Sein Mund funktionierte, Speichel floss, und doch gab er anstatt echter Worte nur ein Grunzen und Zischen von sich.
»Zu schwer beschädigt«, sagte Yaquita, übersetzt durch das Daten-Pad. »Aber ich habe da etwas.«
Auf ihr Handzeichen hin stieg eine kreisrunde Form aus dem Boden, die sich vor Palants Augen formte und verfestigte. Yaquita griff hinein und holte etwas hervor, das entfernt an ein weiches Meereslebewesen erinnerte. Ihre Tentakel schimmerten feucht, doch Palant konnte auch das Leuchten künstlicher Lichter in ihnen erkennen. Es veränderte seine Farbe, als sich Yaquita damit dem Podest näherte, auf dem Oscar lag.
»Du wirst mir helfen«, sagte die Yautja. Palant sah keinen Grund, abzulehnen. Während sie Oscars Kopf festhielt, platzierte Yaquita das Wesen in Oscars zertrümmertem Schädel. Hier und da schloss sie einige der Tentakel an, hielt dann kurz inne, als würde sie etwas lauschen, und veränderte die Anordnung dann noch mehrere Male. Als ein seltsam nasses, fließendes Geräusch den Raum erfüllte, rollte sie schließlich von ihm zurück.
Palant sah sie an.
Yaquita hob eine Augenbraue. Ihr künstliches Auge surrte.
»Bist du schon über die Yautja-Schlampe hergefallen?«
Palant verschlug es den Atem. Die Stimme war tonlos und künstlich, doch der Hass und das Gift, die in ihr lagen, genügte bereits.
»Sag schon«, bohrte Oscar weiter. »Tu nicht so, als wolltest du es nicht auch, Mensch. Diese feuchte Haut. Diese langen Finger.«
Palant sah Yaquita von der Seite an. Das Daten-Pad übersetzte Oscars Worte in die klackenden, ratternden Laute, die aus seinen kleinen Lautsprechern drangen. Die Yautja schwieg.
»Du solltest dich aber vor diesen Fangzähnen vorsehen«, fuhr er fort.
»Wenn du dich doch nur selbst sehen könntest«, sagte Palant. Sofort bereute sie es, überhaupt auf ihn eingegangen zu sein, denn eine Antwort wie die ihre spielte ihm nur in die Hände. Aber es war wie ein Reflex gewesen, ein natürlicher Abwehrmechanismus.
Oscar lachte. Das Geräusch kam gleichzeitig aus ihm und aus dem Wesen, welches die Yautja an sein Gehirn angeschlossen hatte. Aus seinen aufgerissenen Nasenlöchern rann noch mehr Flüssigkeit. Sein Auge rollte herum. Das andere Auge fehlte, die Augenhöhle war gebrochen und das Loch war mit einem festen Material verkrustet. Offensichtlich der Versuch, sich selbst zu reparieren, auch wenn er damit nicht weit über seinen Kopf hinausgekommen war. Er hatte versucht, sein Gehirn zu schützen, denn für einen Androiden war das alles, was zählte.
Yaquita deutete mit dem Kopf auf das Daten-Pad und Palant wechselte die Einstellungen, sodass die Übersetzungen nur noch auf dem Display angezeigt wurden.
»Lassen Sie ihn reden«, sagte die Yautja.
»Woher stammst du?«, fragte Palant.
»Von den Rage«, erwiderte Oscar.
»Wie bist du auf die Cooper-Jordan gelangt?«
»Die Rage stießen auf das Schiff. Angefüllt mit frischen Früchten.«
Palant erinnerte sich an die Früchte – Menschen, die man für Jahrhunderte in Tiefschlaf versetzt hatte, in der Hoffnung, dass sie sich, wenn sie wieder erwachten, an einem Ort wiederfinden würden, den sie ihre neue Heimat nennen konnten. Die Crew und ihre Passagiere.
»Du musst uns alles verraten«, sagte sie.
»Alles? Niemand weiß alles. Nicht einmal ich.«
»Wer ist euer Anführer?«
»Ah«, sagte Oscar und sein Auge schien diesen Glanz zu bekommen, so als würde es in die Ferne starren und in eine Zukunft, die sie selbst nicht sehen konnte. »Vielleicht gibt es ja doch jemanden , der alles weiß.«
»Wie heißen sie?«
»Die Rage.«
»Was ist ihr Ziel?«
Oscar sah sich um, soweit es sein Zustand erlaubte. Er betrachtete das blaue Kraftfeld, die riesige Yautja, die regungslos auf ihrer fahrenden Plattform saß, und den großen Raum dahinter.
