Pfarrer Clemens, der, im Begriff wieder in sein Haus zu treten, sich plötzlich vom Rücken her in dieser Weise anreden hörte, wendete sich hastig um und blickte erschrocken die Dame an, welche ihm im Tone einer nachdrücklichen Strafpredigt diese Rede hielt. Ihr Gesichtsausdruck war dabei so zornig, ihre Bewegungen so energisch, als sei der arme Geistliche allein verantwortlich für alle die eben geschilderten Unannehmlichkeiten, und dieser fühlte sich wirklich in der ersten Ueberraschung und Bestürzung als der schuldige Theil.
„Ich bedauere sehr –“ sagte er verlegen und ängstlich, „es thut mir leid, aber ich – ich kann wirklich nicht dafür, daß das Klima auf unseren Bergen so rauh ist.“
Die Dame lachte laut auf bei dieser Entschuldigung und trat ihm vertraulich einen Schritt näher.
„Nein, Hochwürden, dafür können Sie in der That nicht!“ sagte sie gutmüthig. „Ich meinte auch nicht Sie, Gott behüte! Nichts für ungut, daß ich Sie so anfuhr. Wir kommen als zwei hülflose Frauen zu Ihnen und bitten um Schutz und Obdach für einige Stunden. Sie brauchen sich nicht zu ängstigen.“
Trotz dieser Versicherung retirirte der Pfarrer doch etwas näher nach der Thür hin, während er schüchtern zu der Erscheinung emporblickte, die allerdings dem Bilde, das man sich von einer „hülflosen Frau“ zu machen pflegt, so wenig entsprach, als der Ton, mit dem sie sich eingeführt, der Bitte.
Es war eine große, kräftige Gestalt, sie trug einen eleganten dicken Reiseshawl, der in allerdings mehr stürmischer als malerischer Drapirung um die Schultern geworfen war. Mit der Linken hielt sie ihren Hut, der, seiner schiefen Stellung und den bedenklichen Wellenlinien seines Schirmes nach zu urtheilen, schon mehrmals den Versuch gemacht hatte, dem Orte, an den er von Rechtswegen gehörte, zu entfliehen, an beiden Bändern auf dem Kopfe fest, mit der Rechten stützte sie sich auf einen großen Regenschirm, der auch schon vom Sturme arg mitgenommen war, und überdies die Spuren des lehmigen Felsbodens zeigte, auf dem er als Alpenstock gedient hatte. Hinter ihr ward jetzt eine kleinere, zartere Figur sichtbar, ganz in einen grauen Regenmantel gehüllt, der die feine Gestalt vom Halse an bis herab zu den Füßen umschloß. Sie hatte es vorgezogen, ihren Hut ganz abzunehmen, statt ihn fortwährend festhalten zu müssen, und während sie ihn in der Hand trug, flatterten die Locken, dem Winde preisgegeben, nach allen Richtungen. Das „schändliche Wehen“, das ihre Gefährtin so aufbrachte, schien ihr weit weniger Kummer zu verursachen, das frische, von der scharfen Bergluft angehauchte Gesichtchen drückte eher Vergnügen aus über die ganze abenteuerliche Fahrt, und es zuckte wie mühsam unterdrücktes Lachen um den kleinen Mund bei den komischen Vorwürfen, mit denen ihre Begleiterin auf den armen Pfarrer einstürmte, und bei der sichtbaren Angst des hochwürdigen Herrn vor der resoluten Dame.
