Als sie sich ihr altes Malerhemd angezogen hatte, besah sie sich ein letztes Mal ihr blondes langes Haar.
»Bye bye, Barbiepuppe«, murmelte Lou, riss entschlossen die Packung auf, schüttete die Färbemittel ineinander und zog die Plastikhandschuhe über. Akkurat verteilte sie den stinkenden pinkfarbenen Brei auf ihrem Kopf. Vorsichtig wusch sie die Handschuhe ab, legte diese für später beiseite. Dann drehte sie die Wasserhähne der Badewanne auf. Glücklicherweise reichte das warme Wasser doch bis zu den Düsen.
O Wunder!
Begeistert nahm sie in der blubbernden Wanne Platz. Das Bad war eine Wohltat. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, eine riesige Last würde von ihr abfallen. Tief entspannt sinnierte sie über ihr Leben nach. Was war nur so schrecklich schief gegangen mit ihrer Ehe? Gut, mit gerademal achtzehn war sie ziemlich jung gewesen, als sie den mehr als zehn Jahre älteren Alexander geheiratet hatte. Genau ein Jahr später war Richard zur Welt gekommen. Vier Jahre danach Philipp. Alexander hatte genau zur selben Zeit die familieneigene Firma übernommen. Wenn sie es genau bedachte, hatte es damals schon angefangen.
Aus der hochbegabten Kunststudentin mit Schwerpunkt Werbung war keine gefeierte Künstlerin geworden, sondern ein hochschwangeres, braves Hausmütterchen. Irgendwie, irgendwann hatte Alexander es geschafft, eine Vorzeigeehefrau aus ihr zu machen. Wenn auch nie zur Zufriedenheit ihrer Schwiegereltern. Er hatte sie überhäuft mit Designerklamotten, hatte ihr den teuersten Schmuck gekauft. Urplötzlich hatte sie einen Personal Trainer – einen weiblichen wohlgemerkt, eine Köchin, eine Putzfrau und zu guter Letzt sogar einen eigenen Chauffeur, da ihr Fahrstil angeblich lebensgefährlich war. Aus der bodenständigen Lou Mayer war Louise Schulzinger geworden. Nach und nach waren ihr ihre alten Freunde abhandengekommen. Alle außer Debbie, ihrer allerbesten Freundin. Kein Wunder bei all dem Prunk, bei dem ihre Freunde nicht mithalten konnten. Lou konnte es ihnen nicht verdenken. Ihr Leben hatte damals ziemlich viel von; Aschenputtel wird Prinzessin.
Ihr Vater war schon gestorben, als sie zwölf war. Ihre Mutter starb kurz nach Philipps Geburt. Tobias war alles, was sie noch an Familie hatte. Für Alexander war ihr Bruder ein rotes Tuch, passte er doch mit seiner Homosexualität nicht in das heile Weltbild eines Geschäftsmannes der gehobenen Kreise. Der Mann, den sie abgöttisch liebte, hatte sie in einen goldenen Käfig gesteckt. Er hatte sie mit allem Käuflichen überhäuft. Nur mit Liebe geizte er immer noch.
Alexander ließ sie am langen Arm verhungern. Umso mehr sie sich nach seiner Liebe verzehrt hatte, desto weniger war diese geworden. Keine Umarmungen. Keine Küsse. Seit Jahren herrschte in ihrem Bett Flaute.
An den getrennten Schlafzimmern war letztlich der Rest ihrer Liebe zerbrochen. In einem letzten Anfall von Hilflosigkeit war sie im Trenchcoat, sowie mit Sonnenbrille bewaffnet, wie ein schlechter Agent, übernervös in einer Beate Uhse Filiale eingefallen. Potenztropfen für den Mann hatte sie genauso erstanden wie schrecklich nuttige Reizwäsche. Zuhause hatte sie Alexander die halbe Flasche davon in das Feierabendbier gekippt. Leider war das Ergebnis vernichtend gewesen. Herausgekommen war eine Magenverstimmung und ein mehr als laut schnarchender Mann sowie ein fieser Ausschlag von den Latexeinsätzen der Wäsche. Nach diesem Reinfall hatte sie endgültig aufgegeben.
Sicher, sie war nie prüde gewesen. Natürlich gab es in der heutigen Zeit jede Menge anderer Möglichkeiten, um auch, ohne Mann ein ausgefülltes Sexualleben zu führen. Fakt war jedoch, dass ein Stück Latex oder Gummi keinen Mann aus Fleisch und Blut ersetzen konnte. Das war zumindest ihre Meinung. Langsam wurde das Wasser kalt. Außerdem wurde es höchste Zeit, die Farbe abzuspülen. Leider gab es jetzt allerdings kein warmes Wasser mehr. Lou war gezwungen, sich kalt abzuduschen.
