Sven Hauth - Parallels

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Als Shane eines Morgens aufwacht, ist seine Erinnerung ein leeres Blatt. Nur eines weiß er mit Sicherheit: er muss fort. In einem übergroßen Oldsmobile macht er sich auf eine Reise quer durch den Kontinent. Was als unspektakuläre Fahrt beginnt, gerät in Begleitung der quirligen Dorothy zu einer psychedelischen Odyssee, in deren Verlauf das ungleiche Pärchen auf religiöse Fanatiker trifft, eine Kellnerin rettet und eine sehr spezielle Art von Schulbusbewohner kennen lernt. Im Verlauf einer nächtlichen Kunstperformance wird klar, dass es nicht Shane ist, der die Kontrolle über sein Schicksal hat.
Gleichzeitig handelt Parallels von den Erlebnissen des Ich-Erzählers, ein hypersensibler Mittzwanziger auf der Suche nach einem möglichst eintönigen Job. Als Hilfskraft im Kopierraum seines ehemaligen Colleges erlebt er das Glück der Monotonie – bis zu dem Tag, an dem die Begegnung mit einem Mädchen die gefürchtete Veränderung bringt. Es kommt zu einem ungewöhnlichen Rendezvous.
Beide Handlungsstränge verflechten sich im Lauf des Romans mehr und mehr zu einem engmaschigen Handlungsnetz, das die Charaktere so gefangen nimmt wie den Leser.

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Sven Hauth

Parallels

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Impressum neobooks

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PARALLELS

Sven Hauth

Parallels

Copyright © 2011 by Sven Hauth

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne Zustimmung des Autors in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Sämtliche Personen, Orte und Geschehnisse in dieser Geschichte sind frei erfunden.

Shane erwachte vor dem Morgengrauen. Für einen Moment lockerten die Dämonen der Nacht ihre Umklammerung und erlaubten einen diffusen Dämmerzustand. Seine Gedanken waren das Einzige, was sich bewegte. So musste es sich anfühlen, wenn man gerade aus einem langjährigen Koma erwacht war. Tiefstes Schwarz umgab ihn. Er horchte, fühlte, roch. Doch das Einzige, was seine Sinne erreichte, war das Gemurmel entfernter Stimmen. Noch bevor er ihre Quelle lokalisieren konnte, war er bereits wieder eingeschlafen.

Als er das zweite Mal aufwachte, zwängte sich frühes Tageslicht durch die halbgeschlossenen Jalousien und projizierte ein Muster aus staubigen Horizontalen auf die Wand seines Schlafzimmers.

Hartnäckige Überbleibsel eines lebhaften Traumes führten hinter seinen halb geschlossenen Lidern einen stroboskopartigen Tanz auf. Es waren die Bilder eines Ozeans. Angenehm schwerelos trieb Shane auf seiner endlosen Fläche. Meterhohe Brecher türmten sich über ihn auf und brachen zusammen, doch die Wassermassen konnten ihm nichts anhaben. Er tauchte einfach ab, lieferte sich einer türkisfarbigen Welt aus, die warme Geborgenheit gab und keinen Sauerstoff verlangte. Dann öffnete er die Augen, und die Bilder entglitten ihm.

Es waren letztendlich die Reste dieses Traumes, die Shane nach langer Zeit wieder aufstehen ließen.

Die ersten unsicheren Schritte führten ihn in das Wohnzimmer. Benommen sah er sich um, ein Fremder in seinem eigenen Apartment.

Auf der Fensterbank raschelte eine traurige Reihe Topfpflanzen. Fast ausnahmslos waren sie vertrocknet, ein einzelner Kaktus das einzige überlebende Exemplar in diesem Garten der Vernachlässigung.

Gegenüber dem Fenster stand auf dem Boden ein veraltetes Fernsehgerät. Jemand – er selbst? – musste vergessen haben, es auszuschalten.

Wie lange hatte er geschlafen? Nach und nach kehrten Erinnerungen zurück, doch es waren wenig mehr als zusammenhanglose Bruchstücke. Die Vergangenheit war ein scheues Tier, das sich der direkten Beobachtung entzog. Es blieb ein blinder Fleck, etwas, das sich in Regionen seines Unterbewusstseins verborgen hielt, auf die er keinen Zugriff hatte.

Auf dem Bildschirm erschien die Nahaufnahme eines Mannes in schwarzer Robe, der hinter einem Pult auf einem hochlehnigen Lederstuhl saß. Es folgte ein Schnitt auf eine Gruppe von circa zehn weniger wichtig aussehenden Menschen. Einer von ihnen stand auf und las etwas von einem Blatt Papier. Eine Gerichtsverhandlung. Die fehlende Farbe der Bilder ließ sie wie aus einer anderen Zeit wirken.

