MAIN |
1. MZPMitte Februar –Anfang März 2017 in Kurmancî und Deutsch |
2. MZPEnde Mai – Anfang Juni 2017 in Kurmancî und Deutsch |
3. MZPEnde August – Anfang September 2017 in Kurmancî und Deutsch |
LiSe-DaZ |
1. MZPAnfang April 2017 in Deutsch |
2. MZPAnfang September 2017 in Deutsch |
HAVAS 5 & Lexikonabfrage |
Mitte Juni 2017 in weiteren Sprachen |
Abbildung 2:
Zeitraum der eingesetzten Instrumente
Beim ersten MZP hat Azad die MAIN-Geschichten nicht erzählt. Mit der Erhebung seiner sprachlichen Daten wurde daher im April mit LiSe-DaZ begonnen. Als die anderen Kinder Ende Mai – Anfang Juni ihren zweiten MZP mit MAIN hatten, war für ihn der erste MZP mit diesem Instrument. Entsprechend war sein dritter MZP mit MAIN nicht im September, sondern drei Monate später im Dezember zu Ende. Die sprachlichen Erhebungen haben bei Azad innerhalb von acht Monaten und bei den anderen Kindern innerhalb von sieben Monaten stattgefunden (für diese Besonderheit bei Azad siehe seine Falldarstellung im Abschnitt 6.3).
4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch
4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî
4.1.1 Überblick
Beim Kurmancî handelt es sich um diejenige Varietät des Kurdischen, die von den meisten Kurd*innen gesprochen wird (vgl. Thackston 2006: VII, Turgut 2011: 14). Es wird angenommen, dass kurdische Varietäten weltweit insgesamt von 20 bis 30 Millionen Menschen gesprochen werden (vgl. Haig/Öpengin 2018: 157). Bulut schätzt, dass 65% davon die Kurmancî-Varietät sprechen (vgl. Bulut 2018: XX), also 13 bis 20 Millionen Menschen. Auch Thackston gibt eine vergleichbare Zahl der Kurmancîsprecher*innen an, nämlich 15 bis 17 Millionen (vgl. Thackston 2006: VII).
Das Kurdische stellt nicht eine Sprache, sondern einen Sammelbegriff für verschiedene Varietäten dar (vgl. Chyet 2019: 104, Grond 2018: 45, van Bruinessen 1989: 37). Welche Varietäten zum Kurdischen gehören und ob es sich bei diesen um Sprachen oder um ein Varietätenkontinuum handelt, ist in der Kurdologie und in der Iranistik Gegenstand von Diskussionen (vgl. Haig/Öpengin 2018, Matras 2017), auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Der folgenden Karte kann indes ungefähr entnommen werden, wo welche Varietäten gesprochen werden.
Abbildung 3:
Landkarte zu den kurdischen Varietäten (Haig/Öpengin 2018: 159)
Aus der Landkarte geht hervor, dass Kurmancî hauptsächlich in der Südost-Türkei, im Nordirak und im nordwestlichen Teil des Irans gesprochen wird. Es ist außerdem in einem kleinen Gebiet Nordostsyriens sowie Westarmeniens beheimatet. Zur Landkarte ist allerdings anzumerken, dass sie einige Regionen nicht oder nicht adäquat berücksichtigt, in denen ebenfalls Kurmancî gesprochen wird. Dazu gehören vor allem Gebiete in Zentralanatolien sowie in Nordsyrien um die Ortschaften Afrin, Kobanî und Hasaka (Hesîçe) (vgl. Havrest 1998: 73, Hajo 1982: 1, Strohmeier/Yalçin-Heckmann 2000: 29). Daher ist festzuhalten, dass Syrien neben der Türkei, dem Irak und Iran über eine beachtliche Anzahl an Kurmancîsprecher*innen verfügt, wenn auch diesbezüglich derzeit wie in den anderen Staaten keine genauen Angaben vorliegen. Es ist ebenso bekannt, dass in den großen Städten dieser Staaten, vor allem in Istanbul und Aleppo, große kurmancîsprachige Gemeinschaften leben.
