Matthäus 6
1Habt aber acht, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
2Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 3Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, 4auf dass dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir‘s vergelten.
5Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir‘s vergelten.
7Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9Darum sollt ihr so beten:
Mt 6,1–8Frömmigkeit 6,1Gerechtigkeit, gr. dikaiosynē, wörtl. „Rechtschaffenheit“, vgl. Anm. zu 1,19; Mt 3,15; 5,6. 10. 20; 6,33; 9,13; 21,32; 25,37. 46; vgl. auch 1Sam 16,7; Röm 2,28–29. Von ihnen gesehen zu werden, zum Konzept „Gerechtigkeit im Privaten“, vgl. bSuk 49b: Die Tora ordnet an, dass man sich im Bereich des öffentlichen und privaten Gebets sowie bei rituellen Handlungen „demütig bewegt“. Lohn, vgl. mAv 1,3 („Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn dienen, um dafür Lohn zu erhalten“). Vater im Himmel, vgl. Anm. zu 5,45. 6,2Almosen, vgl. Dtn 14,28–29; 15,11; 24,19–22; Tob 4,7; 12,8; vgl. auch bGit 11b; das Geben von Almosen wurde zu einer zunehmend bedeutsameren Praxis im hellenistischen und rabbinischen Judentum. Ausposaunen, entgegen einer christlichen Unterstellung, wurde im Judentum eine Spende nicht durch Trompeten bekanntgeben. Heuchler, ursprünglich ein gr. Begriff für „Schauspieler“, der später diejenigen bezeichnete, die öffentliche Bewunderung suchen oder trügerisch sind; Matthäus bezieht den Terminus meist auf die Pharisäer ( Mt 6,2. 5. 16; 7,5; 15,7; 22,18; 23passim; vgl. Hab 2,5; Spr 21,24; 2Makk 6,25; mAv 1,3; bSan 103a; PsSal 4,1–6.20); die Rabbinen nutzten den Begriff, um auf eine der vier Menschengruppen hinzuweisen, die sich nicht in der Herrlichkeit der göttlichen Gegenwart (hebr. schechina) sonnen werden (neben den „Heuchlern“ auch die Lügner, Spötter und Verleumder). Diese Polemik spiegelt vermutlich Rivalitäten aus der Zeit des Verfassers des MtEv wider. Synagogen, vgl. Anm. zu 4,23. 6,4Almosen verborgen bleibe[n], Maimonides, ein jüdischer Philosoph aus dem 12. Jh. u.Z., bewarb anonyme Almosen als zweithöchste seiner acht Stufen der zedaqa (übers. „Wohltätigkeit“; die höchste ist die Unterstützung eines anderen Juden durch finanzielle Mittel oder andere Arten des Beistands). Vgl. auch bSuk 49b, wo die Rabbinen erörtern, dass gemilut chasidim – übers. „Werke der liebevollen Zuwendung“ – Almosen überbieten kann. 6,5–6Vgl. Lk 18,10–14. Wenn ihr betet, traditionell werden dreimal am Tag jüdische Gebete gesprochen: Morgens, am späten Nachmittag und am frühen Abend (vgl. Dan 6,11 und Apg 3,1; 10,2–3.30; Did 8,3; mBer 4,1; tBer 3,1; bBer 26a–b). Jesus verbietet das öffentliche Gebet nicht, sondern verurteilt diejenigen, die durch ihr Verhalten beim Gebet Aufmerksamkeit erheischen wollen (vgl. Mt 23,5–7; Jes 26,20). 6,7Nicht viel plappern, bBer 55a verurteilt wortreiche Gebete. 6,8Euer Vater weiß, der jüdische Philosoph Philo deutete an, dass Gott die Gründe für ein Gebet bereits kennt, sich aber trotzdem wünscht, um Hilfe gebeten zu werden, vgl. Mos. 2,217.
Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt.
10Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
11Unser tägliches Brot[*] gib uns heute.
12Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.[*]
13Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
[Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.][*]
14Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Mt 6,9–15Das „Vaterunser“ oder „Herrengebet“ ( Lk 11,2–4) 6,9Vater im Himmel, vgl. Anm. zu 5,45. Dein Name werde geheiligt, vgl. Ps 105,3 („Rühmet seinen heiligen Namen“); das aramäische Kaddisch Gebet (aus dem hebr. qadosch, übers. „heilig“, z.B. Jes 6,3, die Quelle des Gebetes), das in talmudischer Zeit gebräuchlicher wurde (bJev 79a; bSota 49a; SifDev 32,3; MTeh 25,13), setzt ein mit „Verherrlicht und geheiligt werde Gottes großer Name“ (vgl. Lev 22,32; Jes 29,23; Ez 36,23; Ps 113,2 sowie Dtn 32,3; Joh 17; Did 8,2; 9,2–4; 1QM 11,15). 6,10Dein Wille geschehe, die Rabbinen betonen den Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen (mAv 1,11; tBer 3,7; bBer 29b; bMeg 29b; bJom 53b; 86b). Wie im Himmel, Engel haben keine eigene, unabhängige Macht (vgl. z.B. Hiob 1–2). 6,11Tägliches Brot, vermutlich die Wiedergabe einer aramäischen Vorlage, möglicherweise lechema machar, was „Brot für morgen“ oder das eschatologische Festmahl bedeutet. 6,12Schuld, Sünden wurden als „Schuld[en]“ angesehen (Dtn 15,1–2; vgl. auch BerR 85,2; 92,9; ShemR 25,6; 31,1; PesR 11,23; 51,8). Vgl. Lk 11,4, wo das Wort „Sünde“ verwendet wird. Vgl. Anm. zu 18,23–35. 6,13Versuchung, oder „Zeit der Prüfung“, vgl. 2Thess 3,3; Jak 1,13. Dem Bösen, Satan; bBer 60b überliefert Beispiele von ähnlichen Gebeten. 6,14Euch euer himmlischer Vater auch vergeben, Gott vergibt denen, die anderen vergeben ( Mt 5,21–48; 18,35; vgl. auch Sir 28,1–8).
16Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 17Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, 18damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir‘s vergelten.
Mt 6,16–18Vom Fasten Eine Form der jüdischen Frömmigkeit, die mit Trauer, Buße und Selbstzucht verbunden ist (vgl. Lev 16,31; Num 29,7–11; 2Sam 12,22–23; 1Kön 21,27–29; Jes 58,3–7; Jer 14,11–12; Joel 1,14; 2,15; Jona 3,5; Sach 8,19; Dan 9,3; Jdt 8,5; 1Makk 3,47; Jos.Bell. 3,47; tTaan 2,4). Auch Jesus hat gefastet ( Mt 4,1; vgl. auch Mt 9,14–17).
19Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. 20Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. 21Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
22Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. 23Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!
24Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
25Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 26Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? 27Wer ist aber unter euch, der seiner Länge[*] eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
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