Ich begleite Eltern, die behinderte Kinder ins Leben hineinführen, und für die war das natürlich eine große Herausforderung, das anzunehmen. Sie erzählen mir dann auch manchmal, dass es durchaus so unerleuchtete Zeitgenossen gibt, die sich nicht entblöden, den Eltern zu sagen: „Das ist ja auch wirklich eine große Belastung, immer dieses Kind zu umsorgen.“ Die Eltern haben dann alle Hände voll zu tun, dem Gesprächspartner zu sagen: „Es ist schon nicht immer leicht, aber es ist eine für mich erfüllende Aufgabe, dem Leben so zu dienen, wie es mir geschenkt worden ist.“ Wow, was für ein Satz, oder? Dem Leben so zu dienen, wie es mir geschenkt worden ist.
Seien wir doch mal ehrlich: Haben wir uns die Sachen ausgesucht? Ja, ich habe auch eine Grundentscheidung getroffen, dass ich in einen Orden eintreten will. Aber was mir da alles passiert ist und was es da an Herausforderungen gibt, das habe ich mir weiß Gott nicht ausgesucht. Doch ich nehme es an, weil es mit dieser Grundentscheidung zusammenhängt. Und es kann ein erfüllendes Leben sein, wenn ein Partner / die Partnerin beim Unfall querschnittsgelähmt wurde. Sie jetzt die nächsten dreißig Jahre einfach zu umhegen, zu umsorgen und mit ihr auf dem Weg zu sein. Das kann ein erfülltes Leben werden, wenn der Partner diese Aufgabe wirklich in Freiheit angenommen hat, diesen Menschen ein Leben lang begleiten zu wollen. Das ist doch das, was uns immer wieder zum Staunen bringt: dass es Menschen gibt, die einfach bei ihrer Sache bleiben und sich weiter drum kümmern. Sie sagen nicht: „Ich bin dann mal weg!“ und denken sich, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes sei grüner, da würde man schneller ein erfülltes Leben finden.
Ich kenne leider auch Menschen, die schon das dritte Studium angefangen haben und immer noch nicht fühlen, dass sie ein erfülltes Leben damit finden können und jetzt schon neunundzwanzig geworden sind. Da kann ich nur sagen: „Was du auch wählst, es ist sowieso das Verkehrte. Denn was glaubst du denn, was es alles für Dinge gibt, die du erleben musst?“ Aber das ist eben überall so: Es gibt ja nicht irgendwo eine Insel, auf die ich hingehen kann und dort ist dann das Schlaraffenland, der Mama-Schoß, wo ich alles so bekomme, wie ich es gerne hätte. Nein, das Leben ist Konflikt und Auseinandersetzung, und es wird ein erfülltes Leben werden, wenn ich das als meine Aufgabe mit einer gewissen Portion Humor annehme.
Für mich bedeutet dieser Humor, den ich vom Heiligen Franziskus lerne und den ich in meinem Leben verwirkliche, daher, dass ich in meinem Glauben wie manchmal von einer höheren Warte aus mein Leben betrachte und denke: „Ja, es läuft jetzt so. Wenn es jetzt anders laufen würde, würde es halt anders laufen. Aber Herausforderungen bleiben überall. Und es ist doch zum Lachen, wie ich manchmal aus emotionalen Gründen und weil sich auch manches an Ängsten aufbaut, aus einer Mücke einen Elefanten mache. Aber ein erfülltes Leben ist ein Leben voller Konflikte, voller Versöhnung, Streit, Hunger, Durst, schönes Abendessen, toll was trinken … Die Fülle des Lebens ist doch eigentlich das erfüllte Leben. Und wer bin denn ich, dass ich darüber richten kann, was ein bisschen erfüllter ist und was ein bisschen weniger erfüllt?“
Also: Mach deine Aufgabe. Zum Abschluss möchte ich Michael Endes tollen Roman Momo zitieren: Denk an Momos Gespräch mit dem Straßenkehrer. Was macht der Straßenkehrer? Der macht einmal Strich … und Strich … und Strich … und streicht mit seinem Besen über die Straße und ist ein wunderbar erfüllter Mensch und hat alle Hände voll zu tun, damit die grauen Herren, die Zeitfresser, ihm das Leben nicht madig machen.
Ich wünsche dir, dass du in dem, wo du gerade bist, auch in dem Mangel, den du gerade erlebst, wo du gerade denkst: Hach, ich habe eben kein erfülltes Leben!, den Vogel siehst, der vielleicht gerade vor deinem Fenster sitzt und singt. Dann denk dir: Der singt jetzt grrade nur für mich! Das könnte ja vielleicht der Anfang sein, dass du siehst: Die Fülle kannst du dir nicht machen. Sie wird dir geschenkt.
