Sie wurde mit lebhaften Zurufen als »göttliche Augusta« begrüßt.
Lygia hatte noch niemals in ihrem Leben eine solche Schönheit gesehen, und kaum traute sie ihren Augen. Nur zu wohl wußte sie, daß Poppäa Sabina eines der verworfensten Weiber der Welt war. Sie wußte von Pomponia, daß sie es war, die den Kaiser zur Ermordung der Mutter und Gattin bewogen hatte. Und doch dünkte es ihr beim Anblick dieser berüchtigten Frau, in der die Anhänger Christi die Verkörperung alles Bösen und Sündhaften sahen, als ob die Engel und himmlischen Geister nicht anders aussehen könnten. Unwillkürlich entrang sich ihren Lippen die Frage: »Ach, Markus, kann dies möglich sein?«
Aber er, bereits etwas berauscht und zudem ungeduldig, weil so viele Dinge ihre Aufmerksamkeit von ihm und seiner Unterhaltung abwendeten, sagte: »Ja, sie ist schön, aber du bist hundertmal schöner! Schau nicht mehr hin. Wende den Blick zu mir! Berühre diesen Becher mit deinen Lippen, dann presse ich auf dieselbe Stelle die meinen.«
Er rückte ihr näher, sie aber zog sich gegen Akte zurück. Doch in diesem Augenblick gebot man Stille, denn der Kaiser war aufgestanden. Der Sänger Diodor reichte ihm eine Laute, Delta genannt, während Terpnos, der den Gesang des Kaisers mit seinem Spiele begleiten sollte, sich ihm mit seinem Instrument näherte. Nero stützte seine Laute auf den Tisch und richtete seine Blicke in die Höhe. Lautlose Stille herrschte im Triklinium, nur das Geräusch der von der Decke fallenden Rosen war von Zeit zu Zeit hörbar.
Nun fing er an zu singen, oder vielmehr er trug in einem sangesähnlichen rhythmischen Tone seinen Hymnus an die Liebesgöttin vor, unter Begleitung zweier Lauten, weder die Stimme, obwohl sie etwas verschleiert klang, noch die Verse waren schlecht, und der armen Lygia erschien der Hymnus, trotzdem er an eine unreine, heidnische Göttin gerichtet war, sogar sehr schön, weshalb ihr auch der Kaiser viel weniger abstoßend vorkam wie zu Beginn des Festes.
Kaum hatte er geendet, brachen die Gäste in einen wahren Beifallssturm aus. Der Ruf: »O welche Götterstimme!« erscholl ringsum; einige Frauen hatten die Hände erhoben und behielten diese Stellung zum Zeichen ihrer Verzückung auch nach Beendigung des Gesanges bei; andre fuhren sich mit der Hand über die tränenfeuchten Augen; im ganzen Saale herrschte ein Summen wie im Bienenkorb. Poppäa aber hatte das goldig schimmernde Haupt geneigt und Neros Hand an ihre Lippen gezogen, worauf sie seine Finger lange schweigend in den ihren hielt.
Nero richtete seine Blicke jedoch begierig auf Petronius, um dessen Lobsprüche es ihm am meisten zu tun war, und dieser sprach: »Was die Musik betrifft, so muß Orpheus jetzt gerade so gelb vor Neid sein wie unser Lukanus hier, und was die Verse anbelangt, so bedauere ich nur, daß sie nicht schlechter sind, weil ich dann doch vielleicht passende Worte zu ihrem Preise fände.«
Da Petronius ein erstaunliches Gedächtnis besaß, so wiederholte er einige Absätze des Hymnus und hob die schönsten Wendungen hervor, während Lukanus, der wegen des Hinweises auf seine Eifersucht gar nicht zürnte, sein Schicksal beklagte, das ihn neben einen so großen Dichter gestellt hatte. Auf Neros Antlitz spiegelte sich stille Wonne und bodenlose Eitelkeit, die nicht nur an Dummheit grenzte, sondern ihr schon ganz ähnlich war. Er fing nun selbst an, die Verse hervorzuheben, die ihm als die schönsten erschienen, und tröstete schließlich sogar Lukanus; er sprach ihm Mut zu und sagte, daß jeder nur das sei, als was er geboren werde.
Darauf erhob er sich, um Poppäa hinauszugeleiten, die sich in der Tat unwohl fühlte und sich zurückzuziehen wünschte. Er befahl den Festteilnehmern, Platz zu behalten, seine Rückkehr ankündend. Wirklich erschien er auch bald wieder, um sich an dem ihm gestreuten Weihrauch zu berauschen umd sich an den weiteren Festvorstellungen zu ergötzen, die von ihm, von Petronius oder von Tigellinus zur Verherrlichung des Festes vorbereitet waren.
