In letzter Zeit schienen es immer mehr Verseuchte zu werden. Außerdem hatte sie Gerüchte über riesige Ausbrüche in Los Angeles gehört, die sie zusätzlich beunruhigten.
Sie klopfte sich ein wenig Schmutz von der schwarzen Lederhose und zog das weiße Shirt glatt. Mist. Völlig versaut. Warum sie ausgerechnet diese Farbe für ihr Jagdoutfit wählte, wusste sie selbst nicht, aber sie mochte es so am liebsten. Vielleicht wegen des Kontrasts zu den schwarzen Kleidungsstücken. Schließlich überprüfte sie den Ledergürtel mit den Waffen. Er saß stramm, genau wie er sollte. Neben ihrer Lieblingswaffe, ihrer Mädchen-Axt , wie ihr Kollege Daniel regelmäßig höhnte, hingen ein Dolch und ihre Schaufel für unterwegs daran.
»Hnghnghng«, tönte es dumpf aus der Erde.
Gerade wollte sie sich darüber amüsieren, dass das Ding, wie schon so viele zuvor, offenbar versuchte, sich durch das Erdreich zu nagen, da krachte etwas gegen ihren Rücken und warf sie nieder. Mehr, als den Arm nach vorn zu reißen, schaffte sie nicht, bevor sie auf den Boden knallte und Schmerz in ihrem Handgelenk explodierte. Sie ignorierte ihn, drehte sich blitzschnell auf den Rücken und sprang auf die Füße. Ihr Herz raste, doch sie schaffte es, sich auf ihren Verstand zu konzentrieren. Wie hatte sie das überhören können? Drei Zombies, oder wie die Regierung sie nannte: Verseuchte , hatten sie umkreist. Drei!
Einer näherte sich von rechts, einer von links und der in der Mitte hatte sie höchstwahrscheinlich angegriffen. Das wenige Licht der Straßenlaterne zeichnete unheilvolle Schatten auf ihre Gesichter.
Der rechte war ihre beste Chance. Er humpelte ein wenig und eines seiner Augen fehlte, sein Gesicht entblößte lediglich eine mit Maden gefüllte Höhle. Seine Kleidung hing in dreckigen Fetzen an ihm herab.
Die anderen beiden waren vermutlich vor nicht allzu langer Zeit angesteckt worden, was sie aufgrund ihrer halbwegs intakten Körper um einiges gefährlicher machte. Ein Mädchen und ein Junge, um die achtzehn, also wenige Jahre jünger als Sarah. Beide in Jeans und Shirts, er mit Basecap, sie in Heels – gut, mit einem zumindest. Daher lief sie auch so komisch.
Alle drei starrten sie ausdruckslos an und gaben knurrende Geräusche von sich. Langsam, aber stetig, wie wilde Tiere, näherten sie sich ihrer Beute. Der in der Mitte war der Gefährlichste, das sah sie sofort. Er würde erneut angreifen. Seine rot unterlaufenen Augen blitzten vor Hunger.
Denk nach, Sarah, befahl sie sich.
Rechts erstreckte sich die 32nd Avenue, links von ihr die verlassene Schule, die jetzt, während der Dämmerung, sicher von Zombies überrannt war. Ein Stück weiter vorn ging es in eine Straße mit Restaurants und Cafés, in der sich tagsüber das pure Leben tummelte. Dort hätte sie womöglich eine Chance, sich zu verstecken oder einen anderen Jäger zu treffen. Aber – nein, sie beschloss, umzudrehen und sich hinter den Treppen im angrenzenden Park zu verstecken, damit sie die Monster einzeln erledigen konnte. Die meisten von ihnen waren zu dämlich, einen Baum hochzuklettern, also konnte sie genau das tun und dort in aller Ruhe abwarten.
Sarah hechtete los. Den Bruchteil einer Sekunde später geschah es erneut: Etwas krachte in ihren Rücken und riss sie zu Boden.
»Fuck!«, fluchte sie. Diese Drecksverseuchten waren noch schneller gewesen als gedacht! Wieder rollte Sarah herum, löste die Axt aus dem Gürtel und wollte sie hochreißen, da drückte jemand ihre Hand brutal zu Boden. Es war der Junge. Das Zombiemädchen setzte sich auf ihre Brust, presste Sarahs andere Hand nach unten und stieß etwas aus, das einem verrückten Lachen glich. Ätzender Speichel tropfte aus ihrem Mund.
Sarah wand sich, wollte sich befreien, doch der Zombiejunge war bereits zur Stelle. Mit seinen dreckverkrusteten Fingern strich er über ihre Stirn und seine Augen weiteten sich gierig.