Er lud sie nichtsdestoweniger ein, in’s Haus zu treten, und sie folgte auch dieser Aufforderung, blieb aber plötzlich auf der Schwelle stehen und sagte in scharfem Tone:
„Ehe wir aber eintreten, möchte ich Ihnen doch mittheilen, daß wir Protestanten sind. Verstehen Sie? Ketzer von der echtesten Sorte, da oben aus Norddeutschland! Täuschen wollen wir Sie nicht und bekehren lassen wir uns auf keinen Fall. Wenn Sie uns also darauf hin hinauswerfen wollen, so sagen Sie es lieber gleich, wir müssen dann zusehen, ob wir in dem sogenannten Wirthshause ein Unterkommen finden, obgleich ein anständiger Mensch es nicht ansehen, geschweige denn betreten kann, ohne daß sich sein ganzes Reinlichkeitsgefühl dagegen empört.“
Der Pfarrer mußte doch lächeln über dies seltsame Glaubensbekenntniß zwischen Thür und Angel. „Ich pflege meine Gäste nicht nach ihrer Religion zu fragen,“ entgegnete er freundlich, „und stelle mein einfaches Haus gern jedem Fremden zur Verfügung, weß Glaubens er auch sei.“
„So? Nun da sind Sie eine Ausnahme von Ihren Collegen!“ meinte die Dame trocken. „Entschuldigen Sie, daß es mir so herausfuhr, aber wie gesagt, bekehren lassen wir uns nicht, und man muß sich vorsehen hier zu Lande, ich traue den Katholischen nun einmal nicht. – Wenn ich nur wüßte, was es wieder dabei zu lachen giebt, Lucie! Ich glaube, Sie sind unvernünftig genug, an der ganzen abscheulichen Partie noch Vergnügen zu finden. Wie eine Gemse sind Sie vor mir her den Berg heraufgesprungen, während ich –“ sie sah wehmüthig herab auf die Trümmer ihres Regenschirms – „ohne den da wäre ich verloren gewesen!“
Man war inzwischen in’s Haus getreten und Franziska begann sogleich Shawl und Hut abzulegen, wobei sie ihrem Wirthe ausführlicher erzählte, daß sie von einer kleinen Reise nach A. zurückkäme, daß sie der Kürze wegen den Weg über das Gebirge gewählt hätten, und daß ihr Begleiter, der sich noch unten bei dem übel zugerichteten Wagen befinde, seine Schwester und sie einstweilen vorausgesandt habe, um im nächsten Dorfe auf ihn zu warten, wo sie ein Fuhrwerk zu erhalten hofften, das, da die Pferde zum Glück unverletzt seien, sie noch heute bis Dobra bringen könne.
„Das Fuhrwerk wird wohl zu erhalten sein,“ erklärte der Pfarrer bereitwillig, „vorausgesetzt, daß Ihr Begleiter bald eintrifft, sonst möchte es nicht rathsam sein, noch heute den Rückweg anzutreten, da die Nacht Sie noch im Gebirge überfallen würde. Sie müßten in diesem Falle mit meiner Gastfreundschaft fürlieb nehmen. Das Gastzimmer ist zwar schon seit einigen Monaten von meinem jungen Caplan eingenommen, indeß er wird gern den Damen weichen, und auch für den fremden Herrn wird Unterkommen geschafft werden.“
Lucie hatte bisher ihren Mantel noch nicht abgelegt, sondern sich mit großen Augen in der Studirstube umgesehen, die zugleich das Staats- und Empfangszimmer des hochwürdigen Herrn bildeten. Sie musterte unbefangen die alten einfachen Möbel, die nicht allzu zahlreichen Bücher und die vergilbten Stahlstiche an den Wänden, welche Heiligenbilder oder Scenen aus Legenden darstellten, bei den letzten Worten aber wurde sie plötzlich aufmerksam.
„Wo befinden wir uns denn eigentlich, Hochwürden?“ fragte sie schnell, und der Pfarrer wunderte sich, weshalb das junge Mädchen bei der so einfachen Frage bis an die Schläfe erröthete.
„Ja wohl, wie heißt denn das Nest? – ich bitte um Entschuldigung, ich meine Ihren Pfarrbezirk,“ fiel auch Franziska jetzt ein. „Man hat uns nur nach dem nächsten Dorfe gewiesen, ohne uns den Namen zu nennen.“
„Sie befinden sich in N.“
Es war gut, daß der Pfarrer sich dabei an Franziska wandte, und diese ihn wieder ansah, so entging Beiden die Purpurgluth, welche jetzt das Antlitz Luciens noch dunkler färbte. Sie gab auf einmal all’ ihre kleinen Beobachtungen im Zimmer auf und flüchtete an’s Fenster, wo sie verharrte, den Blick fortwährend auf die Thür gerichtet, als erwarte sie jeden Augenblick dort etwas eintreten zu sehen, das ihr Angst mache.
Fräulein Reich hatte sich indessen bequem im Lehnstuhl zurechtgesetzt und begann nun mit ihrem Wirthe eine Art von Verhör anzustellen, wie lange er schon hier wohne, welches Einkommen er habe, wie er mit seiner Gemeinde stehe und dergleichen. Der alte Pfarrer, völlig eingeschüchtert durch den inquisitorischen Ton der Dame, stand demüthig und ängstlich vor ihr, und bemühte sich, auf all ihre Fragen so genau und pünktlich zu antworten, als stehe er vor seinem Decan, von dessen Wohlwollen seine ganze Stellung abhinge. Das Resultat des Examens war endlich ein halb ärgerliches, halb mitleidiges Kopfschütteln von Seiten Franziska’s.
„ Ich möchte nicht an Ihrer Stelle sein, Hochwürden!“ erklärte sie sehr entschieden. „Im Sommer mag das noch zu ertragen sein, aber wie halten Sie nur den ganzen langen Winter hier oben aus, so mutterseelenallein, ohne Weib und Kind?“
Читать дальше