»Hast du etwa schon wieder nachgegeben? Dieser alten Giftschlange solltest du keinen Gefallen mehr tun. Warum holen ihre Töchter sie nicht ab?«
Stacy hatte gut reden. Sie war mit Mitch seit einem Jahr glücklich verheiratet, hatte wundervolle Schwiegereltern, die die Vollwaise rührend in ihrer Familie willkommen hießen und erwartete als Krönung des Ganzen das erste gemeinsame Kind.
Ich verbot es mir, neidisch auf meine Freundin zu sein, und schob die Gedanken beiseite. Auch Stacy hatte eine schlimme Zeit des Hoffens und Bangens hinter sich. Mitchs Exfreundin hatte den beiden ihre Liebe nicht gegönnt und so lange dazwischen gefunkt, bis es fast zu spät war.
»Nein, nein, ich hab es vergessen. Sie hat mich bereits vor ihrer Reise darum gebeten«, log ich in der Hoffnung, einer längeren Auseinandersetzung mit ihr aus dem Weg zu gehen.
Stacy schien den Braten gerochen zu haben, hakte allerdings nicht weiter nach, wofür ich ihr sehr dankbar war. Dennoch wagte ich es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Mit gesenktem Blick schmiss ich achtlos mein Handy in die Handtasche und verfluchte mich innerlich dafür, dass ich mal wieder klein beigegeben hatte.
Jetzt fing ich auch schon an, meine Stiefmutter und ihr Verhalten in Schutz zu nehmen, und belog deshalb sogar die Frau, die ich seit fast zwei Jahren sehr ins Herz geschlossen hatte. Die Zeit war reif. Ich musste dringend etwas an meinem Leben ändern.
Was das genau sein würde, konnte ich mir während der Autofahrt zum Flughafen überlegen. Schließlich würde ich dank Estelle ausgiebig Zeit dafür finden, da sie mich mitten in der Rushhour einmal quer durch die Stadt jagte.
***
Unmotiviert sichtete er die eingegangen Emails auf seinem Handy. Der Flug hatte gerade mal drei Stunden gedauert und dennoch hatte man ihn deutlich spüren lassen, wie unabkömmlich er doch war.
Er hob den Kopf und hielt Ausschau nach seinem Koffer. Zu seiner Verwunderung musste er allerdings feststellen, dass sich das Kofferband noch nicht mal in Bewegung gesetzt hatte. Bevor er sich jedoch erneut seinem Smartphone zuwenden konnte, fiel sein Blick auf eine ältere, hagere Dame im Pelzmantel, die eine sehr viel jüngere Frau schroff zurechtwies und ihr unmissverständlich klarmachte, dass man sie nicht warten ließ.
Trotz des Altersunterschieds zwischen der Dame und seiner Mandantin, zog er unweigerlich einige Parallelen und erinnerte sich an die Situation vor zwei Tagen, die ihn gezwungen hatte, Boston für einige Zeit den Rücken zu kehren.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Graham. Ich war all die Jahre eine treusorgende Ehefrau. Meinem Mann hat es nie an etwas gemangelt, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Dabei hatte sie ihm verführerisch zugezwinkert und sich lasziv über die leicht geöffneten Lippen geleckt. »Im Grunde haben wir uns auseinandergelebt. Sie wissen schon: Unüberbrückbare Differenzen. Früher oder später trifft es doch die beste Beziehung. Ich kann so nicht weiterleben und möchte Sie nun bitten, mich bei der Scheidung vor Gericht zu vertreten«, hatte sie schließlich den Grund ihres Erscheinens offenbart.
»Mrs. Cooper, gab es einen Ehevertrag?« Noch ehe er geendet hatte, mokierte sich die gerade noch so beherrschte und aufreizende Person über eine derart unsensible Frage. Kleinlaut hatte sie am Rande eines sich abzeichnenden hollywoodreifen Schwächeanfalls zugegeben, eine solche Abmachung unterzeichnet zu haben.
»Mr. Graham, es ist nun Ihre Aufgabe, für mich das bestmögliche Ergebnis herauszuholen. Schließlich war ich mit diesem alten Sack beinahe fünf Jahre verheiratet. Ich habe ihm meine Jugend geschenkt. Das muss doch in irgendeiner Form in Geld aufgewogen werden. Sehen Sie mich an. In diesem Zustand werde ich sicher so schnell keinen geeigneten Heiratskandidaten mehr finden. Ich muss versorgt sein. Das ist er mir schuldig.«
Während sie sprach, hatte er das aufpolierte Gesicht etwas näher betrachtet. Nase, Kinn und Lippen waren sicherlich gemacht worden. Ohne Zweifel. Leider traf er diese Art von Frau mindestens einmal die Woche in seiner Kanzlei und, wie jedes Mal zuvor, hatte er sich eben in diesem Moment gefragt, warum er sich mit diesen Fällen abgab.