»Hnghnghng!«, machte es wieder neben ihr, so als wollte der Schrumpfkopf unter der Erde seine Kumpel anfeuern. Fast hätte sie aufgelacht, doch die Zombie-Teens rissen bereits ihre Mäuler auf, um sich an Sarahs Hirn zu nähren.
Das Mädchen drückte ihr die Luft ab. Der Junge holte aus und schlug gegen ihren Schädel. Die Gehirn-Kokosnuss musste ja erst freigelegt werden … Zu ihrem Glück war ihr Kopf härter als seine fauligen Finger. Mit einem ekelerregenden Geräusch brachen sie ab und der Zombiejunge betrachtete verwirrt seine verstümmelte Hand.
Vor Sarahs Gesicht schwirrten kleine Pünktchen herum. Sie keuchte schmerzerfüllt auf, zappelte und versuchte, den Moment zu nutzen und sich mit aller Macht hochzustemmen.
Da knackte und knirschte etwas. Dann ein Scheppern – und sie konnte wieder atmen.
Sarah sprang auf, taumelte. Ungläubig sah sie zwei der hirnlosen Wesen davonhumpeln. Einer lag neben ihr – kopflos. Sie rang nach Luft. Bevor sie den Blick hob, hielt sie die Axt schützend vor sich. Erst in diesem Moment entdeckte sie den jungen Mann, der vor ihr stand und sie mit seinen smaragdgrünen Augen förmlich durchbohrte. Die feinen Härchen an ihren Armen stellten sich auf.
War er einer von ihnen? Sie hatte noch nie erlebt, dass ein Verseuchter vor einem anderen weggerannt wäre. Eher hingen sie gemeinsam über ihrer Beute und schlürften sie aus.
Ihr Herz klopfte schneller. »Bist du einer von ihnen?«
Er riss die Augen auf. »Bist du bescheuert?«
Okay, wenn er antworten konnte, war er ein Mensch. Langsam ließ sie die Waffe sinken. Er hingegen ließ den Kopf des Untoten fallen, der unablässig mit den Zähnen klapperte.
Angeekelt betrachtete sie das Ding, bevor er es wegkickte.
Der Kerl hatte ihr das Leben gerettet. Sie wandte den Blick wieder zu ihm. Eine Strähne seines dunklen, kurz geschnittenen Haares hing ihm in die Stirn. Seine Gesichtszüge waren kantig und irgendwie gleichzeitig filigran.
»Schätze, ich muss mich bei dir bedanken«, brummte sie. »Das war echt knapp eben.« Gekonnt ließ sie die Axt vor sich kreisen. Eine dumme Angewohnheit, die sich verstärkte, wenn sie Unsicherheit verspürte.
»Hast du sie noch alle, nach Sonnenuntergang hier herumzuspazieren, Babygirl?«
»Oh, ein richtiger Charmeur.« Was war denn das für ein Freak? »Wer bist du, dass du glaubst, mir was vorschreiben zu können?«
»Ich bin der, der dir gerade deinen süßen Knackarsch gerettet hat, Mädel. Verzieh dich und lass dich hier nicht mehr blicken! Für kleine Blondchen ist jetzt Schlafenszeit. Also steck den Zahnstocher ein und verpiss dich.«
Wow, was für ein Riesenarschloch. Sarah war derart perplex, dass sie das Beil tatsächlich an den Gürtel klemmte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten zu gehen. Wehmütig musterte sie ihn und seufzte. Entweder waren sie schwul, vergeben, Zombies oder – wie in seinem Fall – Idioten.
Er schnaubte. »Von mir aus bleib beleidigt hier stehen und lass dich fressen, mir scheißegal. Noch mal helfe ich dir nicht.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ließ sie stehen.
Sie zog anerkennend eine Augenbraue hoch. Das mit dem Knackarsch konnte sie nur zurückgeben. Half nur leider nichts, wenn der Typ, der daran hing, ein kompletter Vollidiot war.
Sarah drehte sich um.
Shit.
Diesmal waren es fünf. Fünf! Und sie rannten verdammt schnell auf sie zu. Kampf oder Flucht?
Blitzartig zog sie ihre Axt – ehe sie am Arm gepackt und herumgeschleudert wurde. Im Reflex wollte sie zuschlagen, doch sie blickte in ein menschliches Gesicht und hielt sich gerade noch zurück.
»Glotz nicht, lauf lieber, oder willst du als Futter enden!? Das sind zu viele!«, keuchte der Kerl von eben.
Den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, dann rannte sie ihm hinterher. Er hatte recht. Selbst zu zweit war es zu riskant, sich den Verseuchten entgegenzustellen, und auch eine fünffache Kopfprämie war es nicht wert, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Sie spürte die Horde Hirnloser wie einen dunklen, stetig folgenden Schatten hinter sich, als sie gemeinsam in ein leerstehendes Haus sprinteten.
Читать дальше