Ein erfülltes Leben kann nicht daher kommen, dass ich alle Wünsche erfüllt bekomme.
Sondern ein erfülltes Leben fängt da an, wo ich es schaffe, aus diesen Wünschen in die Hingabe zu kommen.
Ich finde, wir müssen mal über das Glück reden. Es wird uns zum Beispiel „ein glückliches neues Jahr“ gewünscht, wir machen Glückwünsche zum Geburtstag oder
zu was auch immer – es wird ständig Glück gewünscht. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob alle Menschen das Gleiche meinen, wenn sie das Wort „Glück“ sagen.
Was ist eigentlich Glück? Meine Definition von Glück fängt damit an, dass ich sage: Glück ist das Unerwartete. Glück ist genau das, womit ich nicht gerechnet habe. Glücklich macht mich nicht, wenn ich das kriege, was ich mir gewünscht habe – das ist ja komisches Glück. Wenn ich das kriege, was ich mir gewünscht habe, dann kommt ja nichts Neues in mein Leben. Ich habe meine Wünsche, die sage ich auch und dann werden sie mir erfüllt. Na super. Glücklich macht mich das nicht.
Glücklich macht mich, wenn ich überrascht werde, wenn ich beglückt werde, zum Beispiel: „Boah, hätt’ ich ja nie gedacht, dass ich das im Urlaub erlebe!“ oder „Diese Musik spricht mich so an, unglaublich“ oder „Dass du mit mir jetzt so lange Zeit verbracht hast, macht mich superglücklich!“ und „Dass ich diesen Ort gefunden habe, mit dem ich überhaupt gar nicht gerechnet hatte, macht mich superglücklich!“. Das ist das Glück, was ich Menschen wirklich wünsche. Und damit wünsche ich ihnen auch ein Überraschungsherz. Ich finde, es mangelt in unserer Welt an Überraschungsherzen. In einer Welt, in der alle möglichen Erwartungen an Menschen gerichtet werden und Erwartungen erfüllt werden müssen, fehlt es an einem Überraschungsherzen. Einem Herzen, das sich eben nicht überlegt: Was erwarte ich von dem anderen? Was erwarte ich vom Leben? Was erwarte ich von meiner Frau? Von den Kindern? Was erwarte ich hier und was erwarte ich da? Stattdessen frage ich mich: „Bin ich noch bereit, mich überraschen zu lassen von meiner Frau?“ Oder sage ich mir: „Die hat schon wieder nicht gekocht, was ich mir gedacht habe!“ Oder: „Die Jungs haben schon wieder nicht ihr Zimmer aufgeräumt, wie ich mir das vorgestellt habe!“ Oder: „Das Auto ist immer noch nicht aus der Werkstatt so wiedergekommen, wie ich es mir gedacht habe.“ Eine Miesepeterigkeit ohne Ende stelle ich bei vielen Menschen fest. Sie sind nicht mehr bereit, als Glücksdetektive durch die Welt zu gehen und zu sagen: „Ich möchte gerne mal entdecken, wo ich gerade beglückt werde“ – in der Straßenbahn, auf dem Bahnhof, beim Spazierengehen, durch die Sonne, durch den Frost, durch den Wind, durch den Regen … Ich lasse sehr viele Momente in meinem Leben insofern an mich heran, dass ich mich frage: Wie wollen die mich gerade beglücken? Glück ist so was wie die Erfahrung von einer Zusammengehörigkeit in einer Welt, die wir nicht in der Hand haben, so wie wir auch unser ganzes Leben nicht in der Hand haben. Und glücklich werde ich da, wo ich bereit bin, das zu bejahen. Wenn ich sagen kann: Die Welt kommt mir entgegen, und sie beschenkt mich. Sie beschenkt mich in einer Weise, dass ich wieder neu nachdenken kann über die Welt, über mich, über das Leben. Sie erneuert mich ständig.
Für mich ist einer der größten Glücksmomente, in eine Ausstellung zu gehen und mir dann eine Viertelstunde lang ein Bild anzugucken. Währenddessen überlege ich: „Wie berührt mich jetzt dieses Bild oder dieses Kunstwerk?“ Oder ich sitze in einer Oper und denke mir: „Wahnsinn, wie da zusammengespielt und -gearbeitet wird! Das macht mich jetzt wirklich glücklich in einer Weise, wie ich es gar nicht erwartet hätte.“ Manchmal erlebe ich das auch im Gebet. Ich bete dann oder bin in der Stille, in der Meditation, und dann habe ich manchmal diesen Eindruck: Ich bin jetzt ganz in Gemeinschaft mit dem, der mich geschaffen hat und mit dem ich unterwegs bin. Das ist einfach toll, und das ist Glück.
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