Unsere Kinder und Jugendlichen liegen mir ganz besonders am Herzen, denn sie sind es, die den Preis für die Unzulänglichkeiten von uns Erwachsenen bezahlen müssen. Bei ihnen entsteht viel Leid durch die Schwäche der Erwachsenen, denen sie durch ihr Abhängigkeitsverhältnis auf allen Ebenen hilfund schutzlos ausgeliefert sind.
Mein bisheriger Lebensweg hat mir erlaubt, viel über mich und mein Leben zu erfahren. Aus diesen Erfahrungen heraus habe ich dieses Buch geschrieben, in ihm sind mein Glauben, meine Überzeugungen, mein Wissen, meine Wahrheit, meine Thesen und Theorien enthalten.
Sollten Sie also in diesem Buch Fußballgeschichten, Einblicke in oder Enthüllungsstorys aus dem Fußball oder Ähnliches erwarten, sollten Sie es wieder zuklappen und zurücklegen. Sie hätten sich in diesem Fall getäuscht mit Ihren Erwartungen an den Inhalt dieses Buches.
Erwartungen und Meinungen anderer richtig einzuordnen, war und ist ein zentrales Thema in meinem Leben, mit dem ich viel Zeit verbracht habe, denn ich bin schon sehr früh in meinem Leben mit großen Erwartungen und vielen Meinungen anderer über mich konfrontiert worden und hatte so meine liebe Mühe damit. Ich habe lange Zeit sehr unter den Erwartungen und Meinungen, die andere über mich hatten, gelitten. Diese Last hat zu Stress und zum Verlust von viel Freude und Leichtigkeit in meinem Leben geführt.
Viele berühmte und erfolgreiche Menschen mussten und müssen wohl, wie ich auch, mit einer erhöhten Sensibilität in ihrem Leben zurechtkommen, da ohne diese Eigenschaft außergewöhnliche Leistungen selten zustande kommen. Auch die Natur ist ein sensibles Gebilde, bei der die Auswirkungen des Erfolgs um jeden Preis nicht spurlos vorübergehen.
Ich hatte lange Zeit große Mühe, mit meiner eigenen Sensibilität und Schwäche in unserer Erfolgsgesellschaft zurechtzukommen. Doch dann sind mir einige Dinge bewusst geworden und ich konnte meine Sensibilität langsam, aber sicher mit wahrem Selbstvertrauen paaren – was schließlich zu einer immer größeren inneren Stabilität und Stärke führte, die es mir mehr und mehr erlaubte, mein Leben zu genießen. Ohne dass sich an der Erfolgsgesellschaft auch nur das Geringste geändert hätte, war es mir so möglich, Stück für Stück freier, glücklicher und zufriedener mit mir und meiner Welt zu werden, meine Bedürfnisse in Vorlieben zu verwandeln und allmählich meine Erwartungen gegenüber anderen loszulassen.
Glücklich, weil erfolgreich
Wir leben in einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, dass nach außen alles gut und schön aussieht. Doch wie üblich, liegt die Wahrheit hinter diesen Fassaden. Und die Abhängigkeit von Erfolg, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Lob und Bestätigung anderer löscht mit der Zeit sämtliche Freude und Begeisterung in unseren Herzen aus. In der Gesellschaft der Berühmten und Erfolgreichen frage ich mich, weshalb man auch hier, bei denen, die doch alles haben, was in unserem Wertesystem als erstrebenswert gilt, so vielen fröhlichen Gesichtern mit traurigen Herzen begegnet? Weshalb gibt es auch in diesem Gesellschaftssegment eine große Anzahl von Menschen, die ein Drogenoder Alkoholproblem haben, unter Depressionen, Burn-out oder anderen Stresskrankheiten leiden, ja gar ernsthaft suizidgefährdet sind?
Erst nach meiner Zeit als Fußballer wurde mir klar, weshalb das so ist. Auf einiges war ich schon während meiner Karriere aufmerksam geworden, denn ich hatte mich ja bereits in jungen Jahren innerhalb dieser Kreise bewegt und war einer von ihnen. Doch welche Zusammenhänge und Mechanismen hier greifen und wie groß meine eigene emotionale Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bestätigung anderer war, wurde mir erst nach meiner aktiven Fußballzeit bewusst.
Deshalb war dieser Lebensabschnitt, auch wenn es nicht einfach war, ihn mit all seinen Herausforderungen zu bewältigen, für mich so wertvoll.
