Bei diesem Gedanken ward es Vinicius schwarz vor Augen und Schweißtropfen bedeckten seine Stirn. In dem Falle war Lygia auf immer für ihn verloren. Jedem andern hätte er sie entreißen können, dem Kaiser aber nicht! Jetzt konnte er mit größerem Recht als zuvor ausrufen: weh mir Unglücklichen!
Bei dem Gedanken, daß jetzt Nero die Geliebte besitzen könnte, ergriff ihn ein solcher Schmerz, daß er sich fast dem Wahnsinn nahe fühlte. Er wußte, er würde wahnsinnig werden, wenn ihm nicht eine Hoffnung bliebe – die Rache. Dieser Gedanke verschaffte ihm etwas Erleichterung. Wie Cajus Chaerea den Caligula getötet hatte, so würde er Nero töten. Nach einer Weile nahm er Erde aus den Blumenvasen, die das Impluvium umgaben, und schwur den furchtbaren Eid, daß er seine Rache ausführen werde.
Er hatte einen Trost. Er hatte wenigstens etwas, wofür er leben, womit er sich Tag und Nacht beschäftigen konnte. Nachdem er den Vorsatz, sich zu Aulus zu begeben, fallen gelassen hatte, ließ er sich auf den Palatinus tragen. Zuweilen durchfuhr es ihn wie ein Hoffnungsstrahl, daß er vielleicht Lygia im Palast treffen werde, und bei diesem Gedanken zitterte er förmlich. Er hatte zunächst keine Waffe mit sich genommen, da ihn heute die Wachen möglicherweise untersuchen könnten; er wollte zunächst mit Akte sprechen, da er von ihr Aufklärung über alles hoffte.
Vor dem Torbogen nahm er seine ganze Geistesgegenwart zusammen, denn er sagte sich beim Anblick der prätorianischen Leibwache, daß es ein Beweis sei für Lygias Anwesenheit im Palast, wenn man ihm die mindesten Schwierigkeiten beim Eintritt bereite. Doch der erste Centurio lächelte ihm freundlich entgegen und sagte, einige Schritte vortretend: »Sei gegrüßt, edler Tribun! Wenn Du dem Kaiser deine Ehrerbietung bezeigen willst, dann hast du einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, und ich weiß nicht, ob du ihn wirst sehen können.«
»Was ist geschehen?« fragte Vinicius.
»Die göttliche kleine Augusta ist seit gestern erkrankt. Der Kaiser und die Augusta Poppäa sind bei ihr mit den Ärzten, die aus der ganzen Stadt zusammengerufen wurden.«
Dies war ein wichtiges Ereignis. Als dem Kaiser diese Tochter geboren wurde, war er beinahe wahnsinnig vor Entzücken, mit übermenschlicher Freude nahm er sie auf. Nero, der in nichts maßzuhalten verstand, liebte das Kind grenzenlos, und der Poppäa war es um so teurer, als es ihre Stellung befestigte und ihr einen unumschränkten Einfluß verschaffte.
Von der Gesundheit und dem Leben der kleinen Augusta konnte das Schicksal des ganzen Reiches abhängen, doch Vinicius war so völlig mit sich selbst beschäftigt, daß er der Nachricht des Centurio kaum Aufmerksamkeit schenkte und nur sagte: »Ich möchte Akte sehen.« Damit ging er vorüber.
Doch Akte war gleichfalls um das Kind beschäftigt und er mußte lange auf sie warten. Erst gegen Mittag erschien sie mit müdem, bleichem Antlitz, das beim Anblick des Vinicius noch mehr erblaßte.
»Akte,« rief er, ihre Hand ergreifend und sie in die Mitte des Atriums ziehend, »wo ist Lygia?«
»Eben das wollte ich dich fragen,« versetzte sie mit einem vorwurfsvollen Blicke.
Vinicius hatte sich vorgenommen, Akte ruhig auszuforschen, jetzt aber preßte er nur die Schläfen zwischen die Hände und rief, das Antlitz von Schmerz und Wut verzerrt: »Sie ist fort. Dann hat man sie mir auf dem Wege zu mir geraubt. Akte… wenn dir das Leben lieb ist, wenn du nicht die Ursache eines Unglücks sein willst, dessen Furchtbarkeit du dir nicht einmal vorstellen kannst, so sage die Wahrheit: Hat der Kaiser sie entfuhrt?«
»Der Kaiser hat gestern den Palast nicht verlassen. Seit gestern ist die kleine Augusta krank, und Nero hat ihre Wiege noch nicht verlassen.«
Vinicius atmete auf. Das, was ihm als das Schrecklichste erschienen war, bewahrheitete sich also nicht.
»Dann«, sagte er, sich auf eine Bank niederlassend und die Fäuste ballend, »hat sich ihrer Aulus und Pomponia bemächtigt! Dann wehe ihnen!«
»Aulus Plautius war heute morgen hier. Er konnte jedoch mit mir nicht sprechen, weil ich bei dem Kinde beschäftigt war, aber er fragte Epaphrodit und andre kaiserliche Diener nach Lygia und wollte wiederkommen, um mit mir zu sprechen.«
»Er wollte damit nur den Verdacht von sich ablenken. Wenn er nicht gewußt hätte, was mit Lygia geschah, so hätte er sie zuerst bei mir gesucht.«
»Er ließ für mich einige Worte auf einem Täfelchen zurück, aus dem du entnehmen kannst, daß er erst hier erfuhr, was sich ereignet hatte.«
So sprechend, holte sie aus dem Cubiculum das Täfelchen, das Aulus zurückgelassen hatte.
