Aber der, den wir in Norwegen gern den Schah von Persien genannt haben, stirbt in Kairo nach einer längeren Krankheit.
»Der Blutsauger des Jahrhunderts«, schreiben die Khomeini-loyalen Zeitungen in Teheran.
Die amerikanischen Geiseln, die gegen den Schah ausgetauscht werden sollten, sitzen noch immer in Gefangenschaft.
Inzwischen ist es August 1980. An einem ganz anderen Ort, im Hotel Dorchester in der Park Lane in London, ist der 54 Jahre alte Schauspieler Peter Sellers auf dem Weg zu seiner Suite, in der er in der letzten Zeit am Drehbuch zu Romance of the Pink Panther gearbeitet hat, seinem sechsten Film über den ungeschickten und sozial absolut unfähigen Inspektor Clouseau. Für eine ganze Generation, der ich selbst angehöre, sind sein Humor und seine Charakterparodien zu einem Teil des Alltags geworden. »Do you have a reum?« ist ein Codesignal für uns alle. Wir haben ihn geliebt, als unsympathischen und vorausblickenden Berater in Dr. Strangelove . Vorher haben wir über seine Verkleidungskünste in After the Fox gelacht, für viele von uns Filminteressierten auf Sandøya vielleicht der beste seiner Filme, nicht zuletzt, wenn er Jean-Luc Godard als Avantgarde-Regisseur parodiert. Wie oft haben wir uns spätabends ins Gesicht gefasst und gesagt: »My bone-structure?«, »Good morning« und alle anderen Repliken in diesem wahnwitzigen, von Italien inspirierten Plot. Peter Sellers war immer bei uns, wenn wir uns gegenseitig unsere sozialen Katastrophen anvertraut haben. »Birdy, nam-nam« war der verbale Schlüssel zu einem schönen Fest. Wir haben uns mit pochender Blase zusammengekrümmt, genau wie der arme indische Filmstatist, den er in The Party parodiert hat, und zueinander gesagt »I like to watch«, wie der Gärtner Chauncey in Being there .
Weiß Sellers das, wie viel er Menschen überall auf dem Globus bedeutete, die seine Filme geliebt haben, die Tränen gelacht haben über seine vielen Schlägereien mit dem Diener Cato, die gesehen haben, wie er über einer Balkonparodie in der Luft schwebt, wie er krüppelhaft mit kurzen Beinen ankommt wie ein Toulouse-Lautrec oder in seinem Burberry-Mantel als Inspektor Clouseau, der seinen Vorgesetzten immer wieder in Gemütsverdüsterung und totalen paranoiden Wahnsinn treibt?
Gerüchte wollen wissen, dass er vor dem Eingang dieses berühmten Hotels zusammengebrochen ist. Aber in den Zeitungen ist die Rede von einem schweren Herzanfall in seiner Suite, nach dem er ins Middlesex Hospital gebracht wurde, wo seine zweite Frau, Britt Ekland, mit ihrer fünfzehn Jahre alten Tochter Victoria und mit Sellers’ vierter Frau Lynne Frederick bei ihm saß, alles vergeblich. »His heart just faded away«, sagte ein Sprecher des Krankenhauses. Seit Jahren wussten die ihm Nächststehenden von Sellers’ schwachem Herzen. Blake Edwards, der Regisseur der Pink Panther- Filme, sagt in einem Interview, dass sie das Gefühl gehabt hätten, Sellers könne jederzeit sterben. Nur zwei Jahre zuvor war Sellers gefragt worden, ob er auf eine persönliche Frage antworten werde. »Natürlich nicht«, hatte Sellers erwidert. Dennoch machte der Reporter weiter: »Meines Wissens hatten Sie einen Herzinfarkt.« Sellers fiel ihm ins Wort und sagte mit einem Lächeln: »Ja, aber damit will ich aufhören. Ich bin schon auf zwei pro Tag runtergegangen.«
Die rechtsextreme Terrororganisation Nuclei Armati Rivoluzionari hinterlegt eine Bombe im großen Wartesaal des Bahnhofs von Bologna. Es ist Samstagvormittag, sehr viele Reisende sind unterwegs. Die Sprengladung zerstört einen Seitenflügel des wuchtigen Bahnhofs. 83 Menschen kommen ums Leben, mehr als 200 werden verletzt. Das Bombenattentat ist der Protest der Neofaschisten gegen die kommunistische Stadtregierung. Während die kommunistische Partei in Norwegen keine Rolle mehr spielt, sind die kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich noch immer relativ stark.