Auch innerhalb des Kurmancî gibt es zahlreiche Varietäten. Inzwischen befassen sich einige Studien mit den lexikalischen und vor allem mit den grammatischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Varietäten (vgl. Haig/Bulut 2017, Haig/Öpengin 2018, MacKenzie 1961). An der Universität Manchester wurde auch eine Varietätendatenbank angelegt, die aus verschiedenen kurmancîsprachigen Regionen Sprachproben mit Transkriptionen sowie grammatischen und lexikalischen Analysen zur Verfügung stellt. Diese Möglichkeiten bietet die Datenbank im Übrigen auch für andere Varietäten des Kurdischen an.1
Neben der Beschreibung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Varietäten gibt es auch Bemühungen, diese in Gruppen einzuteilen. Haig/Öpengin (2018) unterteilen die Varietäten in drei Gruppen und zeichnen sie in der Landkarte folgendermaßen auf.
Abbildung 4:
Die geografische Verbreitung der Varietäten des Kurmancî2 (Haig/Öpengin 2018: 193)
Auch eine Standardvariante des Kurmancî gibt es, die sich maßgeblich auf das Süd-Kurmancî stützt, jedoch auch Elemente der anderen Varietäten zum Teil integriert (vgl. Haig/Öpengin 2018: 164). Die Standardisierung des Kurmancî erfolgte durch seine Verschriftlichung ab dem Jahr 1932 in der Zeitschrift „Hawar“, die maßgeblich ein Werk von Celadet Bedir Khan war (vgl. Grond 2018: 47). Das Standard-Kurmancî repräsentiert auf dem aktuellen Stand in erster Linie die Schrift- und Mediensprache sowie die Bildungssprache, sofern in Kurmancî Bildung angeboten wird. Der wesentliche Aspekt ist hier, dass der Varietät die nötige Institutionalisierung gefehlt hat, – beispielsweise allgemeinbildende Schulsysteme –, um sich etablieren zu können.
Mit anderen Worten: Aus dem Kurmancî ist keine Hochsprache für alle Kurmancîsprecher*innen hervorgegangen, die von allen erworben wird (vgl. Grond 2018, Maas 2014 für die Begrifflichkeit der Hochsprache). Daher ist dieser Standard nicht allen Kurmancîsprecher*innen vertraut und wird selten gesprochen. Zu diesem Punkt wird in Bezug auf die Darstellung des Forschungsfeldes der Kita und im Weiteren im Hinblick auf die Kompetenz der Kurmancî-Erzieher*innen noch einiges auszuführen sein.
Hier kann aber ergänzt werden, dass die Beschreibung der grammatischen Merkmale des Kurmancî im Abschnitt 4.1.4 weitgehend ausgehend von diesem Standard erfolgt. Des Weiteren wird er bei der Erläuterung der sprachlichen Daten von Studienkindern als Orientierung dienen. Da aber dieser Standard – wie dargestellt – den Sprecher*innen kaum verfügbar ist, wird er für die Analyse der sprachlichen Daten nicht als Norm gesetzt.
4.1.2 Soziolinguistische Rahmenbedingungen des Kurmancî in den Herkunftsländern
Beim Überblick zum Kurmancî wurde angeführt, dass dessen Herkunftsregion hauptsächlich vier benachbarte Staaten umfasst, nämlich die Türkei, Syrien, den Irak und den Iran. Dabei lebt der größte Teil der Kurmancîsprecher*innen in der Türkei. In jedem der genannten Staaten hat Kurmancî unterschiedliche soziolinguistische und soziopolitische Rahmenbedingungen, die – bis auf den Irak – weniger von den Kurd*innen selbst definiert werden als vielmehr von der machthabenden Politik (vgl. Hassanpour/Sheyholislami/Skutnabb-Kangas 2012: 14).
Im Irak genießen die Kurd*innen seit 1992 einen autonomen Status und können ihre Sprache in der autonomen Region neben dem Arabischen sowohl in der Bildung als auch im öffentlichen Raum in Anspruch nehmen. Aber auch schon vor dem autonomen Status war die Sprachenpolitik des irakischen Staates gegenüber dem Kurdischen verglichen mit den anderen drei Staaten weniger restriktiv (vgl. Skubsch 2002: 267). In der neuen Verfassung des Iraks aus dem Jahre 2005 ist Kurdisch für das gesamte Land sogar als die zweite Amtssprache neben dem Arabischen definiert worden (vgl. Akın 2017: 160). Damit hat das Kurdische, mit dem Begriff von Maas (2014) ausgedrückt, im Irak einen „Verfassungsrang“ erlangt (vgl. Maas 2014: 41).
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