»Das ist ja schrecklich! wie lange ist denn die Sache schon im Gange?«
»Ich habe erst gestern etwas davon erfahren. Die Hochzeit soll in sechs Wochen sein.«
»Nun, mein liebes Kind, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Schwager.«
»Es tut mir so leid um Dorothea.«
»Leid? Ich denke doch, es ist ihre eigene freie Wahl.«
»Ja, sie sagt, Herr Casaubon habe eine große Seele.«
»Das will ich gern zugeben.«
»O, Frau Cadwallader, ich kann es mir nicht angenehm vorstellen, einen Mann mit einer großen Seele zu heiraten.«
»Nun, mein Kind, lassen Sie sich das als Warnung dienen. Sie wissen jetzt, wie ein Mann mit einer großen Seele aussieht; wenn nun noch einer kommt und Sie heiraten will, so lehnen Sie seinen Antrag ab.«
»Das würde ich ganz gewiß tun.«
»Nein wahrhaftig; Einer von der Sorte in der Familie ist ganz genug. Ihre Schwester hat sich also nie etwas aus Sir James Chettam gemacht? Wie würde der Ihnen als Schwager gefallen haben?«
»O sehr gut. Ich bin überzeugt, der würde ein guter Ehemann geworden sein. Nur,« fügte Celia mit einem leichten Erröten hinzu, – bisweilen schien sie das bloße Atmen erröten zu machen, – »nur glaube ich nicht, daß er für Dorothea gepaßt haben würde.«
»Nicht hochtrabend genug für sie, wie?«
»Dora ist sehr streng in ihrem Urteile. Sie denkt über Alles soviel nach und nimmt es so genau mit jedem Worte, das Jemand spricht. Sir James schien ihr nie zu gefallen.«
»Sie muß ihn aber doch ermutigt haben, und das macht ihr nicht grade sehr viel Ehre.«
»Bitte, seien Sie nicht böse auf Dora, sie sieht ja die Dinge nicht wie ein anderer Mensch. Sie hat sich so viel mit den Arbeiterwohnungen beschäftigt und war doch bisweilen förmlich grob gegen Sir James; aber er ist so gut, er nahm nie Notiz davon.«
»Nun,« sagte Frau Cadwallader, indem sie ihren Schal wieder umnahm und aufstand, als ob sie eilig sei, »ich muß gradeswegs zu Sir James und ihm diese Nachricht mitteilen. Er wird eben mit seiner Mutter nach Hause zurückgekehrt sein, da muß ich einen Besuch machen. Ihr Onkel würde es ihm nie sagen. Die Sache ist für uns Alle eine große Enttäuschung, mein liebes Kind. Junge Leute sollten beim Heiraten auch ein wenig an ihre Familien denken. Ich selbst habe ein schlechtes Beispiel gegeben, als ich einen armen Geistlichen heiratete und mich zu einem Gegenstande des Mitleids für die de Bracys machte, – in meiner kümmerlichen Lage, wo ich genötigt bin, mir meine Kohlen durch eine Kriegslist zu verschaffen und den Himmel um mein Salatöl zu bitten. Indessen Casaubon hat Geld genug, die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen. Was seine Herkunft anlangt, so besteht sein Familienwappen, glaube ich, aus drei Tintenfischen auf schwarzem Grunde und einem aufrechtstehenden Kommentator. Beiläufig, liebes Kind, ehe ich fortgehe, muß ich mit Ihrer Frau Carter über Pastetenteig reden. Ich möchte meine junge Köchin zu ihr schicken, damit sie etwas von ihr lerne. Arme Leute mit vier Kindern, wie wir, wissen Sie, können keine gute Köchin halten. Frau Carter tut mir das gewiß zu Gefallen. Sir James' Köchin ist ein wahrer Drache.«
In weniger als einer Stunde hatte Frau Cadwallader Frau Carter für sich gewonnen und war zu Sir James Chettam nach Freshitt Hall gefahren, welches nicht weit von ihrer eigenen Wohnung entfernt lag, da ihr Mann sein Domizil in Freshitt hatte und sich in Tipton einen Vikar hielt.
Sir James Chettam war von seiner mehrtägigen Reise grade zurückgekehrt und hatte eben Toilette gemacht, um nach Tipton-Hof hinüberzureiten. Sein Pferd stand schon gesattelt vor der Tür, als Frau Cadwallader vorfuhr, und er selbst erschien sofort, die Peitsche in der Hand. Lady Chettam war noch nicht zurückgekehrt; aber Frau Cadwallader konnte sich ihrer Mission nicht in Gegenwart des Reitknechts entledigen; sie bat Sir James daher, sie in das dicht bei dem Hause befindliche Treibhaus zu bringen, wo sie sich die neuen Pflanzen ansehen möchte, und hier sagte sie, indem sie tat, als ob sie die Blumen in Augenschein nehme:
»Ich habe Ihnen eine schlimme Nachricht mitzuteilen; ich hoffe, Sie sind nicht ganz so verliebt, wie Sie es mich glauben machen wollen.«
An die eigentümliche Ausdrucksweise Frau Cadwallader's war Sir James schon gewöhnt. Aber ihre jetzige Anrede brachte ihn doch ein wenig aus der Fassung. Er konnte sich einer vagen Besorgnis nicht erwehren.
»Ich fürchte, Brooke wird sich schließlich doch noch bloß stellen. Als ich ihm grade ins Gesicht sagte, er habe die Absicht, sich als Kandidat der Liberalen für Middlemarch aufstellen zu lassen, machte er eine verlegene Miene, wagte es nicht zu leugnen und sprach von seiner unabhängigen Richtung, und was dergleichen bekannte abgeschmackte Redensarten mehr sind.«
»Ist das Alles,« fragte Sir James aufatmend.
»Wie so,« fragte Frau Cadwallader in schärferem Tone, »Sie wollen doch nicht sagen, daß es Ihnen angenehm wäre, wenn Brooke in dieser Weise an die Öffentlichkeit träte und sich zu einer Art von politischem Hansnarren machte?«
»Sollte man ihm davon nicht abraten können? Ich glaube, er würde schon die damit verbundenen Kosten scheuen.«
»Das habe ich ihm auch gesagt, an dieser verwundbaren Stelle kann man ihn noch am Besten fassen; bei Allem, was er sagt und tut, kommt ja immer auf einen Gran gesunden Menschenverstand eine Unze Knickerei. Knickerei ist eine vortreffliche Familieneigenschaft; es gibt keinen besseren Ableiter gegen Verrücktheit als solche kleinen Verdrehtheiten. Und einen kleinen Sparren müssen sie doch Alle in der Brooke'schen Familie haben, sonst würden wir nicht erleben, was wir eben vor sich gehen sehen.«
»Was? Daß Brooke sich als Kandidat für Middlemarch aufstellen läßt?«
»Nein, etwas Schlimmeres. Ich fühle mich wirklich ein wenig verantwortlich. Ich habe Ihnen immer gesagt, Dorothea Brooke würde eine so schöne Partie für Sie sein. Ich wußte wohl, daß sie sehr viel Unsinn im Kopfe habe, verschrobene methodistische Ideen. Aber solche Dinge pflegen sich bei Mädchen bald abzunutzen. Dieses Mal aber bin ich selbst sehr überrascht.«
»Was wollen Sie damit sagen, Frau Cadwallader,« fragte Sir James. Im ersten Moment fürchtete er, daß Dorothea fortgelaufen sein könne, um sich den Mährischen Brüdern oder einer anderen albernen in der guten Gesellschaft unbekannten Sekte anzuschließen, beruhigte sich aber dann wieder einigermaßen, als er sich erinnerte, daß Frau Cadwallader immer Alles im schlimmsten Lichte darzustellen pflege. »Was ist mit Fräulein Brooke geschehen? Bitte sprechen Sie es aus.«
»Nun denn. Sie hat sich verlobt.« Frau Cadwallader hielt einen Augenblick inne und beobachtete den Ausdruck tiefer Enttäuschung auf dem Gesichte ihres Freundes, welcher seine Gefühle vergebens hinter einem nervösen Lächeln zu verbergen suchte, während er sich mit der Peitsche aus den Stiefel klopfte; sie fügte aber alsbald hinzu: »Verlobt mit Casaubon.«
Sir James ließ seine Peitsche fallen und bückte sich, sie wieder aufzuheben. Vielleicht hatte sein Gesicht noch nie einen Ausdruck so konzentrierten Widerwillens gezeigt, als da er sich jetzt wieder an Frau Cadwallader wandte und wiederholte: »Casaubon?«
»Ganz richtig. Sie kennen jetzt den Zweck meines Besuches.«
»Guter Gott, das ist furchtbar, der Mensch ist ja eine wahre Mumie,« – ein Gleichnis, das man schon einem blühenden, enttäuschten Liebhaber zu Gute halten muß.
»Sie sagt, er sei eine große Seele. – Ich sage, er ist eine große Schweinsblase, in der getrocknete Erbsen rasseln!« bemerkte Frau Cadwallader.
»Was braucht denn ein solcher alter Junggeselle sich noch zu verheiraten?« sagte wieder Sir James. »Er steht ja schon mit einem Fuße im Grabe.«
»Er scheint ihn aber wieder herausziehen zu wollen.«
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