„Wir haben schon wieder einen Brief bekommen!“, sagte Kringskranx. Der Hurvenik schien es nicht für nötig zu befinden, sich bei Nicht für ihre Anwesenheit in irgendeiner Weise zu rechtfertigen.
Nicht nahm Kringskranx den Zettel aus der Hand, der aus demselben dicken, teuren Papier bestand wie die vorherige Mitteilung.
Sehr geehrte Wichte
Hier senden wir euch das Stück, das ihr zur Aufführung bringen mögt. Ihr werdet sehen, auch wenn vielleicht das Werk sich nicht zur Gänze mit den Werken des großen Dichters Stoppklopp wird messen lassen können, so denke ich doch, die Worte, die unser politischer Mitstreiter gewählt hat, werden auch eure empfindlichen, sensiblen Gehörgänge in keinster Weise beleidigend finden. Auch wenn ihr vielleicht nicht vollständig mit der Führung der einzelnen Handlungsstränge euch anfreunden können werdet, so werdet ihr, wenn ich einmal meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen eure Zustimmung finden dürfte, dies jedenfalls als ein herausragendes Werk einzuschätzen in der Lage sein, und es nicht als das Geschreibsel eines wilden, wirklichkeitsfernen Phantasten einordnen.
Diesen letzten Satz las Nicht jetzt schon zum siebten Mal. Und hatte ihn dennoch immer noch nicht vollständig verstanden. Schließlich gab er es auf und las weiter.
Ihr werdet also sehen, das Opus Magnus unseres verehrten Dichters, steht in der Tradition all jener Tragödien, die die unbedingte Liebe zum Kaisertum in Gestalt des legendären Königs Krumppert, dem Hellerleuchteten, in schönster Kraft ausdrücken. Die Krumppert Saga stellt das nationale Epos dar, welches das Volk des Kontinents, das doch so vielfältige Blüten auf der Landfläche, wie auch auf all den unzähligen Antillen trägt, erst zu einem einzigen einigen Volk zu machen in der Lage ist. Und wie in der Krumppert Saga, so möchten wir erreichen, dass es wieder so wird, wie ehedem, als mit der Regentschaft der kontinentalen Kaiser eine wahrhaft goldene Epoche angebrochen war.
Bitte berücksichtigt bei der Besetzung der verschiedenen Rollen Folgendes. Es wäre mir ein wirkliches Anliegen, wenn ihr diejenige Person, welche in Romero und Julischka, eben die Julischka gegeben hat, auch hier für die weibliche Hauptfigur in Erwägung ziehen würdet. Diese junge Frau ist mir in solch guter Erinnerung, dass ich mir, ohne sie als Königin Gerdundula, die Aufführung des Stückes kaum vorstellen kann. Aber so ist dies nur der Wunsch einer zarten, künstlerisch behauchten Seele und keineswegs eine Bedingung, um euren verehrten Impresario wiederzubekomm…
Hier brach die wunderschöne, runde Schrift plötzlich ab. Einige Tintenflecken darunter stand in krakeligsten Buchstaben.
Macht dies Stügg und nich das was eigentlich auffem Plan steht, sonst schneiden wir dem Feddsagg die Aingewaide aus dem Fettebauch. Prmiäre am fuffzehnten, dann kriescht ihr den Kärl gesunt widder zurügg!!!
Beim letzten Ausrufezeichen schien tatsächlich die Feder abgebrochen zu sein, das Papier war an dieser Stelle perforiert.
„Seltsam, seltsam!“, murmelte Nicht von Ungefähr. „Und wo befindet sich nun dieses merkwürdige Manuskript?“
„In unserer Unterkunft. Ich habe die anderen schon einmal mit den Proben beginnen lassen. Immerhin sind es nur noch zehn Tage bis zum fünfzehnten, und sie müssen sich doch mit dem Text und den Bühnenanweisungen vertraut machen“, erklärte Kringskranx. „Ein Bühnenbild muss entworfen und die passenden Kostüme gefunden werden. Du machst dir ja keine Vorstellung, was noch alles zu tun ist. Eine wahre Mammutaufgabe dies alles in der Kürze der Zeit zu bewältigen!“
„Habt ihr denn die Schrift einmal überflogen?“, fragte Nicht, der sich um derlei Dinge, wie den Aufwand, der bei solch einer Produktion betrieben werden musste, noch niemals Gedanken gemacht hatte.
„Ja, ich habe Krautschuk damit beauftragt. Er hat von uns allen die schnellste Auffassungsgabe und ist insbesondere für die politische Ausrichtung bei uns zuständig!“, erklärte Kringskranx und gab so das Wort an seinen ebenso kleinen Adjutanten weiter, der sich das rote Mützchen richtete, bevor er anfing zu sprechen.
