In der Teeküche begann mein ganz eigener Spießrutenlauf, als ich Miranda über den Weg lief. Der perfekten Miranda, sollte ich an dieser Stelle vielleicht noch ergänzen, denn an ihr war kein Gramm zu viel, die Frisur war wie immer top, von ihrem Teint gar nicht erst zu sprechen.
»Guten Morgen, Drew. Na, wie war dein Wochenende?«
Und da war sie auch schon: die unausweichliche Frage nach dem wahren Sinn des Lebens. Was sollte ich tun? Ehrlich antworten oder mir eine Geschichte von Mr. Right und seinen Fähigkeiten als Liebhaber und Romantiker aus den Fingern saugen? Ehe mir jedoch die ersten Schweißperlen auf die Stirn treten konnten, kam Stacy mir zu Hilfe.
»Guten Morgen, meine Lieben. Ich hab furchtbar geschlafen und brauche dringend einen Kaffee«, hörte ich sie hinter mir sagen.
»In der Schwangerschaft sollte man auf Koffein verzichten. Wie wäre es ersatzweise mit einem Tee oder einem Kakao?«, flötete Miranda und auch ohne Stacy direkt ins Gesicht zu sehen, wusste ich, dass sie einmal tief ausatmen würde, um schließlich Folgendes zu erwidern:
»Liebe Miranda, ein bis zwei Kaffee am Tag sind in der Schwangerschaft vollkommen in Ordnung. Wusste gar nicht, dass du in diesem Bereich bereits so viel Erfahrung gesammelt hast. Wenn ich mich recht erinnere, bist du Single und deinem makellosen Körper nach zu urteilen auch noch keine Mutter.«
Oh, der saß richtig. Das war der eine Punkt, den sie in ihrem bisherigen Leben, trotz perfekter Figur, perfektem Haar und perfektem Teint, nicht hinbekommen hatte: eine Familie. Tief getroffen nahm sie ihre Tasse, drängte an mir vorbei aus dem kleinen Raum und ließ uns beide ohne ein Wort zurück.
»Was?«, forderte mich Stacy auf zu sprechen, nachdem ich sie einige Sekunden sprachlos angestarrt hatte.
»Fandest du nicht, das war etwas zu hart?«, gab ich schließlich zu bedenken.
»Meinst du? Wahrscheinlich hast du recht. Dieser Schlafentzug macht einen Zombie aus mir und wenn mir dann auch noch meine tägliche Ration Koffein versagt wird, kann ich unausstehlich werden. War es denn wirklich so schlimm?«
»Naja, ich finde schon, dass du dich bei ihr entschuldigen solltest. Versteh mich nicht falsch. Ich bin kein Fan von Miranda, allerdings solltest du sie dir nicht zur Feindin machen. Soviel ich weiß, sind ihre Eltern mit die größten Förderer des Museums.«
»Du hast ja recht. Ich werde zu ihr gehen und mich bei ihr entschuldigen. Aber erzähl erst mal, wie dein Wochenende war. Du hast mir doch sicher nur abgesagt, weil du ein heißes Date hattest. Komm schon, ich will alle Einzelheiten hören.« Fordernd zwinkerte sie mir zu, während ein schelmisches Lächeln ihre Lippen umspielte.
»Ich muss dich leider enttäuschen. Am Wochenende lag ich nur faul auf der Couch rum und hab gelesen. Mein Traummann ist dabei nicht aufgetaucht«, erwiderte ich schulterzuckend, während ich mir darüber bewusst wurde, dass der Spießrutenlauf erst begonnen hatte. Plötzlich erschien mir die Vorstellung, von Miranda ausgefragt zu werden, wesentlich angenehmer, als meiner Freundin Rede und Antwort stehen zu müssen.
»Tatsächlich? Trifft sich ja gut, dass Brian heute Abend endlich kommt. Ich hab ihm übrigens gesagt, dass du zum Dinner da sein wirst. Er freut sich schon sehr darauf, dich endlich kennenzulernen. Das wird bestimmt ein schöner Abend. Mitch kommt sogar etwas früher aus der Kanzlei, um Brian vom Flughafen abzuholen. Am besten nehm ich dich nach der Shoppingtour gleich mit zu uns nach Hause. Ich könnte noch Hilfe in der Küche brauchen«, plapperte meine Freundin ohne Punkt und Komma.
»Was hast du Brian von mir erzählt?«, versuchte ich die Flut an Informationen Stück für Stück zu hinterfragen.
»Nichts Schlimmes. Keine Sorge. Nur, dass sein Cityguide heute Abend beim Essen dabei sein wird und er bereits heute die Möglichkeit hat, dich zu sehen. Weiter nichts«, erwiderte Stacy seelenruhig, während es in mir brodelte.