»Die Yautja wissen mehr als Sie«, sagte er. Palant entging nicht, dass er in der Mehrzahl gesprochen hatte.
»Wir sind jetzt Verbündete«, erklärte Palant. Eine kühne Behauptung – und sie musterte Yaquita, während das Daten-Pad übersetzte. Sie zeigte keinerlei Reaktion. Stattdessen schien sie mit den Gedanken woanders zu sein.
Palant blickte auf die schwebende Kugel, die Yaquita aus dem Boden gezaubert hatte, und sah verschiedene Anzeigen, die sich auf ihrer Oberfläche abwechselten, außerhalb von Oscars Sichtfeld.
»Das wird euch nichts nützen«, sagte Oscar. »Die Menschen sind schwach und einfältig. Und die Yautja sind Bestien.«
»Trotzdem bist du es, der hier mit heraushängenden Eingeweiden vor mir liegt«, entgegnete Palant.
»Es herrscht Krieg. Im Krieg gibt es Opfer.«
»Bist du glücklich darüber, eines dieser Opfer zu sein?«
»Ich bin glücklich darüber, ein Rage zu sein.«
»Sag uns, was als Nächstes passieren wird.«
Oscars Blick wanderte von Palant zu Yaquita und wieder zurück.
»Du willst sie, nicht wahr?«, sagte er. »Diese Finger. Diese glatte Haut.«
»Du hast keine Ahnung …«
Yaquita gab ein Geräusch von sich – irgendetwas zwischen einem Brüllen und einem überraschten Aufschrei. Palant hatte so etwas noch nie zuvor gehört, ganz besonders nicht von einem Yautja.
Die Reaktion auf ihren Ausruf folgte sofort. Halley und ihre Crew stürmten mit gezückten Pistolen aus dem angrenzenden Raum herein. Palant hob die Hände und gab ihnen zu verstehen, dass es ihr gut ging.
»Komm mit«, sagte Yaquita. Sie rollte vorwärts und riss das seltsame Wesen oder Gerät von Oscars Kopf. Ein nasses, gurgelndes Geräusch drang aus seinem Mund. Vielleicht litt er Schmerzen.
Die Yautja aktivierte das Eindämmungsfeld und fuhr hindurch. Palant folgte ihr. Yaquita durchquerte den Raum bis ans andere Ende, vorbei an Sockeln, die bekannte und unbekannte, alltägliche und außergewöhnliche Dinge enthielten. Als sie mit Halley und den anderen zusammentrafen, konnte Palant hören, wie Yaquita schwer und in kurzen, schnellen Stößen atmete.
»Was ist los?«, fragte Palant und schaltete ihr Daten-Pad auf Audio-Ausgabe.
Yaquita antwortete ihr. Das Daten-Pad schwieg länger, als für gewöhnlich gebraucht hätte, ganz so, als müsste es länger an der Übersetzung arbeiten. Als wäre es ebenfalls erschrocken. Dann erklang ein einzelnes Wort.
»Drukathi.«
»Was ist das?«, fragte Palant.
Yaquita seufzte, was eine erstaunlich menschliche Reaktion war.
»Das ändert alles«, sagte sie.
Nahe der Weltraumstation Hell, Dezember 2692
In seinen Träumen stand der Android, der sich selbst General Alexander nannte, in Flammen. Er sah dabei zu, wie sein Körper zerrann und sein Fleisch von den bläulich-weißen Flammen verzehrt und in Hitze und Gase und Verfall verwandelt wurde. Sein Blut kochte und verdampfte zischend zu einem undurchdringlichen Nebel. Seine Skelett-Konstruktion verzog sich, erstarrte und brach, und seine Organe schrumpften unter der enormen Hitze zusammen. Das Herz in seinem Brustkorb hörte auf zu schlagen.
Und doch lebte Alexander. Er würde erst sterben, wenn sein Gehirn briet und seine Schaltkreise und Bio-Nervenbahnen eingeäschert waren.
Doch das würde er nicht zulassen.
Und auch Mistress Maloney würde das nicht zulassen. Sie stand vor ihm, rasend vor Wut, und griff nach ihm, durch die Flammen und den Rauch und die blendend heißen Gase hindurch, bereit, den Zweck seiner Bestimmung seinem zerschmolzenen Inneren zu entreißen.
Noch bin ich nicht am Ende , dachte er. Noch kann ich mich bewegen, ihr folgen und sie jagen, und wenn Sie mir eine letzte Chance geben …
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