„Du willst mich wohl einwickeln ..., ach, ...“, brachte er schließlich noch heraus, bevor er schleunigst den Rückzug antrat, nicht ohne jedoch die Tür wieder sorgfältig hinter sich abzuschließen.
‚Was für ein Idiot!‘, dachte Kammergarn und machte sich dann über die Mettbrötchen her, auf welche eine, wie er annehmen musste, weibliche Hand noch ein wenig frische Petersilie gestreut hatte.
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Unterdessen hatte Krautschuk mit dem Komponieren begonnen. Nun konnte man nicht von Komponieren im eigentlichen Sinne sprechen, entlieh er nämlich die allermeisten Melodien dem Schatzkästlein der volkstümlichen Hurvenikmusik, die so gar nichts mit der Musik der Menschen gemein zu haben schien. Immerhin handelte es sich auch hier um Tonfolgen, die zwar ein normaler Bewohner des Kontinents niemals als Melodie empfunden hätte, doch beinhalteten diese sogar Klänge, die auch das menschliche Ohr als Geräusch wahrnehmen konnte. Wichtiger schien Krautschuk allerdings das Libretto zu sein, immerhin musste er sich ja an das halten, was das Stück, zu dessen Aufführung die kleinen Kerlchen gezwungen waren, ausmachte. Immerhin gedachte er den Worten, die den Akteuren hier in den Mund gelegt wurden, eine etwas lyrischere Note zu verleihen. Wenigstens sollte sich das ja alles auch reimen, wenn man es singen sollte. Dies zumindest hatten Hurvenikopern mit dem Musiktheater der Menschen gemein, es reimte sich jeder Satz, und dies zumeist auf die allergemeinste Art und Weise.
Kringskranx, der selbstverständlich den Krumppert geben sollte, war nicht eben abgeneigt, den Änderungen im Skript zuzustimmen. Zwar hegte er einige Bedenken, betreffend dieser Korrekturen, doch hoffte er, die Entführer Kammergarns würden an derlei Kleinigkeiten keinen Anstoß nehmen. Es schien sich ja, zumindest bei einem oder höchstwahrscheinlich einer dieser Halunken oder Halunkinnen, um eine wirkliche Liebhaberin der schönen Künste zu handeln. Dies glaubte der Hurvenik wenigstens, aus den wenigen Zeilen herausgelesen zu haben. Und was konnte ein solcher Schöngeist, der sich ja auch als ein wahrer Bewunderer des Volkstheaters Karbunkelkraut entpuppt hatte, schon dagegen haben, wenn die Künstler dem Stück ihren ganz eigenen Stempel aufdrückten?
Nur war es so, dass seitdem beschlossen worden war, das Ganze als volkstümliche Oper zur Aufführung zu bringen, etliche Bewohner des Hotels Excelssior sich schon über den unerträglichen Lärm beschwert hatten, der seit kurzem aus der Suite der Hurveniks herausschallte. Direktor Rissenbeck hatte die Wichte gebeten, ihre Proben woanders abzuhalten, da einige der Gäste tatsächlich schon Hals über Kopf ihretwegen abgereist waren. Trotz all der kulturellen Angebote, die die Metropole Weentbehl-Lachapelle im Frühjahr vorweisen konnte, war Rissenbeck zu Ohren gekommen, dass sogar Lord Pomfrey mitsamt seiner gesamten Entourage das Hotel verlassen hatte. Auf die Frage, warum er denn seine Pläne geändert habe, hatte der Edelmann nicht antworten können, anscheinend war er von einem Tag zum anderen stocktaub geworden, noch dazu hatte es ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Der Nachtportier berichtete, Pomfrey habe ausgesehen wie jemand, der ein fürchterliches, traumatisches Erlebnis erlitten haben musste.
Glücklicherweise bot sich die Möglichkeit für zwei bis drei Stunden am frühen Vormittag im Theater selbst die Proben stattfinden zu lassen. Zu dieser Zeit befand sich nur der Hausmeister des Kulturtempels an seinem Arbeitsplatz und der hörte zu seinem großen Glück, von welchem er allerdings nichts wissen konnte, seit Jahren schon unglaublich schlecht. Im Gegenteil fühlte der gute Mann, immer wenn der junge Fargraffel zur Hauptarie der Königin Gerdundula ansetzte, ein angenehmes Kribbeln im Kopf, das sich daraufhin in seinem ganzen Körper vitalisierend auszubreiten begann.