Shane riss seinen Blick von den flackernden Aufnahmen los. Momentan war es besser, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Über dem Fernseher war ein mager bestücktes Bücherregal angebracht. Auch hier fand er nur halbe Erinnerungen. Die Namen der Autoren – Thompson, King, Baum, Fowles, Carroll – waren ihm entfernt vertraut. Mehr nicht.

Er betrat die Küche. Erblickte den gefüllten Wasserkessel. Daneben die gefaltete Filtertüte. Und wusste, was zu tun war.

Alles war bereits vorbereitet worden, an einem anderen Tag. Einladend stand der glänzende Kessel vor ihm. Er musste nur noch die Herdplatte anstellen.

Die Idee kam ihm, während er auf das Sprudeln des Wassers wartete. Eben noch roh und abstrakt, wie die meisten guten Ideen ihren Anfang nehmen, formte sie sich nun zu konkreter Gestalt. Die Vergangenheit mochte ein unscharfer Ort sein, doch die Zukunft lag in beruhigender Deutlichkeit vor ihm.

Das schrille Pfeifen des Kessels unterbrach den Gedankengang. Shane goss kochendes Wasser in den Filter und sah zu, wie es von dort als dampfender brauner Saft in den Becher tropfte. Vorsichtig pustend trieb er eine Gruppe kleiner Luftblasen an den Rand. Die Idee verwandelte sich soeben zu einem festen Entschluss.

Er würde eine Reise unternehmen. Einen langen Trip, der ihn an den Ozean aus seinem Traum führen würde. An einen weit entfernten Ort, der sich weniger fremd anfühlte. Momentan konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, was er hoffte, dort zu finden. Oder ob er überhaupt etwas finden würde. Es war, als ob er einem starken Instinkt folgte, dem befriedigenden Gefühl, das Richtige zu tun. Und das war gut genug.

Die letzte Luftblase zerplatzte in winzige Spritzer und hinterließ eine ebenmäßig schwarze Oberfläche. Kurz bevor Shane den ersten Schluck nahm, sah er im dunklen Spiegel die eigenartig verzerrten Konturen seines Gesichts. Die Flüssigkeit berührte seine Zungenspitze. Es schmeckte viel zu bitter. Kurz zögerte er, bereute fast. Dann war der Becher geleert und der unangenehme Geschmack etwas Neuem gewichen.

Die Reise hatte bereits begonnen.

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Ich starrte auf einen visuellen Alptraum.

Ein Kaleidoskop aus Papier. Bunte Zettel, knittrige Blätter, lieblos aus Heften ausgerissene Seiten und schlecht haftende Post–it–Notes, welche die ursprüngliche Korktextur nur noch fleckenhaft erkennen ließen. Bis auf wenige Ausnahmen waren sie achtlos aufgespießt, drängelten dicht an dicht in schlampigen Winkeln, schnitten und überlappten sich ohne irgendeine erkennbare Logik. Aus Platzmangel waren einige auf den Holzrand der Tafel ausgewichen oder dreist über ältere Anzeigen gepinnt.

Jedes Blatt bemühte sich auf eigene Art, seine Nachbarn im harten Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu übertrumpfen. Die meisten von ihnen versuchten es über die Farbe. Vom grellen Pink über Zitronengelb bis Mintgrün waren sämtliche Scheußlichkeiten vertreten, nur hin und wieder kontrastiert von politisch korrektem Umweltpapier im faserigen Recyclinggrau. Dieses glich seine schlichte Erscheinung dafür mit extragroßer Typografie oder ungewöhnlichen Formen aus, wie das zu einer Herzform geschnittene Papier, das für eine „liebevolle Hundebetreuung“ warb.

So unterschiedlich sich die Blätter selbst präsentierten, so waren es auch die Spielarten ihrer Befestigung. Erwartungsgemäß dominierten Heftzwecken und Reißnägel, deren Köpfe sich auf der limitierten Fläche ebenfalls in jedem denkbaren und undenkbaren Farbton versammelt hatten. Dicht gefolgt wurden sie von der Gruppe der Klebestreifen, die auf dem grobkörnigen Untergrund zwar weniger Halt boten, dies aber entweder durch paarweises Auftreten an der Ober– und Unterkante, oder gleich – sicher ist sicher – vierfach diagonal auf alle Ecken des Papiers verteilt wettmachten. Um das Chaos zu komplettieren, waren die meisten Blätter am unteren Rand durch Einschnitte verstümmelt worden, abreißbare Streifen mit Telefonnummern, die sich dem Betrachter entgegenbogen wie ungekämmte Papierbärte. Im Allgemeinen schien hier die Regel zu gelten: Je ungehemmter das Auftreten des Papiers, desto fragwürdiger sein Inhalt.

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