Meike Messal
Klippenfall
Fehmarn-Krimi
Prolibris Verlag
Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie der Autorin. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind Institutionen, Straßen und Schauplätze auf Fehmarn.
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© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2022
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto © Meike Messal
Schriften: Linux Libertine
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-238-6
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-228-7
www.prolibris-verlag.de
Die Autorin
Meike Messal wurde 1975 in Minden geboren. Nach dem Abitur lebte sie für einige Zeit in Israel und Südafrika und studierte in Hamburg Germanistik, Anglistik und Amerikanistik. Anschließend unterrichtete sie in Schleswig-Holstein. Die Wege an die Küste waren kurz und Messal, die das Meer liebt, verbrachte ihre Freizeit am liebsten am Wasser. Besonders hatte und hat es ihr Fehmarn angetan.
Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern wieder in ihrer Heimat und unterrichtet an einem Mindener Gymnasium. Wann immer es die Zeit zulässt, findet man sie jedoch an ihrem Sehnsuchtsort – auf Fehmarn. Nach Nachtfahrt ins Grauen und Atemlose Stille spielen ihre aktuellen Kriminalromane Düsterstrand und nun auch Klippenfall daher auf ihrer Lieblingsinsel.
Messal ist außerdem als Herausgeberin aktiv und veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten.
Weitere Informationen zu der Autorin unter www. messal.com
Für all die wunderbaren Mütter
und ganz besonders für meine –
Christiane
1
Die Nachricht erwischte sie mitten beim Kartoffelschälen. Stirnrunzelnd betrachtete Sylke ihr Handy und las die SMS ihrer Tochter erneut. Hoffte, die Buchstaben würden dadurch einen anderen Sinn ergeben. Komm schnell. Jemand ist hinter mir her.
Emilie war schon den ganzen Tag am Strand, dem Ort, an den es sie immer zog. Sie liebte die Steilküste am Katharinenhof und hielt sich oft stundenlang dort auf.
Sylkes Finger schwebte über der Anruftaste, bereit, den grünen Button zu drücken. Doch dann hielt sie inne. Was, wenn Emilie den Klingelton auf laut hatte? Und sie ihm so verriet, wo ihre Tochter langlief?
Abermals stockten ihre Gedanken. Ihm? Verdammt, wurde Emmi von einem Mann verfolgt? Ja, natürlich. Wer sonst sollte hinter einem hübschen 12-jährigen Mädchen herrennen? »Hör auf zu spinnen«, beruhigte sie sich. »Wahrscheinlich bildet sie sich das bloß ein. Es ist sicherlich nur ein Camper, der zufällig denselben Weg läuft, und sie denkt gleich wieder sonst was.« Doch die Besorgnis ließ sich nicht wegreden, ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie.
»Wo genau bist du?«, schrieb sie zurück. Sie ließ die Kartoffeln stehen und eilte zur Tür, schlüpfte in ihre Turnschuhe. Bis zum Strandabschnitt, an dem Emilie sich fast immer aufhielt, war es nicht weit, nur die Zufahrtsstraße zum Campingplatz entlang und dann an der Schranke hinunter zum Wasser. Weiter würde sie mit dem Auto ohnehin nicht kommen, da konnte sie gleich dorthin joggen. Sie lief täglich und war fit, doch heute waren ihre Schritte größer und ausholender als sonst. Kaum auf den Weg achtend hielt sie das Handy vor sich. Emilie antwortete nicht.
Sie versuchte, sich auf ihren Atem zu konzentrieren, spurtete. »Es ist nichts. Sie ist fast jeden Tag dort. Noch nie ist etwas passiert.« Doch was, wenn genau dies das Problem war? Tägliche Routine? Vielleicht hatte jemand sie schon Tage oder gar Wochen beobachtet und auf den einen günstigen Moment gelauert?
»Quatsch!« Sylke rief das Wort laut und schüttelte unwillig den Kopf. Was war bloß los mit ihr? Sie hatte sich noch nie besonders große Sorgen um ihre Tochter gemacht. Emilie war reif für ihr Alter und gewohnt, allein klarzukommen. Sylke arbeitete fast rund um die Uhr, um für sie beide den Lebensunterhalt zu verdienen.
