„Und sie wollte diesen Dingen nicht auf den Grund gehen?“, fragte er schließlich.
„Ach, wo denkst du hin, sie und Heiner, der Hilfskutscher haben gemacht, dass sie von da wegkommen! Sie haben das alte Porzellanservice geschnappt, das sie von dort abholen sollten und haben sich in Windeseile vom Acker gemacht. Stehenden Hufes, sozusagen!“
„Aber du weißt wohl nicht, wo sich dieses Anwesen genau befindet?“
„Na, du weißt vielleicht, wo früher das Zeughaus der Stadt gelegen war?“
„Das ehemalige Waffenlager zur Verteidigung von Weentbehl vor den nordischen Fürsten?“
„Genau, vor zweihundert Jahren, als sich die Nordallianz unter Führung dieses blonden Riesen, der ein wenig wie ein Berggorilla aussah ...“
„Lord Lanchester, ich nehme an, du sprichst von dem?“
„Genau, der Albinoaffe!“
Nach der Niederlage Lord Lanchesters, die zur Inhaftierung des armen Kerls auf Lebenszeit führte, hatten die Schlachten und Historienmaler jener Zeit den Fürsten tatsächlich immer wieder äußerst affenähnlich dargestellt. Auf manchen der Ölschinken schien er überhaupt keine Stirn zu haben, woran man sehen kann, dass die Siegerjustiz auch vor der hohen Kunst nicht immer Halt macht. Nun wusste Nicht von Ungefähr, wo das Gebäude, um das es hier ging, sich in Lachapelle befand. Diesem Gemäuer würde er heute Nacht einmal einen Besuch abstatten.
Nachdem der Detektiv die gute Marianne verabschiedet, und ihr angeraten hatte, besser in ihrem Zustand nicht mehr auf dieses selbstmörderische Vehikel zu steigen, trat er wieder zum Fenster, wo er schließlich eine recht wackelige Abfahrt der obersten Putzfrau des Kontinents beobachten konnte.
‚Seltsame Geschichte das‘, dachte Nicht von Ungefähr. ‚Stöhnen und Kettenrasseln. Dennoch sollte man dem eventuell einmal nachgehen.‘ Er blickte noch einmal die Notizen durch, die er sich zu seinem letzten Fall gemacht hatte, den er heute Abend zum Abschluss bringen wollte. Eine leidige Ehebruchsache, es war immer dasselbe!
Als er sich diesen Beruf ausgedacht hatte, glaubte er anfangs, dass alles irgendwie abenteuerlicher sein würde. Gut, die Suche nach seinem Erzeuger, die der Anlass für seine Berufswahl im Eigentlichen ja gewesen war, hatte ihn schon ein paarmal in brenzlige Situationen gebracht. Der Umgang, den der selige Clown Zaparello pflegte, war nicht immer der Allerbeste gewesen. Noch dazu hatte dieser auf dem gesamten Kontinent Schuldenberge angehäuft. Meist war er selbst, wenn er Erkundigungen nach dem Verbleib des Vaters einzog, für einen der vielen Gläubiger gehalten worden, der einfach sein Geld wiederhaben wollte und deshalb so hartnäckig dem Clown auf den Fersen war.
Aber der ganz normale Arbeitsalltag stellte sich dann später als wesentlich langweiliger heraus, als Nicht sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Meist war er hinter irgendeinem Frauenzimmer her, das auf Abwege geraten war. Merkwürdigerweise wurde er meist von seiner eigenen Gesellschaftsklasse engagiert, was sich zuallererst Nicht gar nicht wusste zu erklären, bis ihm einfiel, dass die Lords und Ladies eher einem der ihrigen so weit vertrauten, dass nichts, was ihm vom Treiben der betreffenden adligen Familie bekannt wurde, an die Presse weitergeleitet würde. Insbesondere an das Goldene Blättchen hätte der Detektiv mittlerweile durchaus schon einige Geschichten vermitteln können. Die zweifelhaften Herrn Redakteure dieser Institution würden sich nach solchen Skandälchen die Finger lecken. Jedoch wäre solch ein Vertrauensbruch Nicht niemals in den Sinn gekommen, insofern schätzten ihn seine Klienten durchaus richtig ein.