Sein Blick war tiefer geglitten und er war sicher, dass auch ihre Brüste nicht mehr ganz dem entsprachen, was Mutter Natur ihr auf den Weg mitgegeben hatte. Diese Frau war eine einzige Mogelpackung gewesen und mitnichten konnte man davon sprechen, dass sie verbraucht oder gar unvermittelbar aussah.
Die wasserstoffgefärbte blonde Barbiepuppe würde sich bald den nächsten Junggesellen jenseits der Fünfzig unter den Nagel reißen. Er wusste nur zu gut, dass Mrs. Cooper nicht die Wahrheit gesprochen hatte. Mit Sicherheit nicht.
Diese Frauen hatten einen besseren Fisch an der Angel mit noch mehr Geld und Ferienhäusern auf Hawaii und wollten dringend ihre Altlasten abschütteln. Dies allerdings nicht, ohne den möglichst größten Profit aus der entbehrungsreichen Zeit der noch bestehenden Ehe zu schlagen.
Immer wieder das Gleiche. Brian hatte diese Abgeklärtheit einfach nicht mehr ertragen. Am Anfang war es regelrecht tröstlich gewesen zu sehen, wie gefühlskalt diese Welt wirklich war. Diese Distanz ermöglichte es ihm, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Gefühle waren nicht wichtig. Umso besser man lernte, diese im Zaum zu halten, desto leichter war es.
Dennoch hatte er an diesem Tag einen leichten Stich an der Stelle verspürt, wo sich sein Herz befand. Vielleicht war es an der Zeit gewesen, etwas Abstand von seinem Alltag zu gewinnen. Dr. Bennett riet ihm seit langem zu einem Tapetenwechsel, um mal auf andere Gedanken zu kommen.
Nachdem Mrs. Cooper endlich gegangen war, hatte er auf die Sprechanlage in seinem Büro gedrückt und seine Sekretärin gebeten, ihm ein Flugticket nach Chicago zu buchen.
Mit einem Ruck hob er seinen Koffer von dem Band, das inzwischen seine Runden drehte. Dabei blickte er noch einmal in das Gesicht der jungen Frau, die noch immer stoisch die Standpauke über sich ergehen ließ. Ihre Augen glichen dem Blau des Himmels und ihre Haut erinnerte ihn stark an das gute, weiße Porzellan, das bei seiner Großmutter nur zu bestimmten Anlässen herausgeholt wurde. Ohne Vorwarnung regte sich bei ihrem Anblick etwas tief in ihm. Vielleicht war es die Hoffnung, irgendwann wieder die schönen Seiten des Lebens spüren zu können. Wer weiß …
***
»Du hast was gemacht?«, schrie Stacy, als ich mich endlich durchgerungen hatte, ihr von meinem Geheimnis zu erzählen. Blöd nur, dass ich ausgerechnet die Kantine des Museums zu dem Ort auserkoren hatte, an dem ich mein Gewissen erleichtern wollte.
Noch viel blöder war allerdings die Tatsache, dass Stacy gerade den ersten Schluck ihres Kaffees zu sich nahm. Sie prustete los, verschluckte sich unglücklich und das End vom Lied war leider mehr als voraussehbar. Unzählige Augenpaare richteten sich auf uns. Mir fiel diese Tatsache sofort auf, Stacy leider nicht.
»Was hat dich bloß dazu bewogen? Wir hätten dir doch geholfen«, plapperte sie in einer Lautstärke munter drauflos, sodass sie bestimmt auch Mildred vorne an der Ausgabe klar und deutlich vernehmen konnte.
»Psst, nicht so laut. Wenn du weiter so herumschreist, weiß es gleich das ganze Haus«, versuchte ich sie zu bremsen. Mit Erfolg. Stacy sah sich kurz im Raum um, blickte mir dann verschwörerisch in die Augen und ergänzte leise: »Wie kam es denn nun dazu?«
»Naja, ich weiß nicht so recht, wie ich sagen soll. Eigentlich wollte ich es einfach mal ausprobieren. Online-Dating machen doch mittlerweile so viele. Außerdem muss ich auch langsam schauen, wo ich bleibe. Schließlich geh ich steil auf die Dreißig zu«, rechtfertigte ich mich zaghaft.
»Aber so?«
»Warum nicht? Ich meine, du hast leicht reden. Schließlich hast du deinen Prinzen auf dem weißen Pferd bereits gefunden. Bei den Männern, die ich bisher kennengelernt habe, hätte ich eben besagtes Tier gut für die Flucht brauchen können.«
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