„Ich bewundere Sie,“ begann sie von Neuem, „daß Sie im Stande sind, mit solchen künstlerischen Anlagen sich einem Alltagsberufe zu widmen. Mir wäre das unmöglich. Ich bin in der Welt der Klänge und Töne aufgewachsen und vermag nicht zu begreifen, wie sich in ihr noch Raum finden kann für andere Pflichten.“
Es lag eine diesmal unverhohlene Bitterkeit in der Stimme des jungen Mannes, als er entgegnete: „Ihre Heimath ist auch Italien, die meine – eine norddeutsche Handelsstadt. In unserem Alltagsleben ist die Poesie nur ein seltener, flüchtiger Gast, dem oft genug die Stätte versagt wird. Die Arbeit, das Mühen um den Erwerb steht immer und ewig im Vordergrunde.“
„Auch bei Ihnen, Signor?“
„Es sollte wenigstens dort stehen; daß es nicht immer der Fall ist, hat Ihnen wohl mein musikalischer Versuch gezeigt.“
Die Sängerin schüttelte zweifelnd das Haupt. „Ihr Versuch? Ich möchte darauf hin Ihre Meisterschaft kennen lernen. Aber es kann doch unmöglich Ihre Absicht sein, dieses Talent der Oeffentlichkeit ganz zu entziehen und es nur im Kreise der Ihrigen zu üben?“
„Im Kreise der Meinigen?“ wiederholte Almbach mit eigenthümlicher Betonung. „Ich pflege dort keine Taste anzurühren, am wenigsten in Gegenwart meiner Frau.“
„Sie sind bereits vermählt?“ fragte die Italienerin rasch, während eine momentane Blässe ihr Antlitz überflog.
„Ja, Signora.“
Es klang schwer und kalt dieses Ja, und der halb spöttische Ausdruck, der einen Augenblick lang um die Lippen der Sängerin spielte, als sie den kaum vierundzwanzigjährigen Mann betrachtete, verschwand vor diesem Tone.
„Man vermählt sich, wie es scheint, sehr früh in Deutschland,“ bemerkte sie ruhig.
„Bisweilen.“
Die junge Italienerin schien die Pause, welche diesen Worten folgte, etwas peinlich zu finden; sie ging rasch zu einem anderen Thema über.
„Ich fürchte, Sie haben bereits das Examen bestehen müssen, vor dem ich Sie vorhin warnte. Die Gesellschaft war nichtsdestoweniger entzückt von Ihrem Vortrage.“
„Vielleicht!“ sagte der junge Mann halb verächtlich. „Und doch war er sicher nicht für die Gesellschaft bestimmt.“
„Nicht? Und wem galt er denn?“ fragte Signora Biancona den Blick fest auf ihn richtend.
Auch er sah sie an; es lag etwas Verwandtes in den beiden Augenpaaren, die jetzt einander begegneten, beide groß, dunkel und räthselhaft. Auch in dem Blicke Almbach’s leuchtete der gleiche Strahl, wie in dem der Künstlerin; auch dort flammte eine heiße leidenschaftliche Seele; auch dort schlummerte in der Tiefe der dämonische Funke, der so oft das Erbtheil genialer Naturen ist und ihnen zum Fluche wird, wenn keine schützende Hand ihn mehr behütet, wenn er zur Flamme angefacht wird, die dann nicht mehr Licht, sondern nur noch Verberben bringt.
Er trat einen Schritt näher und dämpfte die Stimme, aber die tiefe Erregung darin verrieth sich doch.
„Nur der Einen, die mir und uns Allen vor wenig Stunden die höchste Schönheit und die höchste Poesie verkörperte, getragen von den Tönen eines unsterblichen Meisterwerkes. Man hat Ihnen heute tausendfach gehuldigt, Signora! Was die Begeisterung nur zu erfinden vermochte, das legte man zu Ihren Füßen. Der Fremde, Unbekannte wollte Ihnen doch auch sagen, wie sehr er Sie bewundert, und da that er es denn in der Sprache, die Ihrer allein würdig ist. Ganz fremd ist sie auch mir nicht geblieben.“
In der Huldigung lag etwas, was sie über jede Schmeichelei erhob, der Ton echter, voller Begeisterung, und Signora Biancona war doch Künstlerin genug, um diesen Ton zu kennen, Weib genug, um zu ahnen, was sich dahinter barg; sie lächelte mit bezaubernder Anmuth.
