»Königin der Engel!« sprach er stöhnend. Das war sein letztes Wort auf Erden.
Die himmlischen Heerscharen nahmen seine Seele und legten sie als eine lichte Perle zu Füßen der »Königin der Engel«.
Inhaltsverzeichnis
Herr Wolodyjowski und Sagloba standen am anderen Morgen auf den Wällen unter den Soldaten, aufmerksam auf das Lager hinblickend, von woher eine Menge Volk sich näherte.
Skrzetuski war zu einer Beratung beim Fürsten, sie benutzten einen Augenblick der Ruhe, um vom gestrigen Tage und von der jetzigen Bewegung im feindlichen Lager zu sprechen.
»Das prophezeit uns nichts Gutes,« sagte Sagloba, auf die schwarzen Massen deutend, welche wie eine Riesenwolke daherzogen. »Sie kommen gewiß, um wieder zu stürmen, und hier wollen die Hände nicht mehr dem Willen gehorchen.«
»Wo sollte denn ein Sturm stattfinden, am hellen Tage, zu dieser Zeit?« sagte der kleine Ritter. »Sie wollen nichts weiter, als unseren gestrigen Wall einnehmen, den neuen wieder unterminieren und uns dabei vom Morgen bis Abend beschießen.«
»Man könnte sie gut mit den Kanonen lichten.«
Wolodyjowski dämpfte die Stimme:
»Das Pulver ist knapp,« sagte er. »Bei diesem Verbrauch kann es, wie ich hörte, keine sechs Tage mehr reichen. Aber bis dahin kommt wohl der König.«
»Mag geschehen, was will,« sagte Sagloba. »Wenn nur unser armer Longinus glücklich durch wäre. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, mußte nur an ihn denken; so oft ich einschlummerte, sah ich ihn in Gefahr und fühlte eine solche Angst, daß ich am ganzen Körper schwitzte. Er ist der beste Mensch, den man in der Republik finden kann, selbst, wenn man dieselbe mit der Laterne drei Jahre und sechs Monate durchsuchte.«
»Warum habt Ihr ihn denn immer verspottet?«
»Weil mein Maul scheußlicher ist als mein Herz. Aber, macht mir das Herz nicht bluten mit der Erinnerung, da ich mir selbst Vorwürfe genug mache, und wenn, was Gott verhüte, ein Unglück über ihn käme, dann fände ich bis an mein Lebensende keine Ruhe.«
»So sehr braucht Ihr Euch nicht zu härmen. Er hatte nie einen Groll auf Euch, und ich hörte selbst, wie er einmal sagte: Der Mund ist faulig, aber das Herz ist golden!«
»Gott gebe dem edlen Freunde Gesundheit! Er verstand nie menschlich zu reden, aber ersetzte hundertfach diesen Mangel durch große Tugenden. Was glaubt Ihr, Herr Michael? Ob er glücklich durchgekommen ist?«
»Die Nacht war finster, und die Bauern nach der Niederlage schrecklich müde. Bei uns gab es keine guten Wachen, um so weniger bei ihnen.«
»So sei Gott die Ehre. Ich empfahl noch dem Herrn Longinus, er solle aufmerksam nach unserer Ärmsten, der Prinzessin forschen und fragen, ob man sie nicht irgendwo gesehen. Ich denke nämlich, Rzendzian muß mit ihr zu den königlichen Truppen entkommen sein. Longinus wird sich wohl nicht zur Ruhe begeben, sondern mit dem Könige hierherkommen. In diesem Falle hätten wir in kurzem Nachricht über sie.«
»Ich vertraue dem Witz dieses Burschen, daß er sie irgendwie gerettet hat. Ich könnte nie mehr fröhlich werden, wäre sie umgekommen; ich kenne sie erst kurze Zeit, aber ich glaube, hätte ich eine Schwester, sie wäre mir nicht lieber.«
»Sie ist für Euch eine Schwester, für mich eine Tochter. Von diesen Sorgen muß mir der Bart vollends bleichen, das Herz vor Kummer springen. Man braucht nur etwas liebzugewinnen – eins, zwei, drei, – fort ist es schon. – Und du sitze, sorge dich, gräme, härme dich, hänge deinen Gedanken nach; zum Überfluß hat man einen hungrigen Bauch und Löcher in der Mütze, durch welche, wie durch ein schlechtes Strohdach, Wasser auf die Glatze läuft. Die Hunde haben es jetzt in der Republik besser als die Edelleute, und uns vieren geht es von allen am schlimmsten. Es wird Zeit, sich auf den Weg in eine bessere Welt zu machen, Herr Michael, oder was meint Ihr?«
