»Ellis?«
»Kleinen Moment, Boss«, gab sie zurück. »Ich bekomme hier gerade ein paar Infos rein, aber die … äh …«
»Spuck's schon aus«, sagte er, aber er kannte die Antwort bereits. Der Rest der Brückenbesatzung sah sie gespannt an. McBrain wusste, was in ihren Köpfen vorging.
Yautja? Hier?
Die Marines, die Gamma 123 bewachten, hatten ihn über den Waffenstillstand informiert, der vor ein paar Wochen geschlossen worden war, aber das war keine Garantie dafür, dass die Angriffe damit beendet sein würden. Über die Yautja wusste er nicht viel, außer den Informationen, die die Company ihnen bereitstellte. Und das waren nur sehr wenige. Als Spezies waren sie unvorhersehbar, gewalttätig und selbst nach all der Zeit noch immer ein Mysterium.
»Okay«, begann Ellis und unterbrach damit das angespannte Schweigen. »Also, es ist ein großes Schiff und in weniger als einer Million Meilen unter Warp gegangen. Der Computer hat seine Triebwerkssignatur identifiziert, aber … das ergibt keinen Sinn.«
»Wieso nicht?«, fragte McBrain, dessen Stimme ein gewisses Maß an Frustration anzumerken war.
»Das Schiff trägt den Namen Susco-Foley .«
»Nie davon gehört.«
»Das haben wohl die wenigsten. Es ist ein Fiennes-Schiff, dass den Sol-Orbit bereits 2216 verlassen hat.«
»Ein Fiennes-Schiff?«, wiederholte Clintock. »Was zur Hölle macht das denn hier?«
»Diese Schiffe besaßen überhaupt keine Warp-Antriebe«, meldete sich jemand anderes zu Wort.
»Das muss ein Irrtum sein«, mutmaßte McBrain. »Yuri, kannst du das bestätigen?«
Der Schiffscomputer hüstelte, so als müsse er sich räuspern, eine Eigenheit, die McBrain zumeist recht amüsant fand, die ihm jetzt aber auf die Nerven ging.
»Ja, Nathan«, antwortete Yuri. »Alles deutet darauf hin, dass es sich bei dem Schiff tatsächlich um die Susco-Foley handelt, obwohl sie größer als das ursprüngliche Schiff ist und Verschönerungen vorgenommen wurden.«
»Verschönerungen?«
»Das Warpfeld, das ihrer Ankunft vorausging, lässt die Vermutung zu, dass sie mit Warp 30 flogen.«
Ein Raunen ging durch die Brücke.
»Nun, dann muss es sich um ein Versehen handeln«, sagte McBrain. »Kein Erdenschiff kann so schnell fliegen, und schon gar keines, das vor viereinhalb Jahrhunderten konstruiert wurde.«
Selbst die Arrow-Klasse der Excursionists brachte es nur auf Warp 15.
Er starrte auf den Holo-Schirm vor ihm, dessen Ansicht nun auch auf andere Bildschirme der Brücke übertragen wurde. Vier der sechs Colonial-Marines-Schiffe hielten in einem Abfangkurs auf den pulsierenden roten Punkt zu, der sich der Gagarin mit jedem Atemzug weiter näherte.
»Gibt es Funkverkehr zwischen ihnen und den Schiffen der Marines?«, fragte er.
»Nur in eine Richtung«, sagte Ellis. »Die Marines rufen sie, bekommen aber keine Antwort.«
Die vier Kriegsschiffe in der Nähe der Gagarin formierten sich zu einem Schutzschild um das Titanschiff herum, bereit, im Notfall ihre Angreifer mit einer überwältigenden Feuerkraft zu empfangen.
»Was zur Hölle ist das?«, murmelte McBrain.
»Zumindest sind es keine Yautja«, stellte Clintock fest. »Man hat sie noch nie in Schiffen dieser Größe gesichtet.«
»Aber stehlen und modifizieren sie nicht auch fremde Technologien neben ihrer eigenen?«, fragte Ellis.
»Keine Ahnung«, erwiderte McBrain. »Aber wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Die Marines werden sich darum kümmern.« Er hoffte nur, dass er damit recht behalten würde. Stirnrunzelnd beobachtete er weiter, wie sich die blauen Punkte dem mysteriösen Neuankömmling näherten.
Dann knisterte eine Übertragung in den Lautsprechern.
» Gagarin , hier spricht Blue One . McBrain, können Sie mich hören?«
»Ich höre Sie, Vicar.« Die Blue One war das Führungsschiff der Marines, ein Zerstörer, der von einer Frau kommandiert wurde, die er noch nie persönlich getroffen hatte. Bei ihrer Ankunft hatte Lieutenant Vicar ihn wissen lassen, dass er und seine Crew dank ihrer Anwesenheit nichts mehr zu befürchten hatten, und seither hatte es wenig Kontakt zu ihr gegeben. Das war vor mehr als vier Monaten gewesen.
