LUNATA
Middlemarch
Eine Studie über das Leben in der Provinz
George Eliot
Middlemarch
Eine Studie über das Leben in der Provinz
Band 1
© 1881 George Eliot
Aus dem Englischen von Emil Lehmann
© Lunata Berlin 2020
Präludium
1. Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
2. Buch
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
3. Buch
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
4. Buch
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
5. Buch
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
6. Buch
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
7. Buch
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
8. Buch
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Finale
Wer von Allen, denen daran gelegen ist, sich mit der Geschichte des Menschen bekannt zu machen und zu erforschen, wie dieses geheimnisvolle Wesen sich unter den mannigfachen Einwirkungen der Zeit entwickelt hat, hätte nicht einmal, wenn auch nur flüchtig, bei dem Leben der heiligen Therese verweilt und hätte nicht mild gelächelt bei dem Gedanken an das kleine Mädchen, das sich eines Morgens Hand in Hand mit seinem noch kleineren Bruder aufmachte, um nach dem Lande der Mauren zu gehen und dort ein Märtyrertum aufzusuchen? Fort trippelten sie von dem wilden Avila, die Augen weit geöffnet und hilflos aussehend wie zwei scheue Rehe, aber mit menschlich fühlenden Herzen, die bereits für eine große Idee schlugen, bis ihnen die raue Wirklichkeit in Gestalt eines Oheims entgegentrat, welcher sie von der Ausführung ihres Vorhabens zurückhielt. Diese kindliche Pilgerfahrt war für Therese ein angemessener Beginn ihrer Lebenslaufbahn. Ihre leidenschaftliche, ideale Natur verlangte nach einem tatenreichen Leben. Was konnten ihr vielbändige Ritterromane, was die gesellschaftlichen Erfolge, welche sie als glänzend begabtes Mädchen zu erwarten hatte, bieten? Die in ihr lodernde Flamme hatte so leichte Nahrung bald aufgezehrt und dürstete, von innen genährt, nach einer schrankenlosen Befriedigung, nach einem Lebenszweck, welcher, jede Erschöpfung ausschließend, die Verzweiflung der Seele an sich selbst durch das entzückende Bewusstsein eines über die Beschränktheit des eigenen Ich's hinausragenden Lebens überwinden würde. Sie fand das Epos ihres Lebens in der Reform eines geistlichen Ordens.
Diese spanische Frau, welche vor dreihundert Jahren lebte, war gewiß nicht die letzte ihrer Art. Viele Theresen sind seitdem geboren, welche kein Leben für sich fanden, das ihnen zu unausgesetzter Entfaltung ihrer Tatkraft Gelegenheit gegeben hätte; – vielleicht nur ein Leben voll Enttäuschungen, wie sie aus dem unglücklichen Zusammentreffen einer gewissen Seelengröße mit der Kleinheit der Verhältnisse hervorgehen, vielleicht ein tragisch verfehltes Leben, welches keinen heiligen Sänger fand und unbeweint in Vergessenheit versank. Mit trüber Geisteshelle und in verwickelten Verhältnissen versuchten sie es, ihre Gedanken und ihre Handlungen in harmonischen Einklang zu bringen; den Augen gewöhnlicher Sterblicher erschien aber ihr Ringen nur als unzusammenhängend und gestaltlos. Denn diesen später geborenen Theresen stand kein einigendes Band eines gesellschaftlichen Glaubens und Ordens, welches für die glühend strebende Seele das Wissen hätte ersetzen können, helfend zur Seite. Die Glut ihrer Seele schwankte zwischen einem vagen Ideal und dem gemeinen Verlangen der weiblichen Natur unsicher hin und her, so daß das Eine als Extravaganz gemissbilligt und das Andere als Fehltritt verurteilt wurde.