Von der Decke fielen fortwährend Rosen herab, und der halb trunkene Vinicius sprach zu Lygia: »Ich sah dich im Hause des Aulus an der Fontäne, und ich liebte dich. Götter und Menschen suchen Liebe! Birg dein Haupt an meiner Brust und drücke die Augen zu!«
Lygia erschrak, sie glaubte in einen Abgrund zu versinken, Vinicius, von dem sie Rettung erhofft hatte, er selber war es, der sie in diesen Abgrund zog. Eine unendliche Bangigkeit ergriff sie, und wenn es ihr auch war, als flüstere ihr Pomponias Stimme zu, sie solle sich retten und fliehen, so sah sie sich doch vergebens nach einer Möglichkeit um, von hier zu entfliehen. Sie wußte, daß unter Androhung kaiserlicher Ungnade niemand sich erheben durfte, ehe der Kaiser vom Tisch aufstand, aber wenn auch dem nicht so gewesen wäre, so hätte sie nicht mehr die Kraft dazu besessen.
Das Gastmahl war indessen noch lange nicht beendet, Sklaven trugen immer neue Gerichte auf und füllten unermüdlich die Becher, und vor dem in Hufeisenform aufgestellten Tisch erschienen zwei Athleten, um vor den Gästen einen Ringkampf aufzuführen.
Gleich begann der Ringkampf. Die muskulösen, von Öl glänzenden Gestalten der Ringenden schienen beim Ringkampf einen einzigen Klumpen zu bilden; die Glieder knackten unter der eisernen Umarmung, aus den zusammengepreßten Kinnladen drang ein unheilverkündendes Knirschen. Mit Kennerblick und voll Entzücken folgten die Augen der Römer dem Spiele der schauerlich angespannten Rücken-, Waden-und Armsehnen. Doch der Kampf währte nicht lange, denn Kroton, der Meister und Vorsteher der Gladiatorenschule, galt nicht umsonst für den stärksten Mann im ganzen Reiche, sein Gegner begann immer rascher zu atmen, dann röchelte er, das Gesicht nahm eine bläuliche Farbe an; er warf Blut aus und sank wie leblos zu Boden.
Ein Beifallssturm belohnte das Ende des Kampfspiels, und Kroton stützte den Fuß auf den Rücken des gefallenen Gegners, kreuzte die mächtigen Arme über der Brust und ließ den triumphierenden Blick im Saale umherschweifen. Nach ihm traten Tier-und Tierstimmen-Nachahmer auf, Gaukler und Possenreißer, die aber nur wenig Beachtung fanden, denn der Wein begann den Blick der Zuschauer zu trüben. Das Gastmahl artete allmählich in ein wüstes Trinkgelage, in eine wahre Orgie aus.
Petronius war noch nüchtern. Nero jedoch, der anfangs aus Rücksicht auf seine »Götterstimme« nur wenig getrunken hatte, leerte schließlich Becher auf Becher und berauschte sich ganz und gar. Umsonst versuchte er nochmals einige Strophen aus seiner Dichtung vorzutragen, aber er hatte alles vergessen. Auch die ihn begleitenden Musiker fanden keinen Takt mehr, und allmählich waren alle am Tische, Männer und Frauen, schwer berauscht.
Vinicius war nicht minder betrunken als die andern. Zu der aufflammenden Begierde gesellte sich die Händelsucht, wie immer, wenn er das Maß überschritt, sein bräunliches Antlitz war bleich und seine Zunge unsicher, als er in lautem, befehlendem Tone sagte: »Reiche mir deine Lippen zum Kusse! Heute oder morgen, das ist gleich! Der Kaiser nahm dich dem Aulus, um dich mir zu schenken, verstehst du? Morgen in der Dämmerstünde sende ich um dich, verstehst du?… Reiche mir deine Lippen! … Du mußt mein sein!«
Er umschlang sie mit seinen Armen, aber Akte schützte sie, und auch Lygia verteidigt sich mit dem Rest ihrer Kräfte. Doch umsonst mühte sie sich, mit ihren Händen seine Arme von sich fernzuhalten. Sein nach Wein riechender Atem fauchte sie an, und sein Gesicht kam dem ihren schon ganz nahe. Sie fühlte sich verloren, doch in diesem Augenblick wurden die Arme des Vinicius von des Mädchens Nacken mit einer Leichtigkeit losgelöst, als ob es die Arme eines Kindes wären, er selbst aber wurde zur Seite geschoben wie ein dürres Zweiglein oder ein welkes Blatt. Vinicius rieb sich die erstaunten Augen, schaute empor und sah die Riesengestalt des Lygiers Ursus vor sich stehen, der ihm vom Hause des Aulus her bekannt war. Der Lygier stand ruhig und sah mit seinen blauen Augen Vinicius so sonderbar an, daß dem jungen Manne das Blut in den Adern stockte. Dann nahm der Sklave sein Königskind auf den Arm und verließ mit gleichen, ruhigen Schritten das Triklinium. Akte folgte gleich nach.
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