»Sie haben sicher schon unseren Besucher bemerkt«, fuhr die Stimme fort. »Wir nähern uns und versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen.«
»Verstanden«, antwortete er. »Zeigen Ihre Sensoren ebenfalls an, dass das Schiff beinahe fünfhundert Jahre alt ist?«
Vicar ließ sich mit ihrer Antwort ein paar Sekunden lang Zeit.
»Das muss ein Fehler in unseren Computern sein.«
»In allen gleichzeitig?«
Wieder folgte Schweigen, vermischt mit dem weißen Rauschen des Weltraums.
»Bleiben Sie auf Empfang«, sagte Vicar. »Stellen Sie sicher, dass …«
Dann brach ohne jede Vorwarnung die Verbindung zu ihr ab. Gleichzeitig verschwand einer der blauen Punkte auf dem Holo-Schirm.
»Was war das?«, fragte McBrain und wurde ungewollt laut dabei. »Was ist passiert?« Sein Herz schlug nun schneller, nicht etwa aus Angst, sondern aus Ungewissheit. Er musste wissen, was vorgefallen war. Er war gern Herr der Lage. »Hallo? Lieutenant Vicar?«
»Die Verbindung zu ihr ist abgebrochen«, sagte Ellis. Dann deutete sie auf den Schirm. »Da, siehst du?«
Der zweite blaue Punkt drehte von dem neu eingetroffenen Schiff ab. McBrain und alle anderen auf der Brücke sahen zu, wie sich ein Dutzend kleinerer roter Punkte von dem Eindringling entfernten und die Verfolgung aufnahmen.
»Noch mehr Schiffe?«, fragte er.
»Scheint so«, sagte Clintock. »Nathan, was geht hier vor?«
»Ich denke, wir werden gerade Zeugen einer Schlacht«, sagte er. Sein Herz raste, und sein Magen zog sich zusammen. »Schick ein Signal an alle Module der Gagarin «, sagte er. »Sag ihnen, sie sollen sich verteilen.«
»Im Ernst?«
»Ja, im Ernst! Siehst du das da?« Er deutete auf den Holo-Schirm. Das Marine-Schiff flog eine kleine Schleife und drei der es verfolgenden roten Lichter verblassten. Die anderen Marine-Schiffe formierten sich um das Sprungtor und die Gagarin herum, doch er wusste, dass deren Crews das Gleiche mitangesehen hatten wie sie. Sie hatten soeben ihre befehlshabende Kommandeurin verloren, zusammen mit einer kompletten Crew.
»Sie sind jetzt kaum mehr als eine halbe Million Meilen entfernt und kommen schnell näher«, meldete Ellis.
Der zweite blaue Punkt verschwand.
»Oh, scheiße«, sagte jemand. McBrain blickte sich um. Er sah zu Clintock. Die beiden tauschten besorgte Blicke aus.
»Piraten?«, überlegte Clintock. »Red Four?«
»Die Red Four haben nie so etwas getan«, antwortete jemand auf der Brücke. »Nein, das muss etwas anderes sein.«
Aus dem gegnerischen Hauptschiff schwärmten weitere rote Punkte aus und hielten auf die Gagarin zu.
»Zurück auf die Standard-Ansicht«, befahl McBrain. Die Panoramafenster klarten sich wieder auf und zeigten die Schwärze des Alls mit den hellen Tupfern der Sterne darin, sowie das Sprungtor in ihrer unmittelbaren Nähe.
Zwei Schiffe der Colonial Marines kamen in Sicht, näherten sich dem Sprungtor und bezogen auf beiden Seiten davon Position.
Natürlich, dachte McBrain bei sich. Sie beschützen zuerst das Tor und danach uns. In dem Gedanken lag keine Verbitterung, denn er wusste, dass die Truppen nur Befehle von Weyland-Yutani befolgten. Das neu errichtete Sprungtor war weitaus wichtiger als die Leben der Männer und Frauen, die so weit gereist und so hart gearbeitet hatten, um es zu erbauen.
Auf der rechten Seite der Brücke, in der Richtung, aus der sich das Schiff näherte, war nichts zu erkennen.
»Entfernung?«
»Zweihunderttausend Meilen«, meldete Ellis.
Die beiden letzten Schiffe der Marines waren noch dort draußen und versuchten, das herannahende Schiff und die kleineren Angreifer abzufangen, die McBrain für Angriffsjäger oder Drohnen hielt.
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