Die folgenden Wochen sind allerdings mit Arbeit mehr als ausgefüllt, weil der Betrieb mit Hochdruck modernisiert werden soll. Selbst an Sonntagen wird gearbeitet, längere Freizeit gab es einen ganzen Monat über nicht. Das zerrt an Antons Nerven. Würde Jana auf ihn warten?
Aber dann war die stärkste Belastung vom Tisch, es gab wieder arbeitsfreie Wochenenden, ab Samstag Mittag bis Sonntagabend. Herrlich, nach der stressigen Zeit. Gleich am Ersten dieser freien Tage richtete sich Anton landfein zu und nahm den Weg unter die Schuhsohlen. Es wunderte die Leute, denen er begegnete, denn man sah den Rübenauer sonst selten in Sonntagskleidern. Über die Ortsgrenze kam er im Allgemeinen nie hinaus. Was ist mit dem los, rätselte das Dorf. Hier hatte er außer Freunden keine Liebschaft. Aber irgendetwas dahin gehendes wird es ja sein, weshalb sonst schmiss Anton sich in sein Azihzeich?
»Bist a Homberich, (ein Verliebter) un wer ischt de?« wurde er süffisant gefragt, doch er blieb stumm, sagte es nicht einmal der Familie. Es könnte ja schief laufen, er blitzt ab, und dann wäre Anton blamiert, wie er sich einbildet. Nein, seine Liebschaft solle, zumindest vorerst, ein Geheimnis bleiben.
Frühmorgens, bei Sauwattre, gings los . Es hatte die ganze Nacht in Strömen gegossen. Aber Erzgebirgler sind derartige Wetterlagen gewöhnt, lange Fußmärsche ebenfalls, und wenn`s gießt, hat man halt seinen Lebrziehr odre a Lodn dabei.
Am Grenzübergang wunderten sich die Zöllner.
» Saa eemol, Andon, bist du net Gscheit, bei dieset Hundswatre ins Böhmische, was host do zugssuchen. Willst etwa Strohrum schmuggeln?«
» Ach loßt mi, hab in Kalek was zubsorge, bin scho spat dro. «
Die Grenzbeamten vermochten sich keinen Reim zu machen, aber ein Spion wird er doch nicht sein?
» Wenn kimmste denn zurugge?« »Emende scho ball, emende arscht heit Omd« war die Antwort; mit der Entgegnung lief er weiter.
Triefend nass kam er just wieder zur Kirchzeit in Kalek an, ihm fror und er schüttelte das regennasse Zeug. Unter ihm bildete sich eine ansehnliche Pfütze. Es sah aus, als wäre er undicht. setzte sich in die letzte Bankreihe, nahe am Eingang, und wartete. Würde Janek mit ihrem Vater auch heute kommen?
Trotz dieses Wetters wird die Kirche proppenvoll. Katholiken lassen sich selbst bei einem solchen Regentag vom Kirchgang nicht abhalten. Dr Aadacht ist unerlässlich für de Leit, die geben ohne gewichtigen Grund keinesfalls den Besuch der Messe auf. Man ist gläubig, und der Pfarrer merkt sich, wer nicht zugegen ist. Das könnte irgendwo nachteilig vermerkt werden, argwöhnt das gewöhnliche Volk.
Der Ablauf des kath. Gottesdienstes ist für Anton ungewöhnlich. Aber was unternimmt man nicht alles, um einer Zuneigung nachzugehen. Da es nun mal keine Telefonverbindung gibt, ist der Kirchenbesuch für ihn die passendste Gelegenheit. Da nimmt man den Weg selbst bei einem solchen Wetter auf sich.
Wie beim ersten Mal hatte er ein glückliches Händchen, wieder wurde Jana am Arm ihres Vaters aus der Kirche geführt. Es gab ein freudiges Wiedersehen, sodass Antons Befürchtung, dass ihre Begegnung vor Wochen nur ein Einzelerlebnis war, also nicht zutraf.
Besonders heute bei diesem Sauwattr war das Wirtshaus der angemessenste Ort für ihre Gespräche. Bei Pils und einem Glas Wein für die Jana wurde man sich lässig vertrauter – doch der Vatr war immer dabei. Es sind keine Ausdrucksfehler, wenn wiederholt erzgebirglerische Wörter fallen, die ebenso im tschechischen Böhmen verstanden werden. Heute ging es hoch her im Wirtshaus, denn es war Kirmes in Kalek. Da hat man sich leider nicht das passendste Wetter ausgesucht. Besucher aus dem nicht weit entfernt gelegenen Načetin sind ebenfalls da. Es ist somit ein echtes Ortsgemisch anwesend, der Rübenauer Anton, Kaleker und Načetiner trafen bei diesem Dreckwetter zusammen. Und mittendrin die beiden Verliebten. Sind es von Amors Pfeil getroffene? Anton, ja, er hat Feuer gefangen. Jana auch?
Das ergab wiederum ein großes Potenzial an Ärger, denn Jana ist der Schwarm mancher Kaleker Knaben. Finstere Blicke hatte der Deutsche bereits bei seinem ersten Besuch bemerkt. Vor Wochen meinte die junge Garde, das sei nur eine Eintagsfliege, der Grenzgänger würde sich bestimmt nicht wieder sehen lassen. Drüben über der Grenze gibt es doch ebenso reizende Mädchen. Weshalb muss es denn ausgerechnet eine aus Böhmen sein? Niemand rechnete mit der Hartnäckigkeit dieses Anton aus Rübenau.
Jetzo war der Kerl also erneut da, er schien ganz offensichtlich darauf auszusein, ihnen Jana auszuspannen. Dem werden wir einen Denkzettel verpassen, der ihm das Wiederkommen ein für alle Male verleidet. Bloß wie? Und wann? Und wo?
Anton spendierte wieder ein Mittagessen für drei. Über ihre Gespräche wurde es Nachmittag, der Regen hatte nachgelassen. Es tröpfelte lediglich noch, man kann sich nach draußen trauen, und gemeinsam sucht man den Kirmesplatz auf. Der Umtrunk im Gasthaus hat sie leicht angeheitert, der Deutsche trug seine Verliebtheit offen zur Schau. Votr Plicka blieb dabei, er hatte ebenfalls die angespannte Stimmung unter den Jugendlichen bemerkt und wollte durch seine ständige Anwesenheit eine denkbare Prügelei verhindern.
Sobald verschiedene Dörfler aufeinandertreffen, ist es nie ausgeschlossen, dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Das ist in Tschechien nicht anders als anderswo. Es interessierte Janas Votr jedoch weniger. Sollen die sich doch prügeln, wenn ihnen danach ist. Er hatte da früher ebenso nicht neigspuckt. Heute fühlte er aber so etwas wie Verantwortung für seinen deutschen Gast.
Man kennt derartige Dorfveranstaltungen, die überall zur Belustigung der dörflichen Bevölkerung ausgerichtet werden. Für die Kleinsten gibt es Kinderkarussells, manchmal auch Ponyreiten. Lebkuchen- und Eisbuden gehören dazu, Scherenschnitter, die behände echte Profile schneiden. Für die älteren und die es sich trauen den 'Hau den Lukas' und Schießbuden. Losverkäufer warben für die Buden, wo man riesengroße Teddys, Pot un Pann und anderen Schnickschnack gewinnen kann. Alle diese Vergnügungsmöglichkeiten sind hier vorhanden. Die Jahrmarktbeschicker warten auf Kundschaft.
Als Erstes kaufte Anton seiner Jana –, als solche betrachtete er sie bereits-, ein Lebkuchenherz mit der dezenten Aufschrift Heute – und das Heute war dick unterstrichen – bin ich dein . Damit vermag man nichts falsch zu machen. Dachte er sich so.
Jana ließ es sich gefallen, aber etwas verschämt war sie doch. Scherzend bummelten die drei über den Platz. Als sie an einer der Schießbuden vorbeikamen, wollten die beiden Männer ihre Schießkünste beweisen und irgendwelche billigen Trophäen abschießen. Janas Vater hatte auch als Soldat gedient, am folgenschweren Krieg mit der k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn teilgenommen und in den Schützengräben vor Verdun gelegen. ungezählte andere erlebt er das Gemetzel dort, hatte Glück und war unbeschadet wieder in die Heimat zurückgekommen.
Er ist ein passabler Schütze und hatte das Alpenländische Schützenabzeichen in Gold erhalten. Er war siegesgewiss, jetzt beim Figurenschießen. Trotzdem, die Soldatenzeit ist ein dunkles Kapitel in seinem Leben. Anton, der Waffenschmied und Büchsenmacher, besitzt ebenfalls exzellente Erfahrungen, und so trafen in Kalek zu Friedenszeiten auf dem Jahrmarkt zwei Experten aufeinander. Da wollte natürlich jeder nachweisen, was in ihm steckt. Beide bemühten sich, möglichst oft in die zwölf zu treffen.
Der Budenbesitzer kannte die Fähigkeiten der Schützen nicht, meinte, da stünden gewöhnliche Kirmesbesucher vor ihm. Je mehr Fehlschüsse, je üppiger der Gewinn für ihn, war sein Kalkül. Er sollte sich gewaltig täuschen.
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