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Mehr als drei Monate waren vergangen, der Sommer hatte Abschied genommen und die Herbststürme brausten rauh und wild über das Gebirge hin. Was nicht jahraus jahrein auf seinen Gütern lebte, machte Anstalt wieder in die Stadt zurückzukehren, und auch auf Schloß Rhaneck traf man Vorbereitungen zur Uebersiedlung der gräflichen Familie in die Residenz; der Graf war ohnehin in der letzten Zeit nicht hier gewesen, schon im vergangenen Monat hatte seine Stellung ihn an die Seite seines Souverains gerufen, von wo er erst jetzt zurückkehrte, nur auf einige Tage, um Gemahlin und Sohn abzuholen.
Er war gleich am Morgen nach seiner Ankunft nach dem Stifte geritten und die Brüder befanden sich wieder im Arbeitszimmer des Prälaten. Wie damals saß der Abt im Lehnstuhl und der Graf stand ihm gegenüber, auf seinen Sessel gestützt, es war dasselbe Gemach mit den dunklen, sammetüberzogenen Möbeln und den schweren purpurrothen Seidenvorhängen, aber es fehlte die Sonnengluth, die damals auf dem Thale ruhte und bis in die geschützten Räume der Abtei drang, es fehlte der Sommerglanz und die Sommerfülle auf der Landschaft draußen, jetzt lag sie düster, nebelumschleiert da und das Gebirge, das einst so duftig blau emporstieg, verschwand heute ganz in den Wolken.
„Nun aber genug von der Politik und der Residenz!“ brach der Graf das eben geführte Gespräch ab. „Ich komme mir Nachrichten über Bruno zu holen. Er ist doch noch in N.? Wie geht es ihm?“
„Er ist gesund!“ erwiderte der Prälat lakonisch.
„Und eifrig in seinem neuen Amte?“
„Sehr eifrig!“
Rhaneck stutzte bei dem Tone. „Was hast Du? Was ist mit Bruno? Soll ich etwa Schlimmes hören?“
„Auf Gutes mache Dich nicht gefaßt.“
Der Graf richtete sich heftig empor. „Nun, was ist’s mit ihm? Ich bitte Dich, rede!“
„Pater Benedict hat all Deine und meine Erwartungen weit hinter sich zurückgelassen!“ sagte der Prälat mit unverkennbarem Hohne. „In den drei Monaten, während welcher er den Pfarrer Clemens vertritt, hat er sich bereits zum Apostel des Gebirges aufgeschwungen und das abgelegene N. zu einem Wallfahrtsorte gemacht, wohin man stunden- und tageweit wandert, und ihn nur zu hören. Er predigt aber auch in der That ganz wundersame Dinge, es bedarf nur noch eines Anstoßes, und unsere Gegenpartei begrüßt ihn als einen der Ihrigen und hebt ihn als solchen auf den Schild.“
„Um Gotteswillen!“ fiel der Graf ihm entsetzt in’s Wort, „und das duldest Du? Warum hast Du ihm nicht Einhalt gethan?“
„Weil ich die Größe der Gefahr verkannte! Für gefährlich hielt ich Benedict immer; daß er mir so schnell, so riesig entwachsen würde, habe ich doch nicht gedacht.“
„Und Du bist nicht eingeschritten?“
„Das Nothwendige ist geschehen,“ sagte der Prälat finster, „aber es ist zu spät geschehen, er hatte Zeit den Zündstoff in’s Volk zu werfen. Ich schonte ihn zu lange, um Deinetwillen und auch um meiner selbst willen, denn ich wollte dem Orden um jeden Preis diese Kraft erhalten. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich einen derartigen Fehler beging, er hat sich bitter gerächt.“
„Aber was hat denn Bruno eigentlich begangen?“ fragte der Graf unruhig. „Als ich abreiste, schienst Du ja ganz einverstanden mit seinem Auftreten.“
„Ich war es auch anfangs. Er bestand seine ersten Rednerproben glänzend, etwas zu kühn vielleicht, aber ich hatte es so erwartet und gewünscht. Unsere Art zu predigen hat sich längst überlebt, es nützt nichts mehr, dies starre Festhalten an den alten Traditionen. Wir brauchen mehr als je feurige energische Redner, die es verstehen, sich die jetzige Richtung, vor der das Volk nun einmal nicht mehr zu schützen ist, dienstbar zu machen, um uns in der neuen Zeit die alte Macht zu wahren, und Benedict wäre der Mann dazu gewesen, zumal er die seltene Gabe besitzt, auf die Massen zu wirken und, trotz seiner geistigen Ueberlegenheit, sich in Verständniß mit ihnen zu setzen. Ich sah das mit steigendem Interesse, aber bald ging er zu weit; ich warnte ihn, einmal, zweimal, er ließ sich immer wieder fortreißen; ich beschloß endlich ihn zurückzurufen, denn die Sache wurde mir bedenklich, da kommt er mir zuvor und schleudert am letzten Kirchentage, wo das ganze Gebirge zum alljährlichen Wallfahrtsfeste in N. zusammenströmt, eine Predigt in das Volk, eine Predigt –“ der Prälat ballte unwillkürlich die Hand. „Was hat sich der Tollkopf eigentlich gedacht, als er es wagte, das auf der Kanzel zu sprechen, er mußte doch wissen, daß es ihn in’s Verderben bringt!“
Der Graf entfärbte sich leicht. „Die Rede war – ketzerisch?“
„Schlimmer als das, sie war revolutionär. Die Empörung, die ihm sein Eid verbietet, die predigt er den Anderen, und ich fürchte, es hat bereits gezündet. Die Aelpler da oben sind eine trotzig wilde Race, die wir immer nur mit Noth und Mühe zu zügeln vermochten. Im ewigen Kampf mit ihrer Bergnatur lernen sie den Widerstand gegen Alles, selbst gegen Beichtstuhl und Kirche; der schwachköpfige Clemens hat ihnen allzu viel Willen gelassen, ebenso wie die übrigen Pfarrer, und nun noch dazu ein Lehrmeister wie Benedict – es sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal unter ihnen losbräche, und wenn, während wir hier alle Kräfte anspannen müssen, um die gährenden Elemente niederzuhalten und der immer mehr herandrängenden Bewegung die Stirn zu bieten, sich dort oben der Abfall in Masse vollzieht!“
Der Prälat hatte sich erhoben und schritt in unverkennbarer Erregung im Zimmer auf und nieder, seine ganze Ruhe schien ihn verlassen zu haben, der Graf stützte sich schwer auf den Sessel.
„Und was hast Du hinsichtlich Bruno’s beschlossen?“ fragte er scheinbar gelassen, aber sein Auge folgte unruhig dem auf- und abschreitenden Bruder.
„Ich habe ihm natürlich sofort jedes fernere Predigen untersagt und ihn zur Verantwortung hergerufen. Ich zweifle nicht, daß er gehorchen wird, und erwarte ihn in einigen Tagen; ihn sofort zurück zu fordern, wagte ich nicht, die Bauern hängen mit einer förmlich fanatischen Begeisterung an ihrem Caplan, sie wären im Stande, sich zusammen zu rotten und mit Gewalt zurückzuhalten, ahnten sie, was ihm bevorstände.“
Der Graf zuckte leise zusammen bei den letzten Worten. „Was willst Du thun?“ fragte er gepreßt.
„Was die Ordensregel in diesem Falle befiehlt. Benedict hat das geistliche Gericht herausgefordert, er wird seine ganze Strenge empfinden.“
„Bruder, um Gottes willen, Du wirst doch nicht – ?“
„Was werde ich nicht?“ fragte der Prälat stehen bleibend.
„Meinst Du vielleicht, ich könnte jetzt noch irgend eine Rücksicht walten lassen? Dir freilich ist dieser Bruno von jeher Alles gewesen – Deinen Ottfried hast Du nie geliebt!“
Rhaneck wendete sich ab.
„Daß die, Gräfin Dir keine Neigung einflößte, habe ich begreiflich gefunden,“ fuhr Jener fort; „sie war nicht die Frau, die Dich fesseln konnte, und Du brachtest dem Glanz unseres Hauses ein Opfer mit der Verbindung; daß Du aber für den einzigen Sohn und Erben, den sie Dir schenkte, für Deinen Sohn immer nur diese tödtliche Gleichgültigkeit hattest, das ist’s, was ich Dir zum Vorwurf mache, was ich nicht begreifen kann.“
„Ottfried’s verweichlichte egoistische Natur ist mir nicht sympathisch,“ vertheidigte sich der Graf finster, „er trägt meine Züge, aber er hat auch nicht eine Ader von meinem Temperament in sich.“
Der Prälat trat ihm einen Schritt näher und stützte die Hand auf den Tisch. „Ich weiß, wer Dein Temperament hat, wenn er auch Deine Züge nicht trägt! Nimm Dich in Acht, Ottfried! Dies Temperament stürzte Dich einst in endlose Verirrung, aus der nur meine Hand Dich emporriß, es wird auch sein Verderben! Wenn jene Liebschaft Dich früher –“
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