Nach dem Ende meiner Karriere zog ich mich komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Ich lebte in Miami, wo mich niemand kannte. Absichtlich ging ich keiner geregelten Tätigkeit nach. Ich brauchte Ruhe, Zeit und freien Raum, denn ich spürte, wie wichtig es für mich war, mein bisheriges Leben zu verarbeiten und mir über einige Dinge klar zu werden. Es war Zeit, meine Verwirrung zu entwirren. Ich startete meine Lehre und mein Forschungsvorhaben im spannendsten Unternehmen unseres Planeten: dem Leben.
Die erste Zeit habe ich uneingeschränkt genossen. Frei und unbeobachtet zu sein, keine Verpflichtungen zu haben, keine Erwartungen mehr erfüllen zu müssen, zu tun und zu lassen, wann und was immer ich wollte, ein paar Schritte gehen und schon im Meer baden. Golf spielen, ausgehen, lesen, shoppen, reisen …
Ein Leben, wie »man« es sich erträumt. Und ich war mir zunächst auch sicher, das sei mein gelebter Traum, denn ich wünschte mir nichts sehnlicher, als nach 13-jährigem hektischem Fußballer-Leben im Glashaus der Öffentlichkeit etwas Ruhe zu finden. Doch das Erwachen kam rasch. Die Ruhe und das Nichtstun wurden bald schon zur großen Belastung. Meine ganz persönliche Lebenskrise begann.
Denn ich war vorher überzeugt davon, dass sich dieses allgemein bekannte Loch, in das so viele Sportler nach ihrer Karriere fallen, für mich nicht auftun würde. War ich doch einer, der sich schon während seiner Karriere viele Gedanken über die Mechanismen, die als Fallgrube nach der Karriere lauerten, gemacht hatte. Trotzdem war ich absolut nicht vorbereitet auf den emotionalen Entzug, der auf mich wartete und mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte.
Mein Fußballer-Dasein hatte jede Woche zwei bis drei emotionale Höhepunkte für mich bereitgehalten, dann nämlich, wenn ich in die Stadien einlief und mich die Aufmerksamkeitswelle der Zuschauer überrollte. Diese Aufmerksamkeit, gepaart mit der Bedeutung, die ich diesen Ereignissen beimaß, führte zu ungeheuer intensiven Momenten emotionaler Glücksgefühle. Hormon-Cocktails, die im normalen Alltag nicht existieren.
Diesbezüglich war mein Leben als Fußballer sehr intensiv. Erst als diese Momente nicht mehr in meinem Leben vorhanden waren, realisierte ich, wie stark diese »Droge« ist. Mir wurde bewusst, dass ich während meiner Karriere ein Emotions-Junkie geworden war.
Da mein Entzug ebenso freiwillig wie radikal war – ich füllte das entstandene Loch weder mit Inhalt (Arbeit) noch mit Ersatzbefriedigungen (Drogen, Alkohol, Partys, etc.) – traf er mich mit voller Wucht.
Eine Szene, die mich tief berührte und mir die ganze Stärke dieser »Droge« zeigte, war zum Beispiel das Abschiedsspiel von Diego Armando Maradona. Einem der begnadetsten Fußballer aller Zeiten. Als er nach dem Spiel von seinen Fans und Mitspielern verabschiedet wurde, weinte er wie ein kleines Kind, dem gerade das Wichtigste in seinem Leben weggenommen wurde. Sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung schrien förmlich danach, nicht gehen zu müssen. Er liebte diese Bühne so sehr, dass er wohl am liebsten nie von ihr abgetreten wäre. So weinte er hemmungslos, denn er musste etwas loslassen, obwohl er noch nicht bereit dazu war. Doch genau dafür ist Trauer – die sich hier in ihrer Reinheit zeigte – da: um uns zu helfen, etwas loszulassen, was wir gar nicht loslassen wollen. Er liebte dieses Spiel und war mit ganzem Herzen dabei. Das Spielfeld war seine Bühne, wo er die Aufmerksamkeit erhielt, die ihm immer wieder Glücksgefühle schenkte. Doch was würde nach dem Abpfiff geschehen? Wenn alle seine Fans das Stadion verlassen hatten und für ihn der Alltag zum Alltag wurde, ohne Aufmerksamkeit, Anerkennung, Lob und Bestätigung anderer?
Tief ergriffen saß ich damals vor dem Fernseher und habe mit ihm geweint. Ich wusste genau, was in ihm vorging. Mein »neuer« Alltag hatte mir gezeigt, was Sache war. Ein Leben ohne diese Kicks, in ein Stadion mit 30–40 000 Menschen »einzumarschieren«, ohne dieses enorme Maß an Aufmerksamkeit mit der Chance auf Anerkennung, Lob und Bestätigung. Ein solches Leben kam mir doch sehr langweilig und öde vor. Ich empfand es zeitweilig wie eine als Paradies verkleidete Hölle.
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