Das Attentat ist das schlimmste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, und der Bürgermeister der Stadt nennt es ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Der Herbst bringt kühle Luft. Einen Hauch von etwas Traurigem, weil ich wieder auf Reisen gehen werde. Dauernde Aufbrüche, die dennoch nicht unwiderruflich sind. Abreisen, zurückkehren. Jemand wartet. Oder wartet sie nicht? Lebt sie ein anderes Leben? Wie gut kennen wir einander eigentlich? Wir sind zusammen, Tag für Tag, streiten uns nicht, lachen viel, merken den Übergang zwischen Arbeit und Muße nicht, können mitten am Tag lange Spaziergänge unternehmen. Die vielen Reisen machen etwas mit mir. Die langen Tourneen, die Hotelzimmer. Ist es etwas Flüchtiges, das mir in diesen Jahren anhaftet? Verändere ich mich als Person? Die Fährfahrkarten und die Flugtickets, die Hotelschlüssel, die Kollegen, das, was wir gemeinsam erschaffen werden, an ganz neuen Orten. Ich muss wieder er schreiben. Er, der reist, wieder und wieder, in dieselben Ortschaften und Städte. Er, der vor den Konzerten in der Garderobe wartet, spürt den Unwillen, jedes einzelne Mal, wenn er auf einer Bühne stehen soll. Die Nervosität, die so tief in ihm sitzt, bis er den Kontakt zum Instrument spürt, dass die Tasten nicht gewandert sind, dass A noch immer A ist und Fis noch immer Fis. Keine zwei Orte sind gleich, keine Stadt ist genau dieselbe. Sie verändern sich zwischen jedem Mal, wenn er aufbricht, verschwindet und zurückkehrt. So, wie er sich selbst verändert, fast unmerklich, von Mal zu Mal. Er kommt nach Stavanger, die neue Ölstadt. Hier hat es angefangen. Sein Sommernachbar Arve Johnsen, allein im Statoilbüro in der allerersten Zeit. Die Ölgesetze von 1971. Dass die nationale Leitung und Kontrolle für jegliche Tätigkeit auf dem norwegischen Kontinentalsockel gewährleistet sein müssen. Dass die Ölfunde so ausgenutzt werden müssen, dass Norwegen so weit wie möglich unabhängig von anderen wird, wenn es um den Import von Rohöl geht. Dass aufbauend auf dem Öl neue Wirtschaftszweige entwickelt werden sollen. Dass die Entwicklung einer Ölindustrie unter Rücksichtnahme auf existierende Wirtschaftszweige und Natur- und Umweltschutz vor sich gehen muss. Dass das Verbrennen von nutzbarem Gas auf dem norwegischen Kontinentalsockel nur für kürzere Versuchszeiträume gestattet ist. Dass Rohöl vom norwegischen Kontinentalsockel in Norwegen an Land gebracht werden soll, mit Ausnahme der seltenen Fälle, wenn gesellschaftspolitische Rücksichten eine andere Lösung nahelegen. Dass der Staat sich auf allen zweckmäßigen Ebenen engagiert, zu einer Vereinheitlichung norwegischer Interessen innerhalb der norwegischen Petro-Industrie beiträgt und den Aufbau einer integrierten norwegischen Ölindustrie mit nationalen und internationalen Zielsetzungen fördert. Dass eine staatliche Ölgesellschaft aufgebaut wird, die die geschäftlichen Interessen des Staates vertreten kann und die eine sinnvolle Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Ölinteressen fördern kann. Dass nördlich des 62. Breitengrades ein Aktivitätsmuster gewählt wird, das die besonderen gesellschaftspolitischen Verhältnisse in diesem Landesteil berücksichtigt. Dass norwegische Ölfunde die norwegische Außenpolitik vor umfassende neue Aufgaben stellen können.
Er sieht, dass es in den Straßen noch mehr neue Läden gibt. Das passiert fast gleichzeitig. Neue, etwas feinere Restaurants werden eröffnet. Alles wird von Mal zu Mal etwas feiner. Er geht in einen dieser Läden und sieht zu seiner Freude, dass er von Größe 36 auf 32 hinuntergegangen ist. Obwohl, in 32 gibt es nur sehr wenige Marken, die er am Leib haben mag. Er steht in der Umkleidekabine und betastet das Fett an seinem Bauch, das doch nie ganz verschwindet, auch wenn die Rippen jetzt auf andere Weise sichtbar sind als vorher. Er nimmt am Oberkörper schneller ab als an den Beinen. Das irritiert ihn. Muss er auf 70 Kilo heruntergehen, um die Beine zu bekommen, die er sich wünscht? Er schafft es nicht, abzunehmen, kann auf das Essen nicht verzichten. Er isst nicht mehr als andere Leute, aber doch zu viel, um dünner zu werden. Deshalb muss das Essen wieder heraus. Dass er so viele Jahre damit verbringen sollte, seinen eigenen Körper zu überlisten! Manchmal vergisst er sich, steht in der Künstlergarderobe und betrachtet sich von der Seite im Spiegel, während er sich die Hand auf den Bauch legt. Einmal hat ihn dabei eine Künstlerin gesehen, die mit ihm zusammen auftreten sollte. Hat er da ein Kichern gehört? Er errötete heftig, aber sie sagten beide nichts. Einmal, in Oslo, saß er am Flügel und gab ein Konzert. Plötzlich, mitten im schwierigsten Stück dieses Konzerts, merkte er, dass er sich übergeben musste. Es kam so plötzlich und unerwartet. Als ob sein Körper glaubte, er habe den Finger in den Hals gesteckt. Er wandte sich abrupt vom Publikum weg, fast wäre ein heftiger Strahl aus ihm herausgebrochen. Was in aller Welt sollte er tun? Er schluckte, schluckte, schluckte. Das durfte nicht passieren! Er dämpfte den Strahl. Es kam nur ein Aufstoßen, wie bei einem Säugling. Er musste weiterspielen. Aber als er sich zum Applaus erhob, verbeugte er sich seitlich und ging in der entgegengesetzten Richtung von der Bühne und nicht in der, aus der er gekommen war. Niemand sollte ihn so sehen, mit seiner eigenen Kotze, die ihm über Schulter und Arm lief.
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