Stacys Absichten waren sicherlich die besten und wäre die letzte Woche datingtechnisch nicht ganz so katastrophal ausgefallen, dann wäre ich ihr unter Umständen für ihren Verkupplungsversuch sogar dankbar gewesen. Nachdem allerdings immer noch damit zu rechnen war, dass sich Amor, Hermes und Aphrodite weit weg im kollektiven Sommerurlaub tummelten, fiel es mir nun äußerst schwer, dem bevorstehenden Treffen mit Brian etwas Gutes abzugewinnen.
»Ich weiß nicht … Eigentlich bin ich gar nicht in der Stimmung … Vielleicht verschieben wir es auf ein andermal?«, bemühte ich mich, das drohende Unheil von mir abzuwenden.
»Ach, papperlapapp. Du wirst sehen, der Abend wird toll und Brian ist ein ganz Lieber.«
Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, dem Dinner fernzubleiben. Wenn Stacy sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann fand sie Mittel und Wege, um an ihr Ziel zu gelangen. Noch während ich mich meinem Schicksal zu fügen begann, hörte ich Stacy sagen: »Übrigens hatten wir einen kleinen Wasserschaden bei uns im Haus. Nichts Tragisches, allerdings betrifft es das angrenzende Bad des Gästezimmers und die Handwerker können erst in zwei bis drei Tagen die Reparatur in Angriff nehmen. Bis dahin müssten wir uns zu dritt ein Bad teilen und da dachte ich…«
»Nur über meine Leiche. Stacy, das kannst du vergessen. Ich werde keinen Fremden in meiner Wohnung übernachten lassen.«
»Na, dafür lernt ihr euch doch später bei uns kennen. Außerdem legt Mitch seine Hand für Brian ins Feuer. Das macht er nicht für jeden. Das weißt du. Es wären doch nur zwei Nächte, in denen du ihn beherbergen müsstest. Zum Essen kommt ihr einfach immer zu uns. Du wirst sehen, das wird lustig. Komm schon, Drew, wann bitte ich dich schon mal um einen Gefallen?«
In letzter Zeit häufiger, aber das konnte ich einer Schwangeren auf Koffeinentzug nicht sagen, ohne Gefahr zu laufen, einen Tränenausbruch oder einen Tobsuchtsanfall zu provozieren. Alles war möglich, das wusste ich nicht erst seit dem Szenario eben mit Miranda ziemlich genau.
»Ich schau mir den Kerl heute Abend mal an und …«
»Oh, Drew, ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du bist wirklich meine allerbeste Freundin.« Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr ergänzte sie: »Jetzt muss ich mich aber sputen. Meine erste Führung steht gleich an. Wir sehen uns später und besprechen alles Weitere.«
Und weg war sie. Stacy war eine Naturgewalt, die einen schlimmer aus der Fassung brachte, als ein Tornado, ein Hurrikan und eine Sintflut zusammen je in der Lage wären. Wieder einmal ließ sie mich perplex zurück und ich verpasste die Gelegenheit, ihr klarzumachen, dass ich mir Brian erst mal ansehen wollte, bevor ich ihm Obdach gewährte.
Drei Stunden später war Stacys Überfallkommando vergeben und vergessen, nachdem sie mir in der Mall geholfen hatte, ein passendes Kleid für den Ball zu finden, und wir schon im zweiten Geschäft fündig geworden waren. Wie machte sie das nur? Das Kleid sah aus wie ein teures Designerstück, roch sogar danach und dennoch kostete es keine zweihundert Dollar.
In Gedanken schwebte ich in diesem bereits über das Parkett, bis mein Traum wie eine Seifenblase zerplatzte. Ja, ich schwebte über die Tanzfläche, allerdings mutterseelenallein. Da war niemand an meiner Seite, weil ich es immer noch nicht zuwege gebracht hatte, einen lieben, netten Mann aufzutreiben, der sich unter Kontrolle hatte, Nein zu Drogen sagte, mich seiner Mutter vorzog und nicht nur eine schnelle Nummer suchte.
Wo waren die Männer, die man lieben konnte? Wo waren die Männer, ohne die ein Leben nicht lebenswert war? Es konnte doch nicht sein, dass alle Exemplare aus der Kategorie ›Must-have‹ vergeben waren. Oder etwa doch? Handelte es sich bei dieser Art von Mann um sogenannte Bückware, die heimlich, still und leise unter dem Ladentisch ausgegeben wurde? Warum hatte ich davon nichts mitbekommen? Wo war meine Einladung geblieben?
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