„Ähem, ja! Es handelt sich wohl um eine recht eigenwillige Interpretation des Krumppert Mythos. König Krumppert, der sagenhafte König der Mittellande, dem nachgesagt wird, er hätte selbst die wilden Stämme der Nebelberge unterworfen und diese in die menschliche Zivilisation erst eingegliedert. Diese Nebelbergler also hätten, bevor Krumppert auf der Suche nach dem heiligen Donnerkeil in deren Land gekommen war, immer noch in Höhlen gehaust und wären noch nicht einmal mit den Segnungen der Religion in Berührung gekommen“, erklärte nun Krautschuk, er versuchte, sich kurzzufassen, was ihm jedoch nicht ganz gelingen wollte. „Es tauchen allerhand Ungereimtheiten auf, Gerdundula, die Königin, setzt sich dafür ein, dass ihre Tochter den Häuptling eines Nebelbergstammes ehelicht, das stellt schließlich das neuerliche Zerwürfnis zwischen Krumppert und seiner Ehrfrau dar, ein Zerwürfnis, das in der originalen Krumppert Sage in keiner Weise vorkommt.“
„Aber was hat das nun alles mit dem Kaisertum zu tun?“, fragte Nicht von Ungefähr, der langsam sichtlich verwirrt wirkte.
„Eine gute Frage“, meinte Krautschuk daraufhin. „Es gibt einige Szenen, die meiner Meinung nach sehr schwer umzusetzen sein werden. Eine Art von Traumsequenzen, könnte man da wohl sagen. Die Bühnenanweisungen sind nur haarsträubend zu nennen. Jedenfalls sieht man am Ende Krummpert auf dem Schlachtfeld in seinem Blute liegend, das legendäre Schwert Exkalligraph auf der einen, die teure Gattin Gerdundula, welche bittere Tränen über das Dahingehen des geliebten Mannes vergießt, auf der anderen Seite. Dann erhebt sich der Oberkörper Krummperts ein allerletztes Mal und er malt sich aus, wie der gesamte Kontinent von einem ritterlichen Geschlecht adligen Ursprungs regiert wird; gnädige, weise Herrscher, die nichts anderes im Sinn haben, als ihr Volk zu Reichtum und Wohlstand zu führen, und dabei fällt dann ganz am Ende gar noch der Name des letzten Kaisers, Alphons des Vielgepreisten, als sei der eine Art messianische Gestalt gewesen! Eine Rede übrigens, die zwar von ihrer kitschigen Klischeehaftigkeit durchaus zum Rest des Machwerks passen will, aber doch für die Handlung ansonsten vollkommen überflüssig ist. Es wirkt fast so, als wäre dieser abstruse Quatsch im Nachhinein noch von anderer Hand hinzugefügt worden!“
„Puh“, sagte Nicht, ohne sich bewusst zu sein, überhaupt etwas gesagt zu haben. Es war bloße Empathie mit dem Kleinen, der während seiner Rede kein einziges Mal Luft geholt hatte.
„Aber wie gesagt, habe ich es bisher nur kurz überfliegen können!“, fügte der Hurvenik jetzt noch hinzu.
„Und ihr wollt die Premiere also für den Fünfzehnten ansetzen?“
„Das gehört wohl zu den Bedingungen. Wir werden es selbstverfreilich dann auch bei dieser einzigen Vorstellung belassen, wenn wir erst unseren Kammergarn wiederhaben!“, stellte Kringskranx fest.
„Ich finde, man könnte aus dem Stoff dennoch eine wunderschöne Oper machen!“, meinte daraufhin Krautschuk, der ein gewisses Faible für sogenannte Volksopern hatte. Man konnte nur hoffen, dass diese Idee niemals umgesetzt werden wird, Hurvenikmusik besteht nicht nur aus Halb- oder Vierteltönen, es gibt Werke, die sich durch Melodiebögen mit vierundsechzigstel Noten besonders auszeichnen. Diese sogenannte Musik klingt dann in etwa so, wie die Sirene in den modernen Manufakturen des Kontinents, mit denen der Anbruch der Feierabendstunde angekündigt wird. Davon konnte der Detektiv allerdings nichts wissen.
„Das ist vielleicht die Idee!“, fügte Krautschuk noch hinzu, diese Bemerkung blieb für Nicht rätselhaft, doch hatte die Stimme des Hurveniks ein irgendwie fanatisches Timbre angenommen.
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