagte, würde dies ein nicht zu gewinnendes Spiel sein, das mit der Zeit immer mehr zu Zermürbung und Stress führen und mich immer weiter von mir selbst entfernen würde.
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