1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Ja, das habe ich auch nicht so ganz verstanden. Aber eigentlich ist es doch immer dasselbe. Irgendein Schwert muss aus einem Felsen gezogen werden, dann würde das Wasser der Meere sich in Blut verwandeln, Bullenwiesel würden wie Hagelkörner vom Himmel fallen, die aphalusische Wüstenei würde zufrieren und der Sand sich daraufhin in pures Gold verwandeln, das Bier würde nach Pfefferminz schmecken und dergleichen mehr. Man kennt das doch!“
„Äh ...“, Marianne hatte von all dem niemals gehört, konnte sich Bier mit Pfefferminzgeschmack aber durchaus vorstellen.
„Jedenfalls kann ich kaum glauben, dass der entführte Theatermensch irgendetwas mit dieser adligen Bande von Querköpfen zu tun haben kann“, stellte Nicht von Ungefähr fest. „Eher denke ich, der Mann hat einem seiner Angreifer dieses Kreuz vom Revers gerissen, als er sich gegen seine Entführung gewehrt hat!“
„Das klingt logisch!“, meinte Marianne. „Aber tragen diese Leute, wenn sie sich doch so konspirativ verhalten, dann ihre Abzeichen so offen am Revers?“
„Das Kreuz ist leicht zu verwechseln mit dem Parteiabzeichen der KKP, die man vielleicht als so etwas, wie den legalen Arm dieser Organisation bezeichnen könnte“, erklärte der Detektiv.
„KKP?“
„Kaiserliche Kontinental Partei, Marianne. Nie davon gehört?“
„Aber warum sind die denn nicht verboten?“ Die Putzfrau gehörte zu der Sorte Mensch, die sich für Politik in keiner Weise zu interessieren schien.
„Unser verehrter Reichsverweser ist der Meinung, dass es am besten sei, in seinem Parlament auch Gruppen zuzulassen, die sich für die alte Ordnung aussprechen. Er glaubt aus unerfindlichen Gründen, so etwas gehöre zu dem Gesellschaftssystem, das ihm vorschwebt, irgendwie dazu. Er nennt es Demokratur, glaube ich!“
Nicht hätte zugeben müssen, dass auch er sich niemals sonderlich für Politik interessiert hatte, doch war er immerhin schon unter der Regentschaft Puntigams groß geworden und er vertraute im Grunde dem Reichsverweser. Der schien ihm ein durch und durch redlicher Mann zu sein. Und wenn es eins gab, das Nicht keinesfalls wollte, so war es, dass die sogenannte alte Ordnung wiederhergestellt würde. Zustände wie damals, als das gemeine Bauernvolk noch das Joch der Leibeigenschaft hatte tragen müssen, schienen dem Spross von Adel, in höchstem Maße unerträglich zu sein. Nein, dorthin zurück, sollte der Weg auf gar keinen Fall gehen!
„Na denn“, meinte Marianne daraufhin. Irgendwie schien sie die Sache nicht mehr zu interessieren. „Aber ich würde doch gerne wissen, ob du bei der Entführungsgeschichte weiterkommst?“
„Ich halt dich auf dem Laufenden!“, sagte Nicht und das meinte er ganz ernst. Vielleicht kannte sich Marianne, was Politik betraf, nicht gerade besonders gut aus, aber sie hatte Fähigkeiten, die ihm durchaus von Nutzen sein konnten. Sie war eine technisch sehr versierte Person, was Nicht wieder einmal bestätigt fand, als er, kurz nachdem er sich von der reichsverweserischen obersten Putzfrau getrennt hatte, ihre Stimme aus der Waschhalle heraufdröhnen hörte.
„Meister, die Pleuelstange ist mit dem Gorbelknirz zu lasch verbunden. Ich bräucht‘ mal den zwanziger Rohrschlüssel!“
Den Weg zurück in sein Büro bewältigte Nicht von Ungefähr dann zu Fuß, er wollte in Ruhe noch einmal die ganze Angelegenheit Revue passieren lassen. Merkwürdig fand er auch, dass die Hurveniks nicht in Erwägung zogen, den Reichsverweser Puntigam in den Entführungsfall einzuweihen. Von Humphrey, dem Kammerdiener Puntigams, wusste Nicht, dass die Schauspieltruppe gute Kontakte zum Palast hatte. Anscheinend waren sie sich schon vor Monaten begegnet, dieser seltsamen Geschichte in der Provinz wegen. Aber wahrscheinlich nahm Kringskranx die Drohung der Entführer, betreffs der Einschaltung der Behörden, durchaus ernst und wollte keinesfalls riskieren, dass ihrem Impresario ein Haar gekrümmt würde, obwohl er jedenfalls durchaus schon was auf die Mütze bekommen haben musste, wie der Detektiv an all dem Blut auf der Decke und dem Bettlaken hatte feststellen können.
***
Der Impresario des Marionettentheaters Karbunkelkraut, das sich in der Zwischenzeit in Volkstheater umbenannt hatte, trug nun keineswegs eine Mütze, auf welche er etwas hätte bekommen können. Es war die Melone, die den ersten Schlag mit dem hölzernen Knüppel einigermaßen abgefangen hatte und dadurch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war. Kammergarn hing an dieser Kopfbedeckung auf eine Weise, wie andere Leute vielleicht an ihrem Haustier; ohne das runde Ding auf dem Schädel ging er niemals aus dem Haus.