Alte Lindenbäume säumten die Straße, sie raste daran entlang, vorbei an friedlich grasenden Pferden und dem verwaist daliegenden Basketballspielfeld. An der Abzweigung zum Waldpavillon biss sie sich auf die schweißnassen Lippen. Emilie liebte es, auf der Terrasse des Café-Restaurants zu sitzen, direkt am Meer. Doch meistens hatte Sylke abgewunken, zu viel zu tun im Geschäft. Sie schwor sich, noch an diesem Abend einen Tisch zu reservieren und Emmi so viel Eis essen zu lassen, wie sie wollte. Aber zuerst musste sie ihre Tochter finden!
In dem Moment blinkte ihr Handy auf. Der Text sprang ihr entgegen. Hab mich versteckt. Komm schnell. Er sucht mich.
Nun hielt sie doch an. WO BIST DU?, hämmerte sie auf die Tasten und legte ihre Hand kurz auf ihr rasendes Herz. Dann rannte sie weiter, an der griechischen Taverne vorbei über das Gelände des Campingplatzes, mit knirschenden Schritten Richtung Strand. Rechts von ihr ragten die hohen, dunklen Bäume des kleinen Stiftungswaldes stumm in den Himmel. War Emilie dort irgendwo im Dunkeln oder noch unten am Wasser? Einen Moment zögerte Sylke, dann folgte sie dem Pfad zum Meer ein kurzes Stück, bis sie den Strand überblicken konnte. Schwer atmend blieb sie stehen, ihre Augen bewegten sich suchend hin und her durch die wilde Schönheit, die sich hier auftat. Doch heute hatte sie keinen Blick für die türkis schimmernden Wellen, die großen Steine in der Brandung. Wo zur Hölle war Emmi?
Obwohl es auf zwanzig Uhr zuging, war es noch warm, das T-Shirt klebte an Sylkes Körper. Doch nur eine Frau sah sie weit weg barfuß durch die Wellen gehen. Wahrscheinlich saßen die Familien inzwischen vor ihren Zelten und Wohnwagen und grillten. Sylke starrte erneut auf ihr Handy, als könnte sie es damit beschwören. »Ich bin jetzt da«, tippte sie schnell, »am Pfad zum Wasser.«
Ein Knirschen ließ sie zusammenzucken. Vor ihr tauchte ein Mann mit verschwitzten Haaren auf. Unwillkürlich trat Sylke einen Schritt zurück. Wo war der denn so plötzlich hergekommen? Konnte das Emilies Verfolger sein? Er war klein und schmal gebaut, schlaksige Arme lugten aus den Ärmeln seines weißen T-Shirts hervor. Würde der Typ Emmi derartige Angst einjagen können? Wohl kaum. Außerdem kam er Sylke bekannt vor. Die kantigen, scharfen Gesichtszüge, das frisch rasierte Gesicht, das ihn jünger aussehen ließ, als er vermutlich war. Vielleicht ein Tourist, der bei ihr im Laden eingekauft hatte? Er kam nun direkt auf sie zu.
Sie wandte den Blick von ihm auf ihr Handy, das soeben aufblinkte. Bin im Stiftungswald. Erleichtert drehte sich Sylke um. Emmi war ganz in ihrer Nähe.
»Hallo!« Die Stimme direkt neben ihr ließ sie zusammenzucken. Der Mann war schneller, als sie gedacht hatte. Und leiser. Er lächelte sie an. Die schmalen Lippen passend zu seiner knochigen Erscheinung, eher weiß als rot, irgendwie blutleer. Ja, er kam ihr definitiv bekannt vor. Doch woher bloß?
»Sie sehen gestresst aus«, sprach er weiter. »Ist alles in Ordnung?«
»Äh ja, danke.«
Sie nickte ihm kurz zu und lief dann weiter bergan bis zu dem kleinen zugewachsenen Pfad in den Wald hinein. Sylke scherte sich nicht um die Äste, die ihren Körper peitschten, nicht um das Wasser, das in ihren Schuh drang, als sie über einen umgestürzten Baum und direkt in eine Pfütze sprang. Ihr Kopf drehte sich von links nach rechts. Dickicht. Von Emilie keine Spur.
Ein lautes Frauenlachen von fern. Ein Glück, der Mann war verschwunden und auch sonst schien sie hier vollkommen allein zu sein.
»Emmi?« Sylke wusste selbst nicht, warum sie flüsterte. Sie lauschte. Hörte nichts als die Wellen, den schlagenden Puls des Meeres, der träge durch die dicken Äste der Bäume drang. »Emmi, wo bist du?« Ihre Stimme wurde lauter, eindringlicher.
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