Um so erstaunter war daher die Gesellschaft, als Almbach sich all diesen Schwierigkeiten vollkommen gewachsen zeigte, als er, ohne auch nur eine Note vor sich zu haben, sie gleichsam spielend überwand, mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, die einem Künstler von Fach Ehre gemacht hätte. Zugleich aber wußte er in seinen Vortrag ein Feuer zu legen, das selbst die älteren und anspruchsvolleren Zuhörer mit fortriß. Das Musikstück schien unter seinen Händen eine ganz andere Gestalt anzunehmen; er lieh ihm eine Bedeutung, die bisher noch Niemand, vielleicht der Componist selbst am wenigsten, hineingelegt hatte, und besonders der in etwas stürmischem Tempo vorgetragene Schluß trug ihm von allen Seiten den reichsten Beifall ein.
„Bravo, bravissimo, Herr Almbach!“ rief der Consul, der zuerst hervortrat und ihm herzlich die Hand schüttelte. „Wir müssen wirklich der Signora und dem Doctor dankbar sein, daß ihr musikalischer Streit uns zur Entdeckung eines solchen Talentes verhalf. Da kündigen Sie uns ganz bescheiden einen Versuch an und geben uns eine Leistung, deren sich der vollendetste Künstler nicht zu schämen hätte. Sie haben unserer Signora zu einem glänzenden Siege verholfen; sie hat Recht, unbedingt Recht, und der Doctor bleibt diesmal mit seinem Angriffe entschieden in der Minorität.“
Die Sängerin war gleichfalls vor den Flügel getreten. „Auch ich bin Ihnen dankbar, daß Sie meinem Wunsche so ritterlich nachkamen,“ sagte sie lächelnd; „aber“ – hier senkte sie die Stimme – „aber nehmen Sie sich in Acht! Ich fürchte, mein kritischer Gegner wird noch mit Ihnen rechten über die Art, wie Sie meiner Ansicht Geltung verschafften. War das Spiel und vor Allem der Schluß so ganz correct?“
Eine verrätherische Gluth flog über das Antlitz des jungen Mannes, aber er lächelte gleichfalls. „Er entsprach Ihrer Auffassung und fand Ihren Beifall, Signora – das ist für mich genug.“
„Wir sprechen noch darüber,“ flüsterte die Sängerin schnell, denn jetzt trat die Dame des Hauses heran, um ihrem jungen Gaste gleichfalls einige Artigkeiten zu sagen, und der größte Theil der Gesellschaft folgte ihrem Beispiele. Ein Strom von Redensarten und Complimenten rauschte auf Almbach ein; man war entzückt von seinem Spiele, seiner Auffassung; man wollte wissen, wo er seine musikalischen Studien gemacht; je weniger man ihn früher beachtet hatte, je unbekannter er den Meisten war, desto mehr überraschte sein plötzliches Hervortreten, und dazu die Bescheidenheit des jungen Mannes, die ihm kaum erlaubte, auf all die an ihn gerichteten Fragen zu antworten; ein Jeder aus der Gesellschaft fühlte augenblicklich etwas vom Kunstmäcen in sich und war bereit, diesem jungen Talente seine volle Protection angedeihen zu lassen.
Ob es wirklich nur Bescheidenheit war, was Almbach’s Lippen schloß? Es blitzte bisweilen wie eine Art von Spott in seinem Auge, wenn man immer und immer wieder seine geniale Auffassung hervorhob und behauptete, die Composition noch nie in dieser Vollendung gehört zu haben. Er benutzte die erste Gelegenheit, sich der auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit zu entziehen, und ward bei diesem Versuche von Doctor Welding in Beschlag genommen.