In diese ersten Proben platzte nun am nächsten Morgen Nicht von Ungefähr hinein. Gerade machten die Hurveniks eine kleine Pause und waren damit beschäftigt, die Hinterlassenschaften der Ballettvorstellung vom Abend zuvor wegzuräumen und das ganze große Haus einmal einer Grundreinigung zu unterziehen, wie sie sagten. Anscheinend hatten sie die Putzkolonne, die eigentlich hierfür zuständig war, wieder nach Hause geschickt. Die Leute fragten den Hausmeister, ob dies denn alles so seine Ordnung habe, der konnte jedoch nur freundlich, mit verklärten Zügen nicken, woraufhin man gerne tat, was von einem verlangt wurde und beschloss, diese so plötzlich verhängte Urlaubszeit ausgiebig zu nutzen.
Nicht hatte die Kerlchen ja schon in seinem Büro bei Säuberungsaktionen beobachten können, was jedoch nun hier auf der Bühne und im Saal des Kontinentaltheaters vor sich ging, war tatsächlich atemberaubend. In einer Geschwindigkeit, so dass man die winzigen Körper kaum mehr im Gegenlicht der aufgedrehten Gasbeleuchtungsanlage erkennen konnte, widmeten sie sich nun dieser Tätigkeit, und Nicht konnte erneut verstehen, wie die Legende von den fleißigen Heinzelmännchen entstehen hatte können.
Hier schien ein Besen sich wie von selbst in rasendem Tempo durch die Bankreihen zu bewegen, nur um Sekunden später von zwei mit Feudeln bewaffneten Hurveniks verfolgt zu werden, ein dritter und vierter folgte wiederum diesen beiden auf dem Fuße, die einen zwanzig Liter Eimer aus Blech, als hätte er keinerlei Gewicht, über den Boden gleiten ließen.
Hoch droben an dem Eisengestell, an dem die Lampen, welche die Bühne anstrahlten, angebracht waren, wienerte einer der Knirpse das Glas der Scheinwerfer so sauber, dass Nicht den Eindruck hatte tatsächlich sehen zu können, wie es heller und heller im Saal wurde. Wieder ein anderer bearbeitete den enormen, rotsamtenen Vorhang mit einem Teppichklopfer, wobei der kleine Kerl bei jedem Schlag fast drei Meter in die Luft sprang, bevor er das Weidengeflecht auf den Stoff knallen ließ.
In all dem Tohuwabohu unterrichtete der Detektiv nun den Anführer der Hurveniks, Kringskranx, was er bis jetzt herausgefunden hatte. Nicht von Ungefähr hatte den Eindruck, dass der Hurvenik keineswegs überrascht war, von diesen wirklich ernsthaften politischen Hintergründen, die die ganze Geschichte dadurch bekam. Kringskranx überlegte nun tatsächlich, doch den Reichsverweser über die Entführung Kammergarns zu informieren, beschloss dann aber für sich, noch eine Weile damit zu warten. Er hatte am gestrigen Tag schon ein Telegramm aufgegeben und Verstärkung angefordert. Er rechnete aber damit, dass es bestimmt noch mindestens eine Woche dauern würde, bis jemand den weiten Weg von Hallgard bis hierher in die Hauptstadt bewältigt haben würde.
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Derweil ging im Fürstentum Hallgard so langsam aber sicher nach einer echten Regierungskrise soweit alles wieder seinen normalen Gang, wenn man einmal davon absieht, dass Graf Bodo sich noch keineswegs von einer schweren geistigen Umnachtung vollständig erholt hatte. Aber da seine Ehefrau, die holde Priscilla durchaus fähig schien, die Lage zu bewältigen, war die Sache dann nicht gar so schlimm. Bodo hatte sich vorher schon weitaus öfter um seine geliebte Funzelballmannschaft gekümmert, deren Training er nun ganz und gar selbst übernommen hatte. Bei besagter sportlicher Betätigung handelt es sich um eine recht populäre Angelegenheit, doch nirgendwo sonst als hier in den mittleren Mittellanden wurde diesem ominösen Spiel eine solch große Bedeutung zugemessen. Was vielleicht auch seine Berechtigung hatte, zogen sich die Partien oftmals in eine solche Länge, dass mancher der Zuschauer schon verdurstet sein soll, weil er, wegen der Anspannung, die es mit sich brachte ein solches Spiel zu verfolgen, einfach vergessen hatte, Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
Einige während des Aufstandes abgebrannte Häuserzeilen Hallgards befanden sich schon wieder in halbfertigem Zustand. Die sogenannte Rebellion des westlichen Quartiers der Stadt, das nur das Viertel der roten Lampen genannt wurde, hatte einige Gebäude doch immens in Mitleidenschaft gezogen. Allerdings trugen die Schuld an diesem Umstand keineswegs die Aufständischen, sondern weit eher der Baron selbst, der sich mit finsteren Mächten eingelassen hatte, was ihm schließlich keineswegs gut bekommen war.
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