Vinicius verstummte, als er gelesen, und Akte, die eine Zeitlang in seinen düstern Zügen zu lesen schien, sagte endlich: »Nein, Markus. Es geschah nur, was Lygia selbst gewollt hatte.«
»Du wußtest, daß sie fliehen wollte?« flammte Vinicius auf.
Sie sah ihn mit ihren trüben Augen an, strenge beinahe. »Ich wußte, daß sie nicht deine Geliebte werden wollte.«
Vinicius entrüstete sich aufs neue. Der Kaiser habe ihm Lygia geschenkt, und er würde sie finden, selbst wenn sie sich unter der Erde verberge. Ja, sie sollte seine Geliebte werden, und er wolle sie peitschen lassen, so oft es ihm gefiel. Und wenn er ihrer überdrüssig sei, dann würde er sie dem letzten seiner Sklaven schenken.
Akte sah, daß der junge Mann außer sich war vor Zorn und Qual. Sie hätte vielleicht Mitleid mit ihm gehabt, aber ihre Geduld war erschöpft, so daß sie schließlich Vinicius fragte, weshalb er denn zu ihr gekommen sei?
Vinicius fand nicht gleich eine Antwort. Er sei gekommen, sagte er nach einer kurzen Pause, um mit ihr zu sprechen, weil er geglaubt habe, er könne etwas von ihr erfahren, eigentlich sei er aber zum Kaiser gekommen und habe sie aufgesucht, weil er von diesem nicht vorgelassen worden sei. Durch ihre Flucht habe sich Lygia dem Willen des Kaisers widersetzt, deshalb wolle er diesen anflehen, den Befehl zu erteilen, in der ganzen Stadt und im ganzen Lande nach ihr zu suchen.
Darauf erwiderte Akte: »Hüte dich, Markus, damit du sie nicht für immer verlierst, wenn der Kaiser nach ihr forschen läßt!«
Vinicius runzelte die Brauen, »Was soll das heißen?« fragte er.
»Höre mich, Markus! Gestern war ich mit Lygia in den Palastgärten, wo wir Poppäa begegneten, und mit ihr die Mohrin Lilith, die kleine Augusta auf den Armen. Abends erkrankte das Kind, und Lilith behauptet nun, daß es behext worden sei, und zwar von der Fremden, der sie im Garten begegnet. Wird das Kind gesund, so vergißt man die Sache, im entgegengesetzten Falle aber wird Poppäa die erste sein, die Lygia der Zauberei anklagt, und es gibt dann keine Rettung mehr für sie, wenn man sie findet.«
Eine kurze Pause folgte, dann sagte Vinicius: »Vielleicht hat sie das Kind verzaubert – auch mich hat sie verzaubert!«
Akte betrachtete ihn mehrere Augenblicke hindurch zögernd, als wolle sie ihn prüfen, dann sagte sie: »O, du Jähzorniger und Verblendeter, sie hat dich geliebt!«
Vinicius sprang bei diesen Worten wie wahnsinnig auf. »Das ist nicht wahr, sie haßt mich!«
Woher sollte dies Akte wissen? Sollte ihr Lygia schon am ersten Tage der Bekanntschaft ein Geständnis abgelegt haben? Und was sei das nur für Liebe, wenn Lygia es vorziehe, von Schmach und Armut bedrängt, umherzuirren, wenn sie ein unsicheres Los, sogar den Tod im Elend dem bekränzten, festlich geschmückten Hause, in dem der Geliebte ihrer harrte, vorziehe? Nein, sie hasse ihn, sie habe ihn immer gehaßt und werde auch mit diesem Hasse im Herzen sterben.
Aber Akte, die schüchtern und sanft zugleich war, fragte jetzt ganz entrüstet, auf welche Weise er denn Lygia zu gewinnen versucht habe? Anstatt bei Aulus und Pomponia um Lygia anzuhalten, habe er den Eltern das Kind durch List genommen. Er habe sie in dieses Haus des Verbrechens, der Schande geführt, er habe ihre unschuldigen Augen mit dem Anblick eines ehrlosen Gastmahls verletzt. Er habe wohl vergessen, wer Aulus und Pomponia seien, die Lygia aufgezogen haben. Nein! Lygia habe ihr kein Geständnis abgelegt, aber ihr gesagt, daß sie von ihm, von Vinicius, Rettung erwarte, daß sie hoffe, er erwirke ihr vom Kaiser die Erlaubnis, zu Pomponia zurückzukehren. Und während Lygia davon gesprochen habe, sei sie errötet wie ein Mädchen, das liebt und hofft. Lygias Herz schlage für ihn, aber er habe sie geängstigt, beleidigt, empört, und jetzt möge er sie durch die Söldlinge des Kaisers suchen lassen, dabei aber nicht außer acht lassen, daß, falls das Kind stürbe, Lygias Verderben unvermeidlich sei.
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