„Kann man endlich auch einmal zu Ihnen gelangen? Man läuft ja förmlich Sturm auf Sie mit Complimenten. Nur ein Wort, Herr Almbach! Wollen wir hier eintreten?“
Er wies in ein Nebenzimmer, das Beide kaum betreten hatten, als der Doctor in ziemlich scharfem Tone fortfuhr:
„Signora Biancona hat Recht behalten, das heißt in Folge Ihres Vortrages. Mein Angriff richtete sich gegen die Composition, wie sie im Original existirt. Darf ich fragen, wo Sie diese sehr eigenthümliche Bearbeitung aufgefunden haben? Mir war sie bis zu dieser Stunde völlig unbekannt.“
„Wie meinen Sie, Herr Doctor?“ fragte der junge Mann kühl. „Ich kenne das Musikstück nur in dieser Gestalt.“
Welding sah ihn von oben bis unten an; in seinem Gesichte stritt ein ärgerlicher Ausdruck mit einem unverhohlenen Interesse, als er entgegnete:
„Sie scheinen die Musikkenntniß der Gesellschaft ganz richtig zu taxiren, da Sie ihr dergleichen zu bieten wagen. Man hört das bekannte Thema heraus und ist zufrieden; aber es giebt doch zuweilen Ausnahmen. Mich zum Beispiel würde es sehr interessiren, zu wissen, von wem gewisse Variationen stammen, die den Charakter des Ganzen total verändern, und was nun vollends den Schluß betrifft – war diese kühne Improvisation vielleicht auch der ‚Versuch eines Dilettanten‘?“
Almbach hob ein wenig trotzig den Kopf. „Und wenn sie es nun wäre, was würden Sie dazu sagen?“
„Daß es ein arger Mißgriff der Ihrigen war, Sie zum – Kaufmann zu machen.“
„Herr Doctor, wir sind im Hause eines Kaufmanns.“
„Gewiß,“ sagte Welding ruhig, „und ich bin der Letzte, diesen Stand gering zu schützen, zumal wenn er, wie bei unserm Wirthe, mit tüchtiger rastloser Arbeit beginnt und mit dem Ausruhen auf Millionen endigt; aber er paßt eben nicht für Jeden. Es gehört vor allen Dingen ein klarer kühler Kopf dazu, und der Ihrige scheint mir gerade nicht dazu geschaffen, sich einzig mit dem nüchternen Soll und Haben abzugeben. Verzeihen Sie, Herr Almbach! Das ist nur so meine unmaßgebliche Meinung; im Uebrigen tadele ich Sie gar nicht wegen Ihrer Keckheit. Was thut man nicht, um dem Eigensinne einer schönen Frau Recht zu geben! In diesem Falle war das Manöver sogar äußerst genial; ein Anderer hätte das mit dem besten Willen nicht fertig gebracht. Ich gratulire Ihnen dazu.“
Er machte eine halb ironische Verbeugung und verließ das Gemach. Es lag zwar dicht neben dem Saale, aber die halb geschlossenen Portièren schieden es von demselben, und völlig einsam und matt erleuchtet, bot es wenigstens ein minutenlanges Alleinsein Dem, der danach verlangte. Der junge Mann hatte sich in einen Sessel geworfen und schaute träumend vor sich hin. Woran er dachte, das wagte er sich vielleicht selbst nicht zu gestehen, und doch verrieth es sein jähes Auffahren beim Klange einer Stimme, die im Tone leichter Ueberraschung sagte:
„Ah Signor Almbach, Sie hier?“
Es war Signora Biancona; ob sie beim Eintritte den bereits Anwesenden wirklich nicht bemerkt hatte, ließ sich nicht entscheiden, denn sie fuhr mit voller Unbefangenheit fort:
„Ich suchte auf einen Augenblick Erholung von der Hitze und dem Gewühle des Salons. Auch Sie haben sich der Gesellschaft so kurz nach Ihrem Triumphe entzogen?“
Almbach hatte sich schnell erhoben. „Wenn von Triumphen die Rede ist, so bleibt wohl kein Zweifel, wer sie heute feiert. Meine improvisirte Leistung vermag sich nicht entfernt mit dem zu messen, was Sie dem Publicum gaben“
Die Sängerin lächelte. „Ich gab ihm auch nur Töne, wie Sie, aber ich gestehe Ihnen offen, daß es mich überrascht hat, erst heute und hier von einem Künstler zu hören, der gewiß schon längst –“
„Verzeihung, Signora,“ unterbrach sie der junge Mann kalt. „Ich habe bereits im Salon erklärt, daß ich nur auf Dilettantismus Anspruch machen darf. Ich gehöre dem Kaufmannsstande an.“
Derselbe Blick der Verwunderung, den er bei Welding im Theater gesehen, streifte hier zum zweiten Male das Gesicht Almbach’s.
„Unmöglich! Sie scherzen!“
„Weshalb unmöglich, Signora? Weil ich ein schwieriges Bravourstück geläufig vorzutragen vermochte?“
„Weil Sie es so vorzutragen vermochten und weil –“ sie sah ihn eine Secunde lang fest an und setzte dann mit voller Bestimmtheit hinzu: „weil Ihr Antlitz den Stempel zeigt, den, wie man sich immer einbildet, das Genie an der Stirne tragen muß.“
„Sie sehen, wie sehr der Schein bisweilen trügt.“
Signora Biancona schien dieser Ansicht nicht beizustimmen; sie ließ sich auf den Divan nieder; das helle Gewand legte sich leicht und luftig wie eine Wolke auf den dunklen Sammet.
Читать дальше