Als er jetzt aus der Bewusstlosigkeit erwachte und um sich tastete, fand er zu seiner Erleichterung sogleich den Bowler Hut neben sich auf einer erstaunlicherweise recht weichen Matratze liegend. Kammergarn wollte sich aufsetzen und bemerkte dann, dass man seinen rechten Arm an einen fest in der Wand verankerten Bügel gekettet hatte. Trotz dieser Behinderung seiner Bewegungsfreiheit gelang es ihm schließlich, sich aufzurichten und sich im schummrigen Licht, das durch ein mit einem dichten Vorhang verhangenen Fenster drang, umzusehen, und konnte nun erkennen, dass er sich in einem recht gemütlich eingerichteten Schlafzimmer befand. Mit der Linken betastete er nun die Beule an seinem Hinterkopf und stellte fest, dass er einen Verband um den Schädel trug. Er musste geblutet haben wie ein Schwein, dachte er, als er diese Feststellung machte. Langsam aber sicher kehrte die Erinnerung zurück.
Er war in das Zimmer ihrer Suite im Excelssior gegangen, nur um sich nach dem Abendessen einmal kurz aufs Ohr zu legen und sich so für den Abend zu stärken. Den Hurveniks hatte er gesagt, er müsse einmal kurz meditieren gehen, für diese Art der Entspannung konnten die kleinen Kerle weit mehr Verständnis aufbringen, als wenn er die Wahrheit gesagt hätte. Seine Künstler waren draußen im Weentbehler Stadtpark geblieben, wo sie sich beim Schachspiel vergnügten und damit großes Aufsehen erregten.
Es war für die Bürger, die an diesem wunderschönen Frühlingstag in der Parkanlage unterwegs waren, ein derart absurder Anblick, die Hurveniks anzutreffen, wie jedes Mal, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Doch als sie das schwarz-weiß karierte, aus Pflastersteinen bestehende Schachbrett entdeckten, waren die kleinen Kerle gleich Feuer und Flamme. Die grob geschnitzten Figuren aus schwerem Buchenholz waren ungefähr einen Meter hoch, im Gegensatz zu den Hurveniks, die gerade einmal den Riesenwuchs von dreissig Zentimetern erreichten. Als sie dann damit begannen, die Figuren auf dem Brett herumzuschieben, waren schon die ersten faszinierten Zuschauer stehengeblieben. Beim ersten Bauernopfer war Applaus aufgebrandet, als der junge Fargraffel, der sich mit Kringskranx eine Partie lieferte, den Bauern seines Gegners mit einer Gewalt vom Brett schlug, dass die Figur dreissig Meter weiter am Rande eines Teiches erst zum Liegen kam. Triumphierend hielt der Angreifer seinen eigenen Bauern hoch in die Luft und stellte ihn schließlich auf das Feld, das er gerade so gewaltsam abgeräumt hatte. Die Rache seines Gegners folgte auf dem Fuße. Auch Kringskranx schlug nun erbarmungslos zurück. Der Hurvenik schwang sich auf den Rücken seines Springers, der, wie es sich gehört, die Form eines Pferdekopfes hatte, hielt sich an der Mähne des hölzernen Tieres fest und schaukelte so lange, bis er das Feld des Gegners erreichte, dann stieg er ab, nahm seine Figur in beide Hände und verpasste dem schwarzen Bauern einen solchen Schlag, dass dieser in weitem Bogen etwa vierzig Meter entfernt in einem Rhododendronstrauch landete.
Mittlerweile war die Menge, die sich eingefunden hatte, enorm angewachsen. Man konnte sich kaum sattsehen an diesen kleinen Wichten, die die allermeisten der Anwesenden vor Wochen noch allein dem Reich von Sagen und Mythen zugehörig wähnten. Wie viele Geschichten hatte man nicht von den Großeltern zu hören bekommen, über die Heinzelmännchen, die des Nachts, wenn alles schlief, all die Arbeiten für einen erledigten, zu deren Besorgung man tagsüber nicht mehr gekommen war? Doch auch andere Märchen existierten, die von diesen kleinen Gesellen handelten. Sie wären Boten des Unheils und ihr Schreien vermochte es, den Tod desjenigen herbeizuführen, vor dessen Haus sie einen solchen schrecklichen Schrei ausstoßen würden. Wie viele Menschenkinder waren davor gewarnt worden, die furchtbaren Screechies würden sie holen, äßen sie nicht den Teller auf, gingen sie nicht sogleich zu Bett, würden sie nicht das Fluchen unterlassen oder das Ziehen von Grimassen, und so weiter, und so fort. In jeder denkbaren Welt versuchen Eltern, ihrem Nachwuchs durch das Drohen mit solcherart Horrorszenarien Sitte und Anstand beizubringen, und in keiner aller möglichen Welten hat diese zweifelhafte Erziehungsmethode jemals Früchte getragen. Das einzige was man mit derlei Druckmitteln erreichte, war, dass die lieben Kindlein eben alles für sich behielten und zusätzlich noch jahrelang an Alpträumen leiden mussten.
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