»Ich dachte schon manchmal, ob es nicht besser wäre, dem Skrzetuski alles zu sagen; mich hält nur das eine zurück, daß er selbst ihrer nicht mit einem Worte erwähnt, und geschah es, daß jemand ihren Namen nannte, da zuckte er nur zusammen, als bekäme er einen Stich ins Herz.«
»Sprecht ihm nur davon, reißt ihm die im Feuer dieses Krieges vernarbten Wunden wieder auf, während sie vielleicht schon irgend ein Tatar am Zopfe über den Perekop führt. Leuchtende Flammen stehen mir in den Augen, wenn ich daran denke. Es ist Zeit, zu sterben, es kann nicht anders sein; in der Welt ist nichts weiter als Qual. Wenn wenigstens Longinus glücklich durchgeschlichen wäre.«
»Er muß im Himmel größere Gnade finden als andere, denn er ist tugendhaft. Aber, seht einmal, Herr, was macht denn das Gesindel dort? Die Sonne blendet heute so, daß ich nichts sehe.«
»Sie durchbrechen unseren gestrigen Wall.«
»Und ich sagte es, daß es einen Sturm gibt. Gehen wir fort, Herr Michael, wir haben lange genug gestanden.«
»Sie graben nicht deshalb, um durchaus zum Sturme vorzugehen, aber sie müssen sich einen offenen Weg für den Rückzug schaffen. Dabei werden sie wohl ihre Maschinen dort hindurchbringen, in welchen ihre Schützen sitzen. Seht nur, Herr, sie graben, daß die Spaten knarren. Schon an die vierzig Schritte haben sie den Boden geebnet.«
»Jetzt sehe ich, aber es blendet heute fürchterlich.«
Sagloba bedeckte die Augen mit der Hand und sah hinüber. In diesem Augenblick stürzte sich durch die in den Wall gegrabene Lücke ein Volksstrom und breitete sich im Handumdrehen auf dem leeren Streifen zwischen den Wällen aus. Die einen fingen gleich an zu schießen, andere, indem sie mit den Spaten die Erde aufwühlten, schütteten einen neuen Wall auf, welcher als dritter Ring das polnische Lager einschließen sollte.
»Oho!« rief Wolodyjowski, »sagte ich es nicht. Sie bringen die Maschinen schon.«
»Nun, so bricht der Sturm leibhaftig los. Gehen wir fort,« sagte Sagloba.
»Nein, das sind andere Belluarden!« antwortete der kleine Ritter.
Und wirklich, die Maschinen, welche in der Öffnung erschienen, waren anders gebaut als die gewöhnlichen Höllenmaschinen. Ihre Wände bestanden aus Leitern, die mit Haspen verbunden, mit Kleidungsstücken und Fellen bedeckt waren, hinter welchen die besten Schützen von der Hälfte der Höhe bis an die Spitze derselben saßen und den Feind beunruhigten.
»Gehen wir, mögen die Hunde jene dort totbeißen!« wiederholte Sagloba.
»Wartet doch!« antwortete Wolodyjowski.
Und er fing an, die Maschinen der Reihe nach zu zählen, wie immer eine nach der anderen in der Öffnung erschien.
»Eins, zwei, drei ... man sieht, sie haben keinen geringen Vorrat ... vier, fünf, sechs – sie kommen immer höher ... sieben, acht ... jeden Hund auf unserem Schloßhofe müssen sie aus diesen Maschinen niederschießen, ihre auserlesensten Schützen müssen sich darin befinden – neun, zehn – man sieht jede ganz deutlich, denn die Sonne bescheint sie – elf ...«
Plötzlich unterbrach Herr Michael das Zählen.
»Was ist das?« fragte er verwunderten Tones.
»Wo?«
»Dort auf der höchsten hängt ein Mensch ...«
Sagloba strengte sein Auge an. In der Tat, auf der höchsten Maschine beleuchtete die Sonne einen nackten Menschenkörper, der sich an einem Strick hin und her bewegte, den Bewegungen der Belluarde folgend, wie ein riesengroßer Fächer.
»Es ist wahr,« sagte Sagloba.
Plötzlich erbleichte Wolodyjowski; er war weiß wie ein Stück Leinwand.
»Allmächtiger Gott! – Das ist Longinus!« – schrie er mit entsetzter Stimme.
Auf dem Walle entstand ein Geflüster, wie wenn der Wind durch die Blätter der Bäume fährt. Sagloba neigte den Kopf vornüber, bedeckte die Augen mit den Handtellern und flüsterte mit den bläulichen Lippen stöhnend:
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