»Typisch!«, schlotterte sie verärgert. Die Farbe würde noch einen Moment bleiben müssen, wo sie war, da sie mit kaltem Wasser sicherlich nicht gut genug abzuspülen war. In ihren Bademantel gehüllt, huschte sie in die Küche, setzte den Wasserkessel auf. Wenigstens verbrannte sie sich dieses Mal beim Anzünden der Herdplatte nicht erneut die Finger. Bis das Wasser kochte, öffnete sie Doc die Tür in den Garten. Nervös betete Lou, dass ihre Haare nach zu langer Einwirkzeit tatsächlich hellbraun waren und nicht etwa pink. Die frische Luft und die erdigen Gerüche, die ihr in die Nase stiegen, ließen die Panik wieder etwas abklingen. Herrlich. Trotz des Wasserfiaskos, das ja eigentlich voraussehbar gewesen war, fühlte sie sich frei.
Ein erneutes Hochgefühl ergriff Besitz von ihr. Das letzte Mal hatte sie sich so gefühlt, als sie Doc aus dem Tierheim geholt hatte. Lou schmunzelte vor sich hin, während sie ihrem Riesenkalb zusah, wie der gemeingefährliche, angebliche Kampfhund versuchte, einen Schmetterling einzufangen. Augenblicklich wurde ihr warm ums Herz. Mit purer Absicht hatte sie sich das allerhässlichste Tier ausgesucht. Damals hatte Doc bereits ein halbes Jahr seines eineinhalbjährigen Hundelebens im Tierheim gefristet. Nicht etwa weil er bösartig oder nicht umgänglich gewesen war. Vielmehr weil er mehr einer gerupften Hyäne ähnelte als einem Hund. Zuerst hatte Lou an ihm vorbei gehen wollen, doch ihre Schnürsenkel hatten sich gelöst. So war sie gezwungen gewesen, direkt vor seinem Gitterkäfig am Boden zu knien, um diese zu binden. Docs feuchte Hundenase hatte sie neugierig angestupst. Ein einziger Blick in seine Augen hatte genügt und es war um sie geschehen. Liebe lag eben doch im Auge des Betrachters! Alexander hatte getobt. Himmel, was hatte er sie angebrüllt. Er hatte ihr unterstellt, sie würde sich und ihre Kinder mit einem scharfen Kampfhund in Gefahr bringen. Ein Grinsen legte sich um ihre Mundwinkel.
Der Kampfhund hatte sich als Kampfschmuser entpuppt. Instinktiv hatte Doc Alexander nie richtig akzeptiert. Heute war sie sich sicher, dass das Schicksal Doc für sie vorbestimmt hatte. Das schrille Pfeifen des Wasserkessels unter-brach sie beim Betrachten ihres glücklichen Hundes. Den Griff des heißen Kessels mit Geschirrhandtüchern umschlungen in der einen, einen leeren Eimer zum Wassermischen in der anderen Hand, eilte sie die Stufen zum Bad empor. Dummerweise blieb sie an einer dieser Stufen hängen, knallte schmerzvoll mit dem Knie gegen die Kante der nächsten. Der Kessel rutschte scheppernd über die Fliesen, während der Eimer in einer anmutigen Kurve durch die Luft flog.
»Himmelherrgottsackzement!«
Vor Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen. Argwöhnisch schielte Doc von unten um die Ecke. Vermutlich um dem schrecklichen Lärm auf den Grund zu gehen. Lou bedeutete ihm per Handzeichen, sich zu trollen. Ihr Knie blutete aus einer Schürfwunde. Ärgerlich klaubte sie den Eimer vor der Tür auf, um sich dann vorsichtig humpelnd ins Bad zu schleppen.
»Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn einmal etwas ohne Komplikationen klappt, Lou. Wenigstens ist der Kessel nur geschlittert«, zischte sie. Nachdem sie einen Holzsplitter aus der Wunde gezogen hatte, presste sie ein Taschentuch fest dagegen. Nach ein paar Minuten hörte es bereits zu bluten auf. Allerdings schwoll das Knie etwas an und wurde bereits blau. Kein Wunder bei ihren grazilen Storchenbeinen.
Tapfer ignorierte sie die unangenehm pochende Wunde. Im Eimer mischte sie das kalte Leitungswasser mit dem heißen Wasser aus dem Kessel. Bewaffnet mit Handschuhen, Shampoo sowie Unmengen an Spülung, widmete sie sich im Anschluss ihren Haaren. Sah zu, wie ein Teil ihres Lebens in pinkfarbenen Schlieren das Waschbecken hinab floss, um gurgelnd im Abfluss zu verschwinden.
»Auf nimmer Wiedersehen, Blondie!«, murmelte sie. An-schließend betrachtete sie das Ergebnis im Spiegel. »Zufriedenstellend sieht anders aus«, raunte sie enttäuscht ihrem Spiegelbild zu. Die Haarfarbe war okay. Der Rest ihrer Frisur ließ allerdings schwer zu wünschen übrig.
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