Manche haben geglaubt, daß diese in unsicherem Schwanken irrend verbrachten Existenzen ihren Grund in der unklaren Unbestimmtheit haben, mit welcher es dem höchsten Wesen gefallen hat, die weibliche Natur auszustatten. Wenn es ein Niveau weiblicher Unzulänglichkeit gäbe, das so scharf präzisiert wäre, wie die Fähigkeit, drei zu zählen und nicht weiter, so möchte sich das gesellschaftliche Los der Frauen mit wissenschaftlicher Sicherheit behandeln lassen. Aber die unklare Unbestimmtheit ist da, und die Grenzen, innerhalb deren dieselbe hin- und herschwankt, sind in der Tat viel weiter gesteckt, als diejenigen sich träumen lassen, die nur an die Gleichmäßigkeit weiblicher Frisuren und an die beliebten Liebesgeschichten in Prosa und in Versen denken. Dann und wann wird ein junger Schwan zu seinem eigenen Unbehagen unter den jungen Enten im trüben Teiche auferzogen und findet nie den lebendigen Strom, auf dem er in Gesellschaft der ruderfüßigen Genossen seines Geschlechts dahinschwimmen könnte. Von Zeit zu Zeit wird eine heilige Therese geboren, die nichts gründet, deren bebende Herzschläge und Seufzer nach einer unerreichten Tugend sich schwankend an störenden Verhältnissen verzehren, anstatt sich in einer dauernden Tat zu konzentrieren.
1. Buch
Since I can do no good because a woman,
Reach constantly at something that is near it.
Beaumont and Fletcher: The Maid's Tragedy
Dorothea Brooke gehörte zu jenen Schönheiten, denen eine dürftige Kleidung zur Erhöhung ihrer Reize zu dienen scheint. Ihre Hand und ihr Handgelenk waren so schön geformt, daß sie getrost Ärmel tragen konnte, welche ebenso stillos waren, wie die, in welchen die heilige Jungfrau den alten italienischen Meistern erschien, und ihr Profil sowohl, wie ihre ganze Gestalt und ihr Behaben, schienen durch ihre einfache Kleidung nur an Würde zu gewinnen, so daß ihre ganze Erscheinung inmitten der Modedamen der Provinz den Eindruck eines schönen Zitats aus der Bibel – oder aus einem alten Dichter – in einem Zeitungsartikel machte.
Man bezeichnete sie allgemein als sehr gescheit, fügte aber regelmäßig hinzu, daß ihre Schwester Celia mehr gesunden Menschenverstand habe. Gleichwohl trug Celia kaum mehr Besatz an ihren Kleidern, und nur sehr scharfe Beobachter nahmen wahr, daß ihre Kleidung sich doch in Etwas von der ihrer Schwester unterschied und mit einer Nuance von weiblicher Koketterie arrangiert war; denn die einfache Toilette Dorothea Brooke's hatte ihren Grund in verschiedenen Ursachen, von denen die meisten auch für ihre Schwester maßgebend waren.
Das stolze Bewusstsein, Ladies zu sein, war eine dieser Ursachen: die Familie der Brooke's war, wenn auch nicht gerade eine aristokratische, doch unstreitig eine sehr gute; wenn man ihrer Herkunft eine oder zwei Generationen weit nachging, so fand man unter den Voreltern keine Handwerker oder Detaillisten, sondern nichts Geringeres als einen Admiral und einen Geistlichen; und wenn man den Stammbaum noch weiter zurückverfolgte, so kam man auf einen puritanischen Gentleman, der unter Cromwell gedient, sich aber später wieder der Staatskirche angeschlossen und sich als Eigentümer eines respektablen Grundbesitzes allen politischen Verfolgungen zu entziehen gewußt hatte. Junge Damen von solcher Herkunft, welche in einem ruhigen Hause auf dem Lande lebten und eine Dorfkirche besuchten, die kaum größer war, als ein Wohnzimmer, betrachteten natürlich allen Putz als den Gegenstand des Ehrgeizes einer Hökerstochter. Ferner bestand in guten Familien damals noch eine Ökonomie, welche die Toilette als denjenigen Ausgabeposten betrachtete, welcher sich am ersten zu einer Einschränkung eigne, wenn es notwendig erschien, gerade im Interesse der gesellschaftlichen Stellung das Budget durch Vergrößerung anderer Ausgaben zu belasten.
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