Obwohl seine Worte eigentlich nur Ausflüchte waren, klangen sie doch warm und überzeugend, denn sie entsprangen einem echten, innigen Gefühl. Aufrichtiges Mitleid erfüllte ihn, und als sie ihm dankte, als sie ihm versicherte, Pomponia werde ihm ewig zugetan bleiben für seine Güte, sie selbst aber werde sich ihm ihr ganzes Leben verpflichtet fühlen, da übermannte ihn die Rührung, und er fühlte, daß sie ihm unendlich teuer war.
Ringsum wurde der Lärm immer größer. Er aber rückte immer näher an sie heran und flüsterte ihr gute, süße, aus der Tiefe seiner Seele kommende Worte ins Ohr, wohllautend wie Musik und berauschend wie Wein.
Und er berauschte sie. Inmitten dieser fremden Menschen schenkte sie seinen Worten immer mehr Glauben, erschien er ihr immer liebenswürdiger, dünkte ihr seine Ergebenheit mehr und mehr vertrauenerweckend. Er hatte sie zu beruhigen gesucht, er hatte ihr versprochen, sie aus dem Palast zu befreien, sie nicht zu verlassen, sein Leben für sie einzusetzen. Im Hause des Aulus hatte er ihr zwar schon von der Liebe gesprochen, von dem Glück, das sie zu geben vermöge, jetzt aber sagte er ihr rückhaltlos, daß er sie liebe, daß sie ihm die Liebste und Teuerste sei. Zum ersten Male hörte Lygia solche Worte aus dem Munde eines Mannes, und während sie lauschte, war es ihr, als ob sie aus einem Traum erwache, als ob ihr ein Glück zuteil werde, das unermeßliche Wonne, aber auch unermeßliches Leid in sich berge. Ihre Wangen glühten, ihr Herz pochte ängstlich und ihre Lippen öffneten sich verwundert. sie erschrak, als sie solche Dinge hörte, und doch hätte sie um nichts in der Welt ein Wort dabei verlieren mögen.
Es war in Rom üblich, bei den Festgelagen zu liegen, doch in ihrem bisherigen Heim hatte Lygia den Platz zwischen Pomponia und dem kleinen Plautius. Jetzt aber lagerte neben ihr der junge, starke und von Liebe entbrannte Vinicius; sie fühlte dessen Glut und empfand ein schamhaftes Wonnegefühl. Eine Ohnmacht, Mattigkeit und Selbstvergessenheit kam über sie, sie war im Traum.
Aber auch ihre Nähe wirkte mehr und mehr auf Vinicius ein. Todesblässe überzog sein Antlitz, seine Gedanken begannen sich zu verwirren; durch seine Adern floß Feuer, das er vergeblich mit Wein zu löschen suchte. Schließlich faßte er ihren Arm über dem Handgelenk, wie er dies schon einmal im Hause des Aulus getan hatte, und er flüsterte, sie zu sich ziehend, mit bebenden Lippen: »Ich liebe dich, Callina … du meine Göttin!« »Lasse mich los, Markus!« sagte Lygia.
Er aber sagte weiter mit leidenschaftlich erregtem Blick: »Meine Göttliche! Liebe mich!«
Doch in diesem Augenblick machte sich die Stimme Aktes vernehmlich, die an Lygias anderer Seite ruhte: »Der Kaiser sieht auf euch.«
Ein jäher Zorn über den Kaiser wie über Akte erfaßte den Jüngling. Aktes Worte hatten den Zauber gebrochen. Selbst die Stimme des Freundes hätte in diesem Augenblick den Groll des jungen Mannes erregt, bei Akte setzte er jedoch auch noch voraus, sie wolle ihn in seinem Gespräch mit Lygia stören.
Aber er blickte doch beunruhigt nach der Seite, wo der Kaiser saß, und auch Lygia, die Nero während ihres Gesprächs mit Vinicius nicht beachtet hatte, wendete ihm nun auch ihre erschrockenen Augen zu. Akte hatte sich nicht getäuscht. Der Kaiser neigte sich nach vorne über den Tisch, drückte ein Auge zu und beobachtete sie durch seinen runden geschliffenen Smaragd, dessen er sich immer bediente. Während eines Moments begegnete sein Blick dem Lygias, und das Herz des jungen Mädchens krampfte sich entsetzt zusammen. Wie ein erschrockenes Kind haschte sie nach des Vinicius Hand, und wirre Gedanken kreuzten sich in ihrem Hirn.