Ja, wirklich hatten mittlerweile einige, wenige Male sogar adlige Damen seine Dienste in Anspruch genommen, auch in diesen Fällen handelte es sich selbstverständlich um Ehebruchsachen. Nicht hatte festgestellt, dass dies aber immer nur vorkam, wenn es sich bei der weiblichen Person um eine echte Herzogin oder Contessa handelte, die einen ganz simplen Von oder Zu zu ihrem Ehemann gemacht hatte. Meist ging es darum, den Kerl ein für allemal loszuwerden, und wirklich gaben die Gerichte zumeist den betrogenen Frauen recht und die Herren konnten sich auf ihr meist winziges Landgut zurückziehen und den Adelstitel an einen rostigen Nagel in der Wand eines ihrer Schweineställe hängen. Gut, nur zweimal war es vorgekommen, dass ihn eine Frauensperson zu diesem Zweck engagiert hatte, doch glaubte er, dennoch schon ein Muster erkennen zu können.
Heute allerdings war es ein Graf Omellettin, der seine Frau hatte beschatten lassen. Und wirklich war es Nicht gelungen, herauszufinden, dass die gute Edwina sich tatsächlich einen Liebhaber hielt, sozusagen eine Art männlicher Mätresse, oder müsste es etwa Matreur heißen? Die vornehme welsche Sprache hatte Nicht von Ungefähr, ungeachtet seiner hervorragenden Ausbildung, immer erhebliche Probleme bereitet. Jedenfalls sollte er um Acht mit dem Mann zusammentreffen, dann könnte er ihm darlegen, was er recherchiert hat, und eine nicht unerhebliche Summe kassieren. Man glaubt gar nicht, was die Leute alles so springen lassen, um einer untreuen Gefährtin ledig zu werden? Im Grunde ersparten sich die Kerle dann auch die Unterhaltskosten für das untreue Eheweib, allerdings würden sie bei einer neuerlichen Verheiratung mindestens die gleiche Summe an die Hl. Kirche entrichten müssen, die sich immer wieder zögerlich verhielt, eine Scheidung zu akzeptieren. Auch der Paabst auf seiner Vatikaninsel wollte schließlich leben.
Das Treffen mit dem Grafen Omellettin sollte in einer der eher finsteren Spelunken Weentbehls stattfinden. Der adlige Herr wollte wohl keinesfalls das Risiko eingehen, in einem der Clubs oder der Lokale für die Bessergestellten mit Nicht von Ungefähr gesehen zu werden und noch dazu sich dabei beobachten zu lassen, wenn Kuverts ausgetauscht würden. Es hatte sich in den Kreisen, denen der Detektiv immerhin ja selbst angehörte, herumgesprochen, mit welchen Dingen er sich zum Verdienst seines Lebensunterhalts beschäftigte, und hierüber rümpfte man, was nicht verwunderlich ist, die feine, edle Adlernase. Das Herumschnüffeln in internen Familienangelegenheiten stieß im Grunde allgemein auf Missfallen. Dennoch konnte sich Nicht nicht über Mangel an Kundschaft gerade aus dieser, seiner gesellschaftlichen Klasse beschweren.
Die ‚Lorelumpe‘ war, wie man sich denken kann, eine Spelunke ganz in der Nähe der Hafenanlagen. Auf dem Weent wurde mittels der Dampfschifffahrt so einiges an Warenverkehr abgewickelt, ob es sich um Stoffe aus den skötischen Landen handelte, oder gar um Importe von den Inseln; Waren, die zumeist im Hafen von Brisbane auf die kleineren Flussdampfer umgeladen wurden. Bei der Lorelumpe handelte es sich im Übrigen um eine Sagengestalt, die dereinst auf einem Felsen im Flusse Weent sitzend, sich ihr feuerrotes Haar kämmend, die Männerwelt, insbesondere diejenigen, die auf diesem fließenden Gewässer unterwegs waren, also die Fischer und Süßwassermatrosen, zu sich lockte, um sie mit sich hinunter auf den Boden des Weent zu nehmen, um schließlich niemals mehr gesehen zu werden. Der Sage nach, wurde man auf dem Grund des Flusses dem zukünftigen Schwiegervater, dem alten Flippflopp vorgestellt, der einem mit dem Dreizack, den er immer mit sich herumtrug, schließlich bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust stochern würde. Böse Zungen unter den Mythenforschern behaupten jedoch, herausgefunden zu haben, dass damals, zu Zeiten also, die fern jeglicher Überlieferung liegen, die Prostitution im gesellschaftlichen Leben in besonderem Maße erblüht war, nicht umsonst spricht man schließlich vom ältesten Gewerbe auf dem Pfannkuchen, und dass es sich bei der sagenhaften Lorelumpe um eine Hure gehandelt habe, die die Männer zu sich lockte und sie am Ende von ihrem Zuhälter erschlagen ließ. Aber diese Theorie ist wegen ihrer unerträglichen Profanität allgemein verpönt.
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