»Laß sie,« sagte sich Frau Cadwallader und wiederholte es ihrem Manne, »ich gebe sie auf. Wenn sie Sir James geheiratet hätte, wäre möglicherweise noch eine verständige Frau aus ihr geworden. Er würde ihr nie widersprochen haben, und wenn eine Frau auf keinen Widerspruch stößt, so hat sie keinen Grund, auf ihren Absurditäten zu beharren. Aber jetzt wünsche ich ihr Glück zu ihrem härenen Gewande.«
Die ganz natürliche Folge dieses Ereignisses war, daß Frau Cadwallader nun auf eine andere Partie für Sir James bedacht sein mußte, und da sie entschlossen war, ihn jetzt mit der jüngeren Schwester zu verheiraten, hätte sie sich keiner geschickteren Wendung zur Erreichung ihres Zweckes bedienen können, als indem sie dem Baronet zu verstehen gab, daß er einen Eindruck auf Celien's Herz gemacht habe. Es konnte ihn nicht angenehm berühren, daß das Mädchen, welchem er den Vorzug gegeben hatte, ihm einen Andern vorzog, und so hatte die Nachricht, daß Dorothea Casaubon gewählt habe, seiner Neigung schon einen argen Stoß versetzt. Obgleich Sir James ein leidenschaftlicher Jagdliebhaber war, hatte er doch andere Empfindungen für Frauen als für Birkhühner und Füchse und betrachtete sein künftiges Weib nicht im Lichte einer Beute, deren vorzüglichster Wert in der durch sie hervorgerufenen Aufregung der Jagd bestehen würde. Im Gegenteil hatte er jene liebenswürdige Eitelkeit, welche uns mit denen verknüpft, die uns lieben und uns denen abgeneigt macht, die sich gleichgültig gegen uns verhalten, und hatte eine gute dankbare Natur; der bloße Gedanke, daß ein Weib ihm freundlich gesinnt sei, spann kleine Fäden der Zärtlichkeit zwischen seinem und ihrem Herzen.
So geschah es, daß Sir James, nachdem er eine halbe Stunde lang ziemlich rasch in einer dem Wege nach Tipton-Hof entgegengesetzten Richtung geritten war, langsamer zu reiten anfing und endlich in einen Weg einlenkte, der ihn in kürzerer Zeit wieder nach Hause zurückbringen sollte. Verschiedene Gefühle arbeiteten in ihm und brachten ihn endlich doch zu dem Entschluss, heute nach Tipton-Hof zu gehen, als ob nichts vorgefallen wäre. Er konnte nicht umhin, sich darüber zu freuen, daß er Dorotheen nie einen Antrag gemacht und daher auch keinen Korb von ihr erhalten habe; schon die bloße Höflichkeit verlangte es, daß er einen Besuch mache, um mit Dorotheen wegen der Arbeiterwohnungen zu sprechen, und nun war er ja auch glücklicher Weise durch Frau Cadwallader darauf vorbereitet, erforderlichenfalls ohne allzu große Verlegenheit seinen Glückwunsch darzubringen.
Die Sache tat ihm wirklich leid; Dorothea aufgeben zu müssen, war sehr schmerzlich für ihn, aber in dem Entschluss, alle seine Gefühle zu bezwingen und sofort diesen Besuch zu machen, lag für ihn eine Art von Beschwichtigungsmittel, und ohne daß er sich dieses Antriebes klar bewußt gewesen wäre, wirkte auf ihn unzweifelhaft auch die Vorstellung, daß Celia zugegen sein und daß er ihr mehr Aufmerksamkeit zuwenden werde, als er es bisher getan hatte.
Wir Sterblichen, Männer und Frauen, schlucken Alle manche bittere Enttäuschung zwischen Frühstück und Mittagessen herunter, drängen unsere Tränen zurück, sehen ein wenig bleich aus und antworten, wenn wir gefragt werden, was uns fehle: »O Nichts!« Stolz hilft uns, und der Stolz ist kein verächtlich Ding, so lange er uns nur antreibt, unsere eigenen Kränkungen, nicht die Kränkungen Anderer zu verbergen.
Piacer e popone
Vuol la sua stagione.