Also das war er? Der Schreckliche, der Allmächtige? Sie hatte ihn bisher nie gesehen und sich ihn anders vorgestellt. Ein furchtbares Antlitz mit grausamen, starren Zügen war ihr vorgeschwebt, und was erblickte sie nun? Einen ungewöhnlich großen, auf einem Stiernacken sitzenden Kopf, der eher lächerlich wirkte als schrecklich, weil er von fern dem Kopf eines Kindes ähnelte. Die amethystfarbige Tunika, die den gewöhnlichen Sterblichen zu tragen verboten war, warf einen bläulichen Abglanz auf sein breites, kurzes Gesicht. Das dunkle Haar trug er kurz, in vier Lockenreihen geordnet. Seinen Bart hatte er vor kurzem dem Jupiter geopfert, wofür ihm ganz Rom Danksagungen darbrachte, obwohl man sich im geheimen zuflüsterte, dies sei nur geschehen, weil sein Bart, wie bei allen Familienmitgliedern, feuerrot zu werden drohte. Auf der über den Augen kräftig hervortretenden Stirn lag aber doch etwas Übermenschliches. Die zusammengezogenen Brauen verkündeten das Bewußtsein von Allmacht; doch unter der Halbgottstirn lag ein Gesicht, das eher einem Affen glich und an einen Komödianten, einen Trunkenbold erinnerte. Trotz der Jugend war das Gesicht von wechselnden Begierden durchwühlt, schon fett und sah kränklich und verfallen aus. Lygia erschien es unheilverkündend, aber vor allem höchst widerwärtig.
Nach einer Weile legte er den Smaragd hin, und Lygia konnte seine hervorstehenden blauen Augen sehen, die unter dem strahlenden Glanze des Lichtmeers beständig blinzelten und einen gläsernen, gedankenlosen Ausdruck hatten, wie die Augen eines Toten.
Zu Petronius gewendet, sagte er in diesem Augenblick: »Ist das jene Geisel, in die Vinicius verliebt ist?«
»Sie ist es,« versetzte Petronius. »Vinicius findet sie hübsch?«
»Hülle einen morschen Stamm eines Ölbaumes in das Gewand eines Weibes, und Vinicius wird ihn schön finden. Doch auf deinen Zügen, du unvergleichlicher Kenner, lese ich schon dein Urteil über sie. Bemühe dich nicht, es auszusprechen! Ganz richtig, sie ist viel zu mager und armselig, der reine Mohnkopf auf schlankem Stengel! Ich habe schon viel von dir gelernt, aber den sicheren Blick wie du besitze ich noch nicht!«
Die Lustbarkeit bei dem Festgelage steigerte sich mehr und mehr. Eine Schar von Sklaven trug fortwährend neue Gerichte auf; aus den großen, efeuumkränzten und schneegefüllten Gefäßen wurden alle Augenblicke kleinere Behälter ausgehoben, welche die verschiedensten Weingattungen enthielten. Es wurde übermäßig viel getrunken. Langsam fielen von der Decke Rosen auf die Tafel und die Gäste.
Petronius bat jetzt Nero, das Fest durch seinen Gesang zu verherrlichen, ehe sich die Gäste vollends betrunken hätten. Ein Chor von Stimmen unterstützte seine Worte, aber Nero weigerte sich. Nicht nur seine Befangenheit verbiete ihm, dem allgemeinen Wunsche zu willfahren, erklärte er, sondern noch ein anderer Grund. Zwar koste es ihn immer eine große Überwindung, öffentlich aufzutreten, und er tue dies überhaupt nur, weil er diese Göttergabe, seine Stimme, mit der ihn Apollo beglückt habe, nicht verkümmern lassen dürfe. Er begreife sogar, daß er in dieser Beziehung gegen das Reich Verpflichtungen habe. Jetzt sei er aber tatsächlich heiser, so daß er sich mit dem Gedanken trage, nach Antium zu reisen, um wieder einmal Seeluft zu atmen.
Aber der Dichter Lukanus beschwor ihn nun, im Namen der Kunst und der Menschheit nachzugeben. Erst durch seinen Gesang stemple er das Fest zu einem wirklichen Fest. Ein so guter Herrscher wie Nero dürfe seine Untertanen nicht um eine solche Freude bringen. »Sei nicht grausam, Cäsar!« schloß Lukanus seine Rede.
»Sei nicht grausam, Cäsar!« wiederholten alle, die in der Nähe saßen.
Nero breitete die Hände aus, zum Zeichen, daß er nachgeben müsse, und aller Augen wendeten sich mit dem Ausdruck des Dankes auf ihn. Doch er ließ noch vorher Poppäa benachrichtigen, daß er singen werde; sie hatte sich zwar, wie er erzählte, eines Unwohlseins wegen vom Mahl fern gehalten, aber da ihr keinerlei Arznei je so helfe wie sein Gesang, wolle er ihr die Gelegenheit zugute kommen lassen.
Poppäa erschien unverzüglich. Obwohl sie Nero noch völlig beherrschte, wußte sie doch, daß es gefährlich war, ihn zu reizen, wenn seine Eitelkeit als Sänger, Wagenlenker oder Dichter ins Spiel kam. Schön wie eine Göttin trat sie alsbald ein; sie war wie Nero in ein amethystfarbiges Gewand gehüllt, trug ein prächtiges Perlenhalsband und sah mit ihrem Goldhaar und dem sanften Blick noch völlig mädchenhaft aus.
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