„Nun, ich habe es ja gesehen, wie sehr diese Sprache Ihnen zu Gebote steht. Werde ich sie nicht öfter von Ihnen hören?“
„Schwerlich!“ sagte der junge Mann düster. „Sie kehren, wie ich höre, in Kurzem nach Italien zurück, ich – bleibe hier im Norden. Wer weiß, ob wir je wieder einander begegnen.“
„Unser Impressario beabsichtigt bis zum Mai hier zu bleiben,“ fiel die Sängerin rasch ein. „Da wird unsere heutige Begegnung doch wohl nicht die letzte sein? Gewiß nicht, ich rechne bestimmt darauf, Sie wiederzusehen.“
„Signora!“ Das leidenschaftliche Aufflammen Almbach’s dauerte nur eine Secunde. Es schien ihn plötzlich eine Erinnerung oder Warnung zu durchzucken; er trat zurück und verneigte sich tief und fremd.
„Ich fürchte, es muß die letzte sein – leben Sie wohl, Signora!“
Er war fort, noch ehe es der Sängerin möglich war, ein Wort der Befremdung über diesen seltsamen Abschied zu äußern, und es schien ihm Ernst damit zu sein, denn nicht ein einziges Mal während des ganzen Abends näherte er sich wieder dem verhängnißvollen „Sonnenkreise“.
„Das ist zu arg. Diese Manie fängt wirklich an, alle Grenzen zu übersteigen. Ich werde dem Reinhold das musikalische Handwerk noch ganz und gar legen müssen, wenn er fortfährt, es in so unsinniger Weise zu betreiben.“
Mit diesen Worten eröffnete der Kaufmann Almbach eine Familiendebatte, die im Wohnzimmer in Gegenwart seiner Frau und Tochter stattfand und der zum Glück der eigentliche Gegenstand derselben nicht beiwohnte. Herr Almbach, ein Mann von fünfzig Jahren etwa, dessen ruhiges, gemessenes und etwas pedantisches Wesen sonst dem ganzen Comptoirpersonale als Muster vorleuchtete, schien durch die oben erwähnte „Manie“ völlig aus der Fassung gebracht zu sein, denn er fuhr in vollster Aufregung fort:
„Da kommt der Buchhalter heute Morgen gegen vier Uhr von dem Jubiläum zurück, das ich schon gleich nach Mitternacht verlassen hatte. Von der Brücke aus sieht er das Gartenhaus erleuchtet und hört den Reinhold über die Tasten hinrasen, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Natürlich konnte er mich zum Feste nicht begleiten; er behauptete krank zu sein, aber in dem eiskalten Gartenzimmer bis an den hellen lichten Morgen seinen Flügel zu maltraitiren, daran hinderte ihn der ‚unerträgliche Kopfschmerz‘ nicht. Ich werde es wohl nächstens wieder von meinen Collegen zu hören bekommen, daß mein Herr Schwiegersohn wie in der Unbrauchbarkeit, so auch in der Rücksichtslosigkeit das Möglichste leistet. Es ist kaum zu glauben. Der jüngste Commis weiß besser Bescheid in den Büchern und hat mehr Interesse für das Geschäft, als der Compagnon und dereinstige Chef des Hauses Almbach und Compagnie. Mein Leben lang habe ich geschafft und gearbeitet, um meine Firma zu einer festgegründeten, geachteten zu machen – und nun die Aussicht, sie einst in solchen Händen lassen zu müssen!“
„Ich habe es Dir stets gesagt, Du solltest ihm den Umgang mit dem Musikdirector Wilkens verbieten,“ fiel Frau Almbach ein. „Der allein ist an Allem schuld. Mit diesem alten menschenfeindlichen Musiknarren konnte Niemand auskommen; Jedermann floh und haßte ihn, aber für Reinhold war das nur ein Grund mehr, die intimste Freundschaft mit ihm zu schließen. Tag für Tag war er drüben, und dort allein ist der Grund zu all dem musikalischen Unsinn gelegt worden, den der Herr Lehrer bei seinem Tode auf ihn vererbt zu haben scheint. Es ist kaum mehr zu ertragen, seit wir das Vermächtniß des Alten, den Flügel, im Hause haben. Ella, was sagst Du denn eigentlich zu diesem Benehmen Deines Mannes?“
Die junge Frau, an welche die letzten Worte gerichtet waren, hatte bisher noch nicht eine Silbe gesprochen. Sie saß am Fenster, den Kopf tief auf ihre Näherei herabgebeugt, und blickte erst bei dieser direct an sie gerichteten Frage empor.
„Ich, liebe Mutter?“
„Ja, Du mein Kind, denn Dich geht die Sache doch wohl zumeist an. Oder fühlst Du es wirklich gar nicht, in welcher unverantwortlichen Weise Reinhold Dich und das Kind vernachlässigt?“
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