Italienisches Sprichwort
Casaubon brachte natürlich einen großen Teil seiner Zeit in diesen Wochen auf Tipton-Hof zu und die durch seinen Brautstand verursachten Störungen in dem Fortgang seiner großen Arbeit, des »Schlüssel zu allen Mythologien,« ließen ihn natürlich um so sehnlicher den Augenblick erwarten, wo dieser Brautstand sein Ende erreicht haben würde. Aber er hatte sich diese Störungen wohlüberlegter Weise bereitet, da er zu der Überzeugung gelangt war, daß jetzt die Zeit für ihn gekommen sei, sein Leben mit den Reizen einer weiblichen Umgebung zu schmücken; die trüben Momente, welche bei einem so arbeitsamen Leben in den Pausen der Ermüdung unausbleiblich waren, durch die Anmut weiblicher Unterhaltung zu erheitern und sich jetzt, auf der Höhe des Lebens, den Trost weiblicher Pflege für die Jahre des Alters zu sichern. Daher hatte er beschlossen, sich dem Strome seiner Empfindungen rückhaltlos hinzugeben, und wurde, vielleicht zu seiner großen Überraschung, inne, daß dieser Gefühlsstrom nur ein äußerst flaches Wässerchen sei. Gleich wie die ursprüngliche Taufe durch Untertauchen in wasserarmen Gegenden nur symbolisch vorgenommen werden konnte, so fand Casaubon, daß die tiefsten Stellen seines Gefühlsstromes doch nur so viel Wasser enthielten, um eine leichte Besprengung damit zu ermöglichen, und er schloss daraus, daß die Dichter doch die Gewalt männlicher Leidenschaft sehr übertrieben haben müßten. Gleichwohl beobachtete er mit Vergnügen, daß Dorothea ihm eine glühende Neigung und Hingebung bewies, in welcher er eine Gewähr der Erfüllung seiner angenehmsten Voraussichten für die Ehe erblickte. Ein paar Mal hatte er sich gefragt, ob vielleicht ein Mangel in Dorotheen's Wesen an der Kühle seiner Empfindungen Schuld sei; aber er vermochte weder einen solchen Mangel zu entdecken, noch sich überhaupt ein weibliches Wesen vorzustellen, welches ihm besser gefallen könnte als Dorothea, und so blieb nichts anderes übrig als wieder die menschlichen Übertreibungen für das, was ihn in seinem Gemütszustand anfänglich überrascht hatte, verantwortlich zu machen.
»Könnte ich mich nicht schon jetzt darauf vorbereiten, mich Ihnen später nützlich zu machen?« fragte Dorothea eines Morgens kurz nach ihrer Verlobung, »könnten Sie mich nicht lehren, Ihnen griechisch und lateinisch laut vorzulesen, wie Milton's Töchter ihrem Vater vorlasen, ohne das Gelesene zu verstehen?«
»Ich fürchte, das würde zu langweilig für Sie sein,« erwiderte Casaubon lächelnd, »und wenn ich mich recht erinnere, betrachteten die von Ihnen erwähnten jungen Damen jenes Exerzitium in für sie unverständlichen Sprachen als einen Grund zur Auflehnung gegen den Dichter.«
»Das ist wohl wahr; aber erstens waren es sehr unartige Mädchen, sonst würden sie stolz darauf gewesen sein, sich einem solchen Vater nützlich machen zu können, und zweitens hätten sie für sich studieren und sich selbst lehren können, das was sie lesen mußten, zu verstehen, und dann würde es sie auch interessiert haben. Sie denken doch hoffentlich nicht von mir, daß ich mich unartig und dumm benehmen werde.«
»Ich denke von Ihnen, daß Sie den höchsten Erwartungen, welche man von einer ausgezeichneten jungen Dame hegen darf, in allen Verhältnissen des Lebens entsprechen werden. Ohne Zweifel würde es von großem Nutzen für mich sein, wenn Sie im Stande wären, griechische Lettern zu kopieren, und zu diesem Zwecke möchte es förderlich für Sie sein, wenn Sie sich zuerst ein wenig im Lesen übten.«
Dorothea ergriff diese Äußerung sofort als ein köstliches Zugeständnis. Sie würde es nicht gewagt haben, Casaubon gleich zu bitten, sie die Sprache zu lehren; denn sie fürchtete nichts mehr, als lästig zu werden, anstatt sich nützlich zu machen. Indessen entsprang ihr Wunsch, griechisch und lateinisch zu wissen, nicht lediglich der hingebenden Beflissenheit für ihren Gatten; diese Gebiete männlichen Wissens erschienen ihr als ein fester Grund, von welchem aus alle Wahrheiten mit größerer Sicherheit erkannt werden könnten. Jetzt zog sie im Gefühle ihrer Unwissenheit fortwährend die Richtigkeit ihrer eigenen Schlüsse in Zweifel; wie konnte sie Vertrauen zu ihrer Ansicht haben, daß Arbeiterwohnungen, die aus einem einzigen Raume bestanden, nicht zur Ehre Gottes errichtet sein könnten, wenn Männer, welche in den klassischen Sprachen bewandert waren, jene Arbeiterwohnungen mit der Ehre Gottes verträglich zu finden schienen. Vielleicht, daß selbst Hebräisch notwendig wäre, wenigstens das Alphabet und einige Wurzeln, um in den Kern der Dinge eindringen und sich ein gesundes Urteil über die sozialen Pflichten